Bariton Matthias Goerne

Nie belanglos, nie sentimental

Bariton Matthias Goerne im Kulturkaufhaus Dussmann in Berlin; Aufnahme vom Juni 2012
Bariton Matthias Goerne im Kulturkaufhaus Dussmann in Berlin; Aufnahme vom Juni 2012 © picture alliance
Von Ulrike Henningsen · 03.06.2016
Seine Gattung ist aus der Mode bekommen. Doch mit ihm – dem Bariton Matthias Goerne – macht es großes Vergnügen, das Lied-Repertoire von Brahms, Schumann oder Schubert wieder zu entdecken. Er singt kraftvoll und weich. Nie gleitet seine Interpretation ins Belanglose oder Sentimentale.
Der Bariton Matthias Goerne gehört zu den renommiertesten Sängern seiner Generation. Sein Tourplan führte ihn allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres nach Asien, Amerika und in viele große Städte Europas.
Die Einspielungen Goernes vor allem mit Lied-Repertoire werden hochgelobt. Eine umfangreiche Schubert-Edition beim Label harmonia mundi dokumentiert seine Liebe zum Schaffen dieses Komponisten – aber auch zur Gattung Kunstlied. Im Mai kam eine Aufnahme mit Liedern von Johannes Brahms heraus. Begleitet wird der Sänger von Christoph Eschenbach.
Schon im April ist beim Label Erato eine CD des Streichquartetts Quatuor Ebene erschienen. Darauf singt der Bariton fünf Lieder von Franz Schubert in neuem Arrangement.
Ulrike Henningsen hat Matthias Goerne getroffen und mit ihm über seine Faszination für das Kunstlied gesprochen.

Brahms Vertonungen von Gedichten Heinrich Heines, Lieder und Gesänge op. 32 und die "Vier ernsten Gesänge" haben Matthias Goerne und Christoph Eschenbach aufgenommen. Das Kunstlied liegt dem Sänger besonders am Herzen – auch weil es keiner Mode unterworfen ist.
Matthias Goerne: "Die Zeitlosigkeit besteht in der Dimension. Letzten Endes geht es um Menschen und um Konflikte, die unabhängig von allen Zeiten einfach mit unserer Spezies verbunden sind oder nicht. Es ist eine Frage der Betrachtung und der inneren Offenheit und auch eine Weichheit und Verletzlichkeit, die man haben muss, um Stücke durch sich gehen zu lassen."
Qualität von Musik und Texten spielen bei der Auswahl der Stücke für den Sänger eine wichtige Rolle.
"Früher habe ich viel mehr Repertoire gesungen, wo ich sagen würde, das würde ich jetzt unter keinen Umständen mehr machen – sowohl von Brahms als auch von Schumann als auch von Wolf, wo ich sage, entweder das eine oder andere ist nicht gut genug, oder nicht interessant genug – meistens die Fusion. Was ausschlaggebend ist für ein Lied ist letzten Endes, es kann nicht nur der Text sein, oder nur die Musik. Es muss ein Ebenbürtigkeit da bestehen, und wenn man da Zweifel hat, da ärgere ich mich nicht lange, ich sing einfach das Lied nicht, denn es gibt so vieles, was eine hohe und außerordentliche Qualität hat."

Hohe Ansprüche ans Lied

In den "Vier ernsten Gesängen" vertonte Johannes Brahms biblische Texte, die sich mit den Themen Tod und Vergänglichkeit befassen. Das zeitlose Meisterwerk gilt auch als Requiem in Liedform. Und ohne Zweifel erfüllen die Lieder, die Ansprüche, die Matthias Goerne mittlerweile an Stücke stellt.
"Eine Aussage, die stimmig ist, die in Verbindung mit uns steht, mit den Fragen, die die Zeit bringt und es muss eine entsprechende Antwort auch geben. Das kann nicht zu einem Objekt werden nur so für den Genuss. Es gibt viele Stücke, die so sein können – also garantiert Instrumentalstücke, aber sobald Sprache dazu kommt, wird es konkret und wenn das Konkrete nicht in etwas Sinnvollem mündet, ist es unerträglich finde ich. Dann ist es ein Verrat an der Verbindung zwischen Sprache und Musik."
Das Lied-Repertoire Goernes ist breit, besonders intensiv aber hat sich der Bariton mit den Kompositionen von Franz Schubert beschäftigt. Auf der neuen CD des Streichquartetts Quatuor Ebene singt Goerne fünf Schubert-Lieder, die der Cellist des Quartetts Rafael Merlin für Stimme und Streicher-Begleitung arrangiert hat.
Man spürt man die tiefe Auseinandersetzung mit Text und Musik bei den Liedern von Schubert und Brahms. Matthias Goernes Stimme hat ein leicht wiederzuerkennendes Timbre. Er singt kraftvoll und weich zugleich und gestaltet klug und differenziert. Nie gleitet seine Interpretation ins Belanglose oder Sentimentale.
Das gilt auch für den Christoph Eschenbach, der bei dieser Aufnahme wieder zeigt, dass er ein hervorragender Liedbegleiter ist.
Trotz aller Vorzüge dieser feinen Kunstform, ist es besonders im 21. Jahrhundert eine Herausforderung, ein Publikum für diese spezielle Gattung Lied zu finden, betont Matthias Goerne:
"Das ist nicht leicht im Verhältnis zu dem Spektakel, was in unserer Zeit stattfindet an Kommerz, Beschallung, Unterhaltung. Unterhaltung, aber auf einem wahnