Barometer für die spanische Filmbranche

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 19.06.2012
Zurzeit findet zum siebten Mal in der spanischen Hauptstadt die Filmmesse "Madrid de Cine" für ausländische Einkäufer statt. "Madrid de Cine" ist auch ein interessantes Barometer für den Zustand des spanischen Films, auch was die wirtschaftliche Situation betrifft.
In den letzten Minuten seines Lebens träumt er von der großen Reise nach Paris. Träumt davon, wie er sich an den Banken rächen will, die ihn zugrunde gerichtet haben, weil er die Hypotheken nicht mehr bezahlen konnte.

Der arbeitslose Werbetexter ist vom Baugerüst in einem halbfertigen Museum gestürzt. In seinem Hinterkopf steckt ein Stück vom Stahlträger und während die Ärzte nicht wissen, wie sie ihn retten sollen, wird der arbeitslose totgeweihte Familienvater zum Medienereignis. In seiner Tragikomödie "La chispa de la vida" ("Der Lebensfunke") erzählt Regisseur Alex de la Iglesia von der Krise der spanischen Mittelschicht und vom skrupellosen Geschäft mit den Einschaltquoten.

Alex de la Iglesias: "”Es geht darum den Schmerz durch groteske Satire einzufangen. Das habe ich nicht erfunden, sondern das ist eine alte spanische Tradition, seit Quevedo versuchen wir die Gefühle und Meinungen über den Humor zu erreichen, eine lange Tradition des Dunklen und Grotesken, die finden wir bei Goya oder Luis Buñuel.""

Etwa 130 Filme sind in "Madrid de Cine" zu sehen. Die Komödie und der schwarze Humor sind sehr beliebt im spanischen Film, am erfolgreichsten im Ausland sind allerdings die Horrorfilme und Psychothriller. Ein ungewöhnlicher Gruselfilm "Made in Spanisch" war auch "La piel que habito" von Pedro Almodovar, der die meisten Zuschauer im Ausland in die Kinos lockte: wird morgen mit dem Preis der spanischen Produzentenvereinigung ausgezeichnet.

Im spanischen Horrorfilm und Psychothriller ist die Angst immer im vertrauten Umfeld verwurzelt, der Angriff des Bösen kommt aus unmittelbarer Nähe. In "Mientras duermes" ("Während du schläfst") des katalanischen Regisseurs Jaume Balaguer ist es der scheinbar so freundliche Hausmeister, der das Leben einer jungen Frau mit List und Gewalt zerstört. Für Regisseur Jaume Balaguer korrespondieren die Genrefilme über Existenzbedrohungen oder tiefe Verlustängste auch mit einer immer unsicher werdenden Gesellschaft.

Jaume Balaguer: "”Diese Gesellschaft erschafft sich ihre Monster, ich glaube, sie ist sogar selbst ein Monster. Wir leben einfach in einer absurden Welt. Diese Welt ist nicht gut oder schlecht, sie ist einfach absurd und unverständlich und lässt ihre eigenen Monster entstehen.""

Als ähnlich verwirrend empfinden viele spanische Filmemacher ihre momentane Situation. Die Sparmaßnahmen der neuen konservativen Regierung im Kulturbereich haben den Film stark getroffen, und die Produktion ist in diesem Jahr um 4o Prozent eingebrochen.

Dabei geht es nicht um die ohnehin geringe staatliche Filmförderung als vielmehr um die Unterstützung durch das spanische Fernsehen: Noch sind die spanischen Fernsehanstalten verpflichtet, sechs Prozent ihrer Gewinne in die Produktion von Kinofilmen zu investieren. Der Präsidenten der spanischen Produzentenvereinigung Pedro Perez fordert gesetzliche Änderungen ein.

Pedro Perez: "”Wenn das staatliche Fernsehen seinen Pflichten zur Filmförderung nachkommen würde und wenn auch die privaten Anstalten ihre sechs Prozent vom Gewinn beisteuern würden, hätten wir keine Sorgen und es dürfte keine Filmproduktion in Spanien an fehlenden Mitteln scheitern. Aber so ist es eben nicht, die Filmbranche ist sehr verunsichert und Verunsicherung verhindert Investitionen. Wir fordern 40 Prozent Steuernachlass auf Investitionen in Filmprojekte.""

Aber ob die spanische Regierung bei der derzeitigen wirtschaftlichen Lage den Steuernachlass von 18 auf 4o Prozent erhöht ist mehr als fraglich. Auch die Möglichkeiten des spanischen Fernsehens, weiter in die heimische Filmproduktion zu investieren sind nach der Streichung von 20 Millionen Euro staatlicher Haushaltszuwendungen sehr begrenzt.

Viele junge Filmemacher suchen ihren Weg aus der Krise jenseits der traditionellen Finanzierungsmodelle. Ein sehr untypisches Projekt realisiert zurzeit Nicolas Alcalá mit seinem Team. "El cosmonauta", ein Film über einen russischen Raumfahrer, wird ausschließlich über private Spenden und private Investoren finanziert. Die ganze Entwicklung des Projektes kann im Internet nach verfolgt werden. Im Internet sieht Nicolas Alcala auch einen Weg vom klassischen spanischen Verleihsystem unabhängig zu sein:

Nicolaus Alcalá: "”Diese alte Filmbranche, mit ihrer Zwischenhändlern und Verleihern wird in wenigen Jahren sterben, wenn sie sich nicht erneuert. Wir haben am Anfang gedacht, gut unsere Alternativen werden sie ablehnen, weil sie gegen ihre Geschäftsinteressen gehen, aber die sind so verzweifelt neue Wege aus der Krise zu suchen, dass sie uns wirklich zugehört haben, wir haben mit Vertretern der Filmakademie und der Produzentenvereinigung, also mit den Spitzen der spanischen Filmwirtschaft geredet. Sie sind natürlich auch daran interessiert zu sehen, ob es bei uns klappt, und dann ist das Internet auch für sie eine Alternative.""

Die spanische Filmbranche steht am Scheideweg: Der Besuch der Kinosäle ist in ganz Spanien rückläufig und der Marktanteil der spanischen Filme im eigenen Land ist mit 13 Prozent sehr gering.

Das kommende Jahr wird zeigen, ob über das Internet neue Zuschauer erreicht werden können oder ob aus der staatlichen Sparpolitik eine neue Kreativität entsteht, wie vor zwölf Jahren im argentinischen Film angesichts der damaligen Wirtschaftskrise.