Bartels: Frühgeborene werden in großen Kliniken oft besser versorgt
Die perinatale Epidemiologin Dorothee Bartels hat in einer Studie herausgefunden, dass auf kleinen Frühgeborenen-Intensivstationen die Sterblichkeitsrate bei Frühchen um fast 80 Prozent höher liegt als bei großen Kliniken. Sie fordert, die Kliniken anhand von Faktoren wie Erfahrung oder technischer Ausstattung entsprechend einzuteilen und so Müttern die Entscheidung für eine Klinik zu erleichtern.
Holger Hettinger: Am Wochenende beginnt in Berlin die Jahrestagung der Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin - das ist der Zusammenschluss jener Ärzte, die sich mit der medizinischen Behandlung von Frühgeborenen beschäftigen.
Eine Frage, die auf diesem Kongress diskutiert wird, lautet: in welchen Kliniken sollten Frühgeborene überhaupt behandelt werden? Denn bei der Behandlung von Frühchen geht es nicht nur um das Wohl und das Überleben der Babys, sondern auch um Geld - denn die Behandlung von Frühgeborenen wird mit Pauschalen vergütet: Über 100.000 Euro bekommen die Kliniken von den Krankenkassen. Diese üppige Vergütung führt dazu, dass auch Kliniken Frühgeborene behandeln, die das besser sein lassen würden, weil die Erfahrung des Personals anderswo höher ist. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hat gesagt: "Jahr für Jahr werden Hunderte Babys auf dem Altar der Gier von Krankenhäusern und Chefärzten geopfert".
Über das Geschäft mit den Frühchen spreche ich nun mit Dorothee Bartels, sie ist perinatale Epidemiologin und hat eine Studie gemacht, in der sie die Überlebenschancen von Frühgeborenen in Beziehung gesetzt hat zu den Fallzahlen und demnach auch zu der Erfahrung der Klinik im Umgang mit den Frühgeborenen.
Dorothee Bartels: Schönen guten Morgen!
Hettinger: Frau Bartels, welchen Zusammenhang haben Sie ermittelt?
Bartels: Ich habe eine Studie durchgeführt in Niedersachsen und habe dort einen Datensatz untersucht von Frühgeborenen, die zwischen der 24. und 30. Schwangerschaftswoche geboren worden sind, also 10 bis 16 Wochen zu früh auf die Welt gekommen sind, und verglichen, wie deren Outcome, so sagt man das ja, also deren Prognose, wie die war, in kleinen und in großen Kliniken. Und da hat sich gezeigt, dass die Frühgeborenen, die vorwiegend auf den kleinen Frühgeborenen-Intensivstationen versorgt worden waren, eine fast 80 Prozent höhere Sterblichkeit hatten als die Frühgeborenen, die auf den großen Frühgeborenen-Intensivstationen versorgt waren, und dass besonders die Frühgeborenen, die unter 29 Wochen waren im Reifealter, am meisten profitiert haben von einer großen Frühgeborenenstation.
Hettinger: Und wenn diese Zahlen so eindeutig und so klar sind, warum sagen denn dann die kleineren Kliniken nicht hier, liebe Patientin, wir haben da zu wenig Erfahrung, geh ins große Krankenhaus, dort hilft man dir besser?
Bartels: Insgesamt wird in Deutschland immer noch angezweifelt, ob die Fallzahl wirklich als ein Surrogatparameter für die Erfahrungen dienen kann. Und natürlich hat man in Zeiten der rückläufigen Geburtenzahlen auch einfach Angst um die Patientenzahlen und auch aus wirtschaftlichen Gründen natürlich. Und die Entbindungsstationen und Frühgeborenenstationen sind auch immer ein gewisses Aushängeschild für Kliniken.
Hettinger: Wie erfahren muss denn eine Klinik, muss ein Behandler sein, um qualifiziert frühgeborene Babys behandeln zu können?
Bartels: Das ist die Frage, die im Moment allen den Kopf zerbricht, das kann man im Moment nicht beantworten. Und das Schwierige ist eben, wie kann man Erfahrungen messen. Und genau deshalb hat man sich eben auf diesen Surrogatparameter eingelassen, dass man gesagt hat, okay, Erfahrung kann man vielleicht daran messen an der Fallzahl, wie oft jemand etwas tut. Weil man weiß ja schon immer, Übung macht den Meister, und man sagt einfach, je häufiger jemand ein kleines Frühgeborenes versorgt, desto erfahrener ist man damit. Was ja auch Sinn macht, denn sowohl Schwestern als auch Ärzte können dann ein Kind besser versorgen, einschätzen, frühe Veränderungen erkennen.
