Barockes Theaterstück über August den Starken

Von Ronny Arnold |
Wie feierte eigentlich Ludwig XIV., der französische Sonnenkönig, seine legendären Hoffeste? Wie sahen all die Festlichkeiten im Europa der Barock- und Rokokozeit aus, die in Versailles Mitte des 17. Jahrhunderts ihren Anfang nahmen? Auf Schloss Nischwitz in Sachsen kann man diese prächtige, ausschweifende Vergangenheit bei Hofe einen halben Tag lang erleben.
"Madame, Monsieur, ein herzliches Willkommen beim Balle de Soleil 2006. Wir haben wieder alles aufgeboten, um Ihnen diese wunderschöne Fest zu versüßen. Ein Fest der Liebe, ein Fest der Sonne, ein Fest des Dionysos."

Mit wohl gewählten Worten und ausschweifender Gestik begrüßt der Zeremonienmeister, mit bürgerlichem Namen Axel Thielmann, die ersten Gäste am Eingang von Schloss Nischwitz. Vornehme Damen in weiten Reifröcken treffen ein, die sich von Herren mit weiß geschminkten Gesichtern und Puderperücken führen lassen. Schon am Tor zum Schloss werden sie von lebendigen Engeln mit Flügeln am Rücken in Empfang genommen, die ihnen den Weg zum Sonnenball weisen. Langsam und bedächtig betreten die hohen Herrschaften die Wandeltreppe zum Schloss, im Hintergrund erklingen Arien und Duette aus Renaissance und Frühbarock.

Viele der über 400 Gäste, die im Laufe des Nachmittags beim 7. Sonnenball auf Schloss Nischwitz eintreffen, sind weit gereist. Für einige ist es der erste Hofball ihres Lebens, andere kennen das Barockfest seit Jahren.

"Als ich den ersten Sonnenball mitgemacht habe, hab ich gesagt, da muss ich wieder hin, weil das ist wirklich ein tolles Flair. Man legt wie so einen Schalter um, und wenn man dann die anderen Leute sieht, die ja genau so gekleidet sind, man fühlt sich wirklich in diese Zeit versetzt, das ist einmalig."

"Wir kommen von Wuppertal und sind zum ersten Mal hier. Und da wir früher auch auf Barockfestspielen getanzt haben, hat uns das sofort angesprochen. Schöne Musik, die zu der Zeit passt, zu den Kostümen passt, vielleicht auch etwas Tanz üben, lernen, hier im Schloss. Einen schönen Abend, einen schönen Nachmittag."

Einem schönen Fest steht nichts im Wege - das Wetter meint es fast zu gut mit den unter ihren Perücken und Röcken schwitzenden Gästen, und die Veranstalter haben das Barockfest liebevoll bis ins kleinste Detail vorbereitet. Bereits vor vierzehn Tagen begannen Dutzende Helfer, das ansonsten leerstehende Schloss für das rauschende Fest herzurichten. In den oberen Räumen wurden golden verzierte Spiegel aufgehängt, schwere Vorhänge gerichtet und barocke Schränke, Sofas und Tische aufgestellt.

Im Eingangssaal steht ein großer, stilvoll geschwungener Tisch, der vor Obst und Schokolade fast überquillt. Im Nebenraum testen die ersten Damen eine von der Decke baumelnde Lustschaukel. Insgesamt wirken über 100 Helfer vor und hinter den Kulissen des Sonnenballs - von Aufbauhelfern über Musiker und Tänzer bis hin zu den Köchen um Chef Thomas Würzbach, die bereits seit Stunden das Essen für die opulente Tafel am Abend vorbereiten.

"Hähnchen am Spieß, Sau am Spieß, verschiedene Salate. Bei der Hitze haben wir hauptsächlich frische Salate. gebackener Lachs, Kassler auf Sauerkraut, schöner Rinderbraten, Schweineschulter für insgesamt 440 Gäste und Backstage-Bereich und Künstler, Mitarbeiter noch mal über 120."

