Barockmusik im Technoclub

Von Stefan Keim |
In den Dark Rooms gibt es die ganze Nacht Sexpartys, in der Halle spielt das Deutsche Theater Berlin. Weil das große Haus noch nicht vom Asbest befreit ist, läuft August Strindbergs "Traumspiel" im Technobunker Berghain. Die Säulen und Wände des ehemaligen E-Werks sind herunter gekommen, Kohlen liegen unter einer großen Schütte. Zwischen den Zuschauern bewegen sich weiß geschminkte Sänger im Halbdunkeln.
Das großartige Vocalconsort Berlin beginnt den Abend mit John Dowlands "Come, heavy sleep". Das Traumspiel beginnt, die Erdwanderung der Göttertochter Agnes, ihr Selbsterfahrungstrip unter den Menschen, deren Geist in Körpern aus "Blut und Kot" gefangen ist.

Strindberg hat hier alle Regeln des psychologischen Theaters über Bord geworfen, es gibt kaum Handlung, nur Bilder und Figuren, die verschwimmen und sich neu zusammen setzen. Barrie Kosky, der vom Schauspiel kommt, in den letzten Jahren fast nur Oper gemacht hat und 2012 Intendant der Komischen Oper Berlin wird, nutzt den Raum für flirrende Bilder. Zu einem Sauflied aus der Renaissance feiert das Ensemble eine ausgelassene Party, spätestens zu Dowlands "Flow my tears" folgt der Katzenjammer. Die Musik ist der Schmierstoff, der den stark zusammen gestrichenen Text zusammen hält. Manchmal allerdings zerfasert die Aufführung und bräuchte mehr Konzentration.

Doch es gelingen auch großartige Momente. Horst Lebinsky ist als Offizier ein großes altes Kind mit vielen Orden am Jackett und voll heulender Verzweiflung über die Ungerechtigkeit seiner Eltern. Fast wie Heinz Rühmann klingt Sven Lehmann als Advokat, der sich von den Taten seiner Klienten beschmutzt fühlt. Aber es ist ein Rühmann ohne Wärme, dieser Mann ist ein Anwalt der Pflichterfüllung. Und Ernst Stötzner beschmiert als Dichter erst einmal die Wände und Agnes mit Lehm, bevor er die Shownummer "Did you ever see a dream walking?" singt und am Schluss plötzlich eine ernsthafte Botschaft der von der Schöpfung gequälten Menschheit formuliert. Im Traum ist alles möglich.

Am Ende sitzt Stefanie Eidt als Agnes zitternd, blutverkrustet und lehmbesudelt auf der Bühne. Sie hat verstanden, wie die Menschen leiden. Strindbergs Botschaft ist ziemlich pathetisch, Barrie Kosky präsentiert sie mit leichter, vielleicht manchmal zu leichter Hand. Die Aufführung ist doch mehr Spiel als Traum, einige Szenen bleiben rätselhaft. Ein Höhepunkt der bisher ziemlich mauen Berliner Theatersaison ist diese Aufführung jedoch allemal.