Hettinger: Aber ist es denn allein die Erfahrung, sind's allein die Fallzahlen? Solche Sachen wie Gerätschaften, Ausstattung, das könnten doch auch Faktoren sein, die über Leben und Tod bei Frühchen bestimmen?
Bartels: So hat es in Deutschland angefangen, noch vor meiner Studie wurde schon lange diskutiert, ob eine Leveleinteilung in Deutschland eingeführt wird, weil international gab es überall schon Leveleinführungen in vielen Ländern. Und am Anfang basierte die allein auf der Ausstattung. Aber eine Ausstattung, die kann man erwerben, man kann sich also die entsprechenden Beatmungsgeräte und technischen Ausstattungen einfach kaufen, das ist eine Investition, das heißt aber noch nicht, dass ich deshalb die Kinder adäquat versorgen kann.
Und man hat dann als weiteres Kriterium in Deutschland eingeführt gewisse Aufnahmekriterien, das heißt, man hat die Zuordnung der Patienten und der Mütter und Kinder anhand der Krankheitsbilder oder der zu erwartenden Komplikationen festgelegt, was aber auch sehr schwierig ist, weil das natürlich nur ganz weiche Kriterien sind und einen breiten Interpretationsspielraum lassen. In anderen Ländern werden die Level einfach daraufhin eingeteilt, wie lange die Kinder wohl beatmet werden müssen, und dazu kommen eben die Fallzahlen. Und auf die Fallzahlen hatte man am Anfang in Deutschland verzichtet, was das Ganze eben sehr problematisch gemacht hat.
Hettinger: Leveleinteilung heißt, man differenziert das nach schwierig, mittel, leicht?
Bartels: Genau, man würde die Level einteilen vielleicht nicht nach schwierig, mittel, leicht, sondern eher nach Grundversorgung, erweiterte Versorgung und Maximalversorgung, das sind die Levelstufen dann. Und da würde man dann einteilen, wenn man jetzt nur von der Ausstattung ausgeht, je nachdem, wie viele Beatmungsplätze zum Beispiel die Klinik hat, und dann als Nächstes, je nachdem, welche Krankheitsbilder zu erwarten sind.
Hettinger: Welche einzelnen Behandlungsschritte oder Behandlungsaspekte müssen denn da abgedeckt werden, damit man von einer, ich sag mal, qualifizierten Behandlung sprechen kann?
Bartels: Also sicherlich als Faktoren für so eine Leveleinteilung ist es sinnvoll, dass man berücksichtigt die Expertise des Personals, also von Ärzten und Schwestern, wie sind die fort- und weitergebildet, wie viel Berufserfahrung haben die. Dann spielt sicherlich die Interdisziplinarität eine Rolle, das heißt, welche anderen Fachrichtungen sind vor Ort verfügbar, gibt es eine Kinderchirurgie, gibt es entsprechende Labore, gibt es entsprechend bildgebende Verfahren, um schnelle Diagnostik zu machen vor und während der Geburt. Dann ist sicherlich die Frage der Lokalisation, ob die Frauenklinik und die Kinderklinik dicht genug aneinander da sind, damit keine Transporte für das Neugeborene nötig sind. Sicherlich sind auch gewisse Qualitätsanforderungen hinsichtlich, was ja jetzt auch gefordert wird, der Transparenz und der Qualitätssicherung notwendig, dass man eben auch zeigt, wie sind die Erfolge oder wie sind die Ergebnisse in einer Klinik und was tue ich dafür, die Qualität der Versorgung zu sichern in meiner Klinik.
Hettinger: Wie müsste denn jetzt ganz konkret eine solche Richtlinie oder Vorschrift oder wie auch immer ein regulierender Eingriff aussehen?