Das alljährliche Barockfest auf Schloss Nischwitz wird seit sechs Jahren von der IG Sonnenball veranstaltet. Keines der sieben Mitglieder verdient mit dem Fest Geld, im Gegenteil. Die meisten von ihnen, die sonst als Grafiker, Schauspieler, Betriebswirtschaftler oder Orthopäden arbeiten, verbinden ihren Sommerurlaub mit dem Sonnenball. Hier können sie Jahr für Jahr ihre künstlerischen Fantasien ausleben, um nun für ein paar Stunden den Barock zu leben. Gesamtleiter Michael Jalinski ist von diesem Rollenspiel begeistert.
"Deswegen haben wir ja das Thema Kostümball gewählt, weil wir wollten, dass sich die Leute aus ihrer alltäglichen Rolle herausbegeben und auf etwas Neues einlassen. Klar ist es so, dass die richtigen Barockfreaks eben sofort hier einsteigen und die anderen später kommen. Also später ihre Rolle finden. Aber die Atmosphäre erzeugt das einfach. Man bewegt sich anders, man verneigt sich anders, man begrüßt sich anders."

Das wahre Prunkstück des Sonnenballs ist der riesige Garten hinter dem Haus. Ein breiter roter Teppich führt die Gäste vom Schloss hinaus in den Lustgarten auf eine riesige Wiese, die von alten Bäumen umsäumt ist. In der Mitte steht eine 15 mal 30 Meter große Tanzbühne, links und rechts davon weiß bedeckte Tische, an denen am Abend opulent gespeist wird. Zwischen den Gästen flaniert der Zeremonienmeister.

"Schauen sie diesen herrlichen Garten mit den bunten Fahnen. Blumen rund um den Platz, und die Bäume in einem saftigen Grün. Davor unsere wunderbare Bühne, auf der das Ballet de Soleil tanzen wird. Außerdem natürlich jede Menge Amüsement, herrliche, wunderbare Getränke warten auf den Besucher des Balls mit guten, erlesenen sächsischen Weinen und Bieren natürlich."

Wer aus den Fenstern des Schlosses auf diese Gesellschaft schaut, wähnt sich in einem barocken Theaterstück über August den Starken. In kleinen Grüppchen sitzen die Damen und Herren im Schatten, genießen den Park und plaudern über die kleinen Probleme des Hochadels.

"Wir sind entzückt von diesem wunderbaren Park, und vom Wetter natürlich auch. Und von dieser netten Gesellschaft, die wir hier haben. Ich bin Samuel Bombastus von Hohenstein, und hier in der Gesellschaft haben sich verschiedene Krankheiten breit gemacht, wie die Syphilis. Und sie bedürfen meiner Hilfe, verschiedene Tinkturen werden hier angeboten."

Am frühen Abend wandern die Besucher zu einer kleinen Lichtung am Ende des Parks, auf der szenisch die Bach-Kantate "Herkules auf dem Scheideweg" aufgeführt wird. Wenig später wird erst die Speisetafel eröffnet, dann folgt der große Hofball mit barocken Tänzen.

Kurz vor Mitternacht beginnt dann der Festumzug zu Ehren des "ungebändigten Gottes Dionysos", angeführt vom Zeremonienmeister.

"Dionysos wird uns führen heute, auf leuchtenden Pfaden in den herrlichen Schlosspark dieses wunderbaren Schlosses. Sie, meine Damen und Herren, folgen uns einfach in die Nacht, in den dunklen Park."

Dionysos erscheint auf einer riesigen, rollenden Barke, begleitet von Nymphen und Mänaden. Die Gesellschaft erlebt auf diesem Nachtspaziergang erst die geheimnisvolle, getanzte Verwandlung der Medusa - wenig später einen Dichterstreit über Tugend und Laster. Dann erklingt der Ruf der Sirenen, der die Gäste verführen soll.

Wer dem lieblichen Gesang der Sirenen widerstanden hat, erlebt um Mitternacht ein pompöses, barockes Abschlussfeuerwerk. Danach spielt das Violin Swing Quartett auf - mit Jazzmusik aus den 30er und 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Mit diesem nicht ganz stilechten Abschluss will die künstlerische Leiterin Beate Furcht ihre Gäste ganz langsam wieder in die Gegenwart zurückholen.

"Weil es sich so auflockert von dieser doch gewissen Steifheit. Dieser barocke Gestus hat ja schon eine Form, die nicht so ganz locker ist. Und ich finde es sehr schön, dass es dann einfach von diesem Statussein weg geht und dass man dann einfach beschwingt zu dieser Swingmusik tanzt. Bis in den Morgen wird dann getanzt und der Tag kann dann so ausklingen."