Baskenland

Der ETA-Terror polarisiert bis heute

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Graffiti "Gora ETA" ("Lang lebe ETA" auf baskisch) auf einer Tür eines Büros des Rathauses in Altza
"Lang lebe ETA" heißt dieser Schriftzug: Wenn ETA-Terroristen aus dem Gefängnis heimkehren, werden sie von vielen gefeiert. © imago images/Agencia EFE / Javier Etxezarreta
Von Wolfgang Martin Hamdorf · 23.03.2022
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Der bewaffnete Kampf der baskischen Terrororganisation ETA ist längst vorbei. Doch die Spaltung der Gesellschaft in Anhänger, Opfer und eine schweigende Mehrheit sind noch nicht überwunden. Der Umgang mit der Vergangenheit ist ein schmerzhafter Prozess.
Ein verurteilter ETA-Terrorist kehrt heim. Iker Araguas hat neun Jahre im Gefängnis verbracht. Die Familie, die Nachbarn, Freunde und politische Weggefährten bereiten ihm einen großen Empfang in seiner Heimatstadt Pamplona im Stadtviertel Iturrama. Das war 2017. Mit den „Ongi Etorri“ - auf baskisch heißt das „Willkommen!“ - feiern ETA-Sympathisanten ihre Helden und stellen die Videos dann ins Internet.

Aussprache mit den Mördern des Ehemannes

Maixabel Lasa verlor ihren Mann, Juan Marí Jáuregui, am 29. Juli 2000. Er wurde in einem Lokal in Tolosa von ETA-Terroristen erschossen. Der Mord erschütterte ganz Spanien. Der Politiker der Sozialistischen Partei PSOE war Zivilgouverneur der Region San Sebastian und somit ein hoher Beamter des spanischen Staates.
Elf Jahre nach dem Attentat erhielt seine Witwe eine ungewöhnliche Anfrage: Zwei der Mörder ihres Mannes wollten mit ihr sprechen, sie hätten ihre Taten bereut und mit der Terrororganisation gebrochen. Maixabel sagte zu - trotz aller Kritiken und Anfeindungen. Die Treffen fanden im Rahmen eines staatlichen Programms mit Mediatoren statt.
„Wenn du siehst, dass die Person, die deinen Mann umgebracht hat, bereut und weiß, welchen Schmerz sie zugefügt hat und nicht versucht sich zu rechtfertigen, dann ist das eine ganz starke Verurteilung der Gewalt. Ich habe diesen Personen eine zweite Chance gegeben, weil wir alle eine zweite Chance verdienen.“

Viele möchten einen Schlussstrich ziehen

Über die Gespräche von Maixabel Lasa mit den Mördern ihres Mannes entstand ein erfolgreicher Dokumentarfilm und ein ebenso erfolgreicher Spielfilm. Aber die Gespräche sind nur eine Episode im langsamen Friedensprozess im Baskenland, nur elf ETA-Häftlinge haben überhaupt daran teilgenommen.
Radikale nationalistische Kreise zögern, die Verbrechen der ETA zu verurteilen, große Teile der baskischen Gesellschaft möchten gerne einen Schlussstrich ziehen. Die Opfer stören da nur, sagt Consuelo Ordoñez, Präsidentin der Opfervereinigung Covite.
„Wir Opfer sind für die baskische Gesellschaft unbequem. Wir hinterfragen diese Selbstgerechtigkeit, dieses: ‚Nun muss doch mal gut sein, ETA tötet doch keinen mehr und man muss auch mal vergessen können.‘“, sagt er.
„Wir sind unbequem, denn keiner möchte gerne ein schlechtes Gewissen oder Schuldgefühle haben. Keiner möchte sich fragen: ‚Was haben wir eigentlich gemacht, als ETA unsere Nachbarn ermordete?‘ Das sind unbequeme Fragen für einen sehr großen Teil dieser Gesellschaft. Denn auch wenn sie keine direkten Komplizen waren, so haben sie doch geschwiegen oder stillschweigend zugestimmt. Sie haben auch zu diesem doppelten Leid der Opfer beigetragen.“