Bartels: Also ich denke, der Ansatz ist ja schon mal gut, dass in Deutschland schon mal der Ball ins Rollen gekommen ist, dass man eine Leveleinteilung eingeführt hat. Es ist sicherlich schwierig, diese Leveleinteilung anhand von Aufnahmekriterien festzumachen, weil das eben so viel Interpretationsspielraum nimmt. Die gewisse technische Ausstattung, diese Strukturmerkmale, sind ein wichtiges Kriterium, aber wir haben auch gesehen, dass es eigentlich ohne eine Mindestmenge nicht geht, weil im Moment ist die Entwicklung dahingehend, dass wirklich die kleinen Kliniken versuchen, alles bei sich zu behalten und auch Kinder, die eigentlich sonst in Zentren versorgt werden müssten, versuchen, erst mal selbst zu versorgen.
Hettinger: Können Sie es noch mal ganz kurz anhand der Fallzahl illustrieren, wie viel muss man pro Jahr machen, um als erfahren zu gelten?
Bartels: Auch dazu gibt es eigentlich wenig Untersuchungen. Der GBA, der Gemeinsame Bundesausschuss, hat ja jetzt erst mal einen Erfahrungswert sozusagen von zwölf pro Jahr - also jeden Monat sollte man ein Frühgeborenes versorgt haben - festgelegt, was im internationalen Vergleich extrem niedrig ist. Dort werden sonst Schwellenwerte von 30 bis 50 bis hin zu 100 festgelegt, was sicherlich für Deutschland nicht anwendbar ist. Und es wurde auch immer wieder vom (???) und von anderen Institutionen diskutiert, dass so ein Erfahrungswert, dieser Schwellenwert, den Sie nannten, wissenschaftlich untersucht und festgelegt werden muss. Aber das würde man in keiner Ethikkommission verantworten können, weil man kann ja nicht zufällig eine Studie machen und die Mütter zufällig kleinen und großen Kliniken zuordnen, wo man schon weiß, dass die großen Kliniken eigentlich eine bessere Versorgung gewährleisten.
Hettinger: Das wäre schon ziemlich ungeheuerliche Forschung. Aber ist es denn wirklich so, dass groß immer gleich gut und klein immer gleich unqualifiziert bedeutet?
Bartels: Das sicherlich nicht. Also klein und groß muss man immer wieder im Hinterkopf haben, dass das ein Surrogatparameter ist wirklich für die dahinter liegenden Faktoren und die Erfahrung. Das heißt also nicht, wenn ich eine Massenabfertigung mache, dass ich dann immer gleich gut bin. Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Und es gibt natürlich auch in allen Kliniken oder überall Ausreißer. Es kann eine große Klinik, die sehr schlecht organisiert ist, schlechte Ergebnisse kriegen, und eine kleine Klinik, die sehr gut organisiert ist und wo sehr erfahrene Ärzte sitzen, können gute Ergebnisse bringen.
Aber man kann gesetzliche Regelungen oder Vereinbarungen nicht anhand der Ausnahmen festlegen, sondern man muss wirklich anhand der wissenschaftlichen Publikationen, die es gibt, und den Erfahrungswerten, die es gibt, handeln. Und danach ist es jetzt eindeutig, dass die kleinen Kliniken eher für die Versorgung der reiferen Kinder geeignet sind und die sehr kleinen Frühgeborenen doch in Zentren der Maximalversorgung sollten.
Hettinger: Was ich nicht so ganz verstehe, ich meine, diese Information ist ja auf dem Markt und im Ausland hat man da auch schon gewaltige Erfahrung mit gesammelt und diese Tendenz letztlich bestätigt, warum entscheiden sich dennoch Schwangere, die mit dieser Frühgeborenenproblematik konfrontiert sind, für dann die kleinen und vermeintlich unerfahrenen Kliniken?
Bartels: Also ich denke, gerade im Moment machen eben auch die kleinen Kliniken, weil sie eben Angst vor rückläufigen Geburten und weniger Patienten haben und auch vor allem Imageverlust, dass es vielleicht heißt, kleine Kliniken sind schlechter als große Kliniken, was ja gar nicht der Fall ist, man sollte eben nur den Fokus auf die richtigen Patientengruppen richten, dass die einfach noch Werbung machen und dass bei den Patientinnen das noch gar nicht so angekommen ist und diese Transparenz eben noch gar nicht gegeben ist, was ja jetzt auch mit dem neuen Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses geschaffen werden soll, dass die Mütter ein größeres Bewusstsein für die Probleme, die es geben könnte, haben und sich danach die Kliniken auswählen, auch wenn dann vielleicht mal der Anfahrtsweg etwas weiter ist.
Hettinger: Die perinatale Epidemiologin Dorothee Bartels über ihre Studie: Je erfahrener die Ärzte und je höher die Zahl der Fälle, desto größer ist die Chance von Frühchen, zu überleben. Ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch.
Eine Frage, die auf diesem Kongress diskutiert wird, lautet: in welchen Kliniken sollten Frühgeborene überhaupt behandelt werden? Denn bei der Behandlung von Frühchen geht es nicht nur um das Wohl und das Überleben der Babys, sondern auch um Geld - denn die Behandlung von Frühgeborenen wird mit Pauschalen vergütet: Über 100.000 Euro bekommen die Kliniken von den Krankenkassen. Diese üppige Vergütung führt dazu, dass auch Kliniken Frühgeborene behandeln, die das besser sein lassen würden, weil die Erfahrung des Personals anderswo höher ist. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hat gesagt: "Jahr für Jahr werden Hunderte Babys auf dem Altar der Gier von Krankenhäusern und Chefärzten geopfert".
Über das Geschäft mit den Frühchen spreche ich nun mit Dorothee Bartels, sie ist perinatale Epidemiologin und hat eine Studie gemacht, in der sie die Überlebenschancen von Frühgeborenen in Beziehung gesetzt hat zu den Fallzahlen und demnach auch zu der Erfahrung der Klinik im Umgang mit den Frühgeborenen.
Dorothee Bartels: Schönen guten Morgen!
Hettinger: Frau Bartels, welchen Zusammenhang haben Sie ermittelt?
Bartels: Ich habe eine Studie durchgeführt in Niedersachsen und habe dort einen Datensatz untersucht von Frühgeborenen, die zwischen der 24. und 30. Schwangerschaftswoche geboren worden sind, also 10 bis 16 Wochen zu früh auf die Welt gekommen sind, und verglichen, wie deren Outcome, so sagt man das ja, also deren Prognose, wie die war, in kleinen und in großen Kliniken. Und da hat sich gezeigt, dass die Frühgeborenen, die vorwiegend auf den kleinen Frühgeborenen-Intensivstationen versorgt worden waren, eine fast 80 Prozent höhere Sterblichkeit hatten als die Frühgeborenen, die auf den großen Frühgeborenen-Intensivstationen versorgt waren, und dass besonders die Frühgeborenen, die unter 29 Wochen waren im Reifealter, am meisten profitiert haben von einer großen Frühgeborenenstation.
Hettinger: Und wenn diese Zahlen so eindeutig und so klar sind, warum sagen denn dann die kleineren Kliniken nicht hier, liebe Patientin, wir haben da zu wenig Erfahrung, geh ins große Krankenhaus, dort hilft man dir besser?
Bartels: Insgesamt wird in Deutschland immer noch angezweifelt, ob die Fallzahl wirklich als ein Surrogatparameter für die Erfahrungen dienen kann. Und natürlich hat man in Zeiten der rückläufigen Geburtenzahlen auch einfach Angst um die Patientenzahlen und auch aus wirtschaftlichen Gründen natürlich. Und die Entbindungsstationen und Frühgeborenenstationen sind auch immer ein gewisses Aushängeschild für Kliniken.
Hettinger: Wie erfahren muss denn eine Klinik, muss ein Behandler sein, um qualifiziert frühgeborene Babys behandeln zu können?
Bartels: Das ist die Frage, die im Moment allen den Kopf zerbricht, das kann man im Moment nicht beantworten. Und das Schwierige ist eben, wie kann man Erfahrungen messen. Und genau deshalb hat man sich eben auf diesen Surrogatparameter eingelassen, dass man gesagt hat, okay, Erfahrung kann man vielleicht daran messen an der Fallzahl, wie oft jemand etwas tut. Weil man weiß ja schon immer, Übung macht den Meister, und man sagt einfach, je häufiger jemand ein kleines Frühgeborenes versorgt, desto erfahrener ist man damit. Was ja auch Sinn macht, denn sowohl Schwestern als auch Ärzte können dann ein Kind besser versorgen, einschätzen, frühe Veränderungen erkennen.