Gesellschaftliche Ächtung der Opfer

Als doppeltes Leid bezeichnet Consuelo Ordoñez die gesellschaftliche Ächtung, der viele Opfer im Baskenland nach der Ermordung ihrer Angehörigen ausgesetzt waren; aber auch tätliche Angriffe, Hetzgraffitis auf der Hauswand, Drohbriefe und Anrufe.
Die 61-Jährige ist Schwester des baskischen Politikers Gregorio Ordoñez. Er saß als Abgeordneter für die konservative Volkspartei Partido Popular im Parlament und wurde von ETA-Terroristen am 23. Januar 1995 in einem Lokal in der Altstadt von San Sebastian ermordet. Heute kämpft sie gegen die Verharmlosung und Verherrlichung des Terrors.
„Dieser Mythos: ‚Wir haben gegen die Diktatur gekämpft!‘ Aber die meisten Morde haben sie doch während der Demokratie verübt. Sie wurden von großen Teilen der Gesellschaft unterstützt, etwa von der Kirche. So entstand dieser Mythos vom Freiheitskämpfer, für die Freiheit des baskischen Volkes, aber Fanatismus beruht immer auf Lügen.“

ETA-Gewalt auch nach Demokratisierung

Die ETA wurde 1959 als linke Studentenbewegung gegründet. Von 1968 bis 1975 bekämpfte sie das Regime General Francos, so starb etwa der Stellvertreter und designierte Nachfolger des Diktators, Carrero Blanco, 1973 durch eine Autobombe der ETA.
Aber auch nach dem Tode Francos am 20. November 1975 und der Demokratisierung des Landes setzte die ETA die Gewalt fort. Insgesamt wird sie für etwa 4000 Terroranschläge verantwortlich gemacht. Dabei kamen 830 Menschen ums Leben, 2300 wurden verletzt.
Der Historiker Ludger Mees hat seit 2004 einen Lehrstuhl an der „Universidad del País Vasco“. „Also, wenn man eine Sache feststellen kann, ganz objektiv, glaube ich, dass die ETA keines ihrer politischen Ziele erreicht hat, für die sie angeblich gekämpft hat“, sagt er.
„Das Baskenland ist nicht sozialistisch geworden, es ist auch nicht unabhängig geworden, sondern im Gegenteil der ETA-Terror hat mit dazu beigetragen, dass vielleicht nicht hier im Baskenland so sehr, aber im restlichen spanischen Staat eine extrem rechtsradikale neue Bewegung aufgekommen ist, die wieder diese alten spanisch-nationalistischen ideologischen Versatzstücke ausgegraben hat, die wir eigentlich glaubten, dass sie mit dem Franquismus verschwunden waren.“

Terror hat Spanien polarisiert

Der ETA-Terror hat Spanien polarisiert von Anfang an. In den 1980er-Jahren reagierte die junge Demokratie mit den Mitteln der Diktatur: Staatlich finanzierte Todesschwadrone, die GAL, die „Grupos Antiterroristas de Liberación“, die so genannten antiterroristischen Befreiungstruppen, töteten 73 wirkliche und vermeintliche ETA Mitglieder, bei den Einsätzen spanischer Sicherheitsorgane kamen zusätzlich 94 Menschen ums Leben.
„Wenn wir von Opfern reden, dann muss man natürlich sehen, obwohl man das natürlich nicht gleichsetzten kann: Es gibt einmal die ETA-Opfer und auf der anderen Seite zum Beispiel von Leuten, die von rechtsextremen Killerkommandos ermordet worden sind oder Opfer von exzessiver Polizeigewalt, Folter und so weiter“, sagt Ludger Mees.
„Das sind ja Sachen, die von unabhängigen Institutionen, wie Amnesty International oder dem europäischen Gerichtshof, mehr als einmal ganz offen dargelegt worden sind, als nicht irgendwelche Erfindungen von irgendwelchen Radikalnationalisten waren, sondern das gab es leider auch hier. Diese Opfer darf man natürlich auch nicht vergessen.“
Zehn Jahre nach dem Verzicht der ETA auf den so genannten „bewaffneten Kampf“ ist der Umgang mit der Vergangenheit im Baskenland immer noch ein schmerzhafter und schwieriger Prozess. Das Ende der Gewalt hat allerdings zu einem Ende des kollektiven Schweigens geführt, ein Ende der Angst, sich gegen die Gewalt auszusprechen. Innerhalb der baskischen Gesellschaft nimmt Consuelo Ordoñez ein zunehmendes Bedürfnis wahr, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen.
„Ich glaube, eines Tages kriegen wir das hin, dass wir die Opfer, ETA und alle, die ETA applaudierten oder schweigend unterstützten, an den Platz in der Geschichte stellen, der ihnen zusteht. Ich werde das vielleicht nicht mehr erleben, aber ich habe große Hoffnung, auf diesen gesellschaftlichen Wandel, da bewegt sich was zum Guten hin.“  

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