Hettinger: Aber ist es denn allein die Erfahrung, sind's allein die Fallzahlen? Solche Sachen wie Gerätschaften, Ausstattung, das könnten doch auch Faktoren sein, die über Leben und Tod bei Frühchen bestimmen?
Bartels: So hat es in Deutschland angefangen, noch vor meiner Studie wurde schon lange diskutiert, ob eine Leveleinteilung in Deutschland eingeführt wird, weil international gab es überall schon Leveleinführungen in vielen Ländern. Und am Anfang basierte die allein auf der Ausstattung. Aber eine Ausstattung, die kann man erwerben, man kann sich also die entsprechenden Beatmungsgeräte und technischen Ausstattungen einfach kaufen, das ist eine Investition, das heißt aber noch nicht, dass ich deshalb die Kinder adäquat versorgen kann.
Und man hat dann als weiteres Kriterium in Deutschland eingeführt gewisse Aufnahmekriterien, das heißt, man hat die Zuordnung der Patienten und der Mütter und Kinder anhand der Krankheitsbilder oder der zu erwartenden Komplikationen festgelegt, was aber auch sehr schwierig ist, weil das natürlich nur ganz weiche Kriterien sind und einen breiten Interpretationsspielraum lassen. In anderen Ländern werden die Level einfach daraufhin eingeteilt, wie lange die Kinder wohl beatmet werden müssen, und dazu kommen eben die Fallzahlen. Und auf die Fallzahlen hatte man am Anfang in Deutschland verzichtet, was das Ganze eben sehr problematisch gemacht hat.
Hettinger: Leveleinteilung heißt, man differenziert das nach schwierig, mittel, leicht?
Bartels: Genau, man würde die Level einteilen vielleicht nicht nach schwierig, mittel, leicht, sondern eher nach Grundversorgung, erweiterte Versorgung und Maximalversorgung, das sind die Levelstufen dann. Und da würde man dann einteilen, wenn man jetzt nur von der Ausstattung ausgeht, je nachdem, wie viele Beatmungsplätze zum Beispiel die Klinik hat, und dann als Nächstes, je nachdem, welche Krankheitsbilder zu erwarten sind.
Hettinger: Welche einzelnen Behandlungsschritte oder Behandlungsaspekte müssen denn da abgedeckt werden, damit man von einer, ich sag mal, qualifizierten Behandlung sprechen kann?
Bartels: Also sicherlich als Faktoren für so eine Leveleinteilung ist es sinnvoll, dass man berücksichtigt die Expertise des Personals, also von Ärzten und Schwestern, wie sind die fort- und weitergebildet, wie viel Berufserfahrung haben die. Dann spielt sicherlich die Interdisziplinarität eine Rolle, das heißt, welche anderen Fachrichtungen sind vor Ort verfügbar, gibt es eine Kinderchirurgie, gibt es entsprechende Labore, gibt es entsprechend bildgebende Verfahren, um schnelle Diagnostik zu machen vor und während der Geburt. Dann ist sicherlich die Frage der Lokalisation, ob die Frauenklinik und die Kinderklinik dicht genug aneinander da sind, damit keine Transporte für das Neugeborene nötig sind. Sicherlich sind auch gewisse Qualitätsanforderungen hinsichtlich, was ja jetzt auch gefordert wird, der Transparenz und der Qualitätssicherung notwendig, dass man eben auch zeigt, wie sind die Erfolge oder wie sind die Ergebnisse in einer Klinik und was tue ich dafür, die Qualität der Versorgung zu sichern in meiner Klinik.
Hettinger: Wie müsste denn jetzt ganz konkret eine solche Richtlinie oder Vorschrift oder wie auch immer ein regulierender Eingriff aussehen?
Bartels: Also ich denke, der Ansatz ist ja schon mal gut, dass in Deutschland schon mal der Ball ins Rollen gekommen ist, dass man eine Leveleinteilung eingeführt hat. Es ist sicherlich schwierig, diese Leveleinteilung anhand von Aufnahmekriterien festzumachen, weil das eben so viel Interpretationsspielraum nimmt. Die gewisse technische Ausstattung, diese Strukturmerkmale, sind ein wichtiges Kriterium, aber wir haben auch gesehen, dass es eigentlich ohne eine Mindestmenge nicht geht, weil im Moment ist die Entwicklung dahingehend, dass wirklich die kleinen Kliniken versuchen, alles bei sich zu behalten und auch Kinder, die eigentlich sonst in Zentren versorgt werden müssten, versuchen, erst mal selbst zu versorgen.
Hettinger: Können Sie es noch mal ganz kurz anhand der Fallzahl illustrieren, wie viel muss man pro Jahr machen, um als erfahren zu gelten?
Bartels: Auch dazu gibt es eigentlich wenig Untersuchungen. Der GBA, der Gemeinsame Bundesausschuss, hat ja jetzt erst mal einen Erfahrungswert sozusagen von zwölf pro Jahr - also jeden Monat sollte man ein Frühgeborenes versorgt haben - festgelegt, was im internationalen Vergleich extrem niedrig ist. Dort werden sonst Schwellenwerte von 30 bis 50 bis hin zu 100 festgelegt, was sicherlich für Deutschland nicht anwendbar ist. Und es wurde auch immer wieder vom (???) und von anderen Institutionen diskutiert, dass so ein Erfahrungswert, dieser Schwellenwert, den Sie nannten, wissenschaftlich untersucht und festgelegt werden muss. Aber das würde man in keiner Ethikkommission verantworten können, weil man kann ja nicht zufällig eine Studie machen und die Mütter zufällig kleinen und großen Kliniken zuordnen, wo man schon weiß, dass die großen Kliniken eigentlich eine bessere Versorgung gewährleisten.
Hettinger: Das wäre schon ziemlich ungeheuerliche Forschung. Aber ist es denn wirklich so, dass groß immer gleich gut und klein immer gleich unqualifiziert bedeutet?
Bartels: Das sicherlich nicht. Also klein und groß muss man immer wieder im Hinterkopf haben, dass das ein Surrogatparameter ist wirklich für die dahinter liegenden Faktoren und die Erfahrung. Das heißt also nicht, wenn ich eine Massenabfertigung mache, dass ich dann immer gleich gut bin. Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Und es gibt natürlich auch in allen Kliniken oder überall Ausreißer. Es kann eine große Klinik, die sehr schlecht organisiert ist, schlechte Ergebnisse kriegen, und eine kleine Klinik, die sehr gut organisiert ist und wo sehr erfahrene Ärzte sitzen, können gute Ergebnisse bringen.
Aber man kann gesetzliche Regelungen oder Vereinbarungen nicht anhand der Ausnahmen festlegen, sondern man muss wirklich anhand der wissenschaftlichen Publikationen, die es gibt, und den Erfahrungswerten, die es gibt, handeln. Und danach ist es jetzt eindeutig, dass die kleinen Kliniken eher für die Versorgung der reiferen Kinder geeignet sind und die sehr kleinen Frühgeborenen doch in Zentren der Maximalversorgung sollten.
Hettinger: Was ich nicht so ganz verstehe, ich meine, diese Information ist ja auf dem Markt und im Ausland hat man da auch schon gewaltige Erfahrung mit gesammelt und diese Tendenz letztlich bestätigt, warum entscheiden sich dennoch Schwangere, die mit dieser Frühgeborenenproblematik konfrontiert sind, für dann die kleinen und vermeintlich unerfahrenen Kliniken?
Bartels: Also ich denke, gerade im Moment machen eben auch die kleinen Kliniken, weil sie eben Angst vor rückläufigen Geburten und weniger Patienten haben und auch vor allem Imageverlust, dass es vielleicht heißt, kleine Kliniken sind schlechter als große Kliniken, was ja gar nicht der Fall ist, man sollte eben nur den Fokus auf die richtigen Patientengruppen richten, dass die einfach noch Werbung machen und dass bei den Patientinnen das noch gar nicht so angekommen ist und diese Transparenz eben noch gar nicht gegeben ist, was ja jetzt auch mit dem neuen Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses geschaffen werden soll, dass die Mütter ein größeres Bewusstsein für die Probleme, die es geben könnte, haben und sich danach die Kliniken auswählen, auch wenn dann vielleicht mal der Anfahrtsweg etwas weiter ist.
Hettinger: Die perinatale Epidemiologin Dorothee Bartels über ihre Studie: Je erfahrener die Ärzte und je höher die Zahl der Fälle, desto größer ist die Chance von Frühchen, zu überleben. Ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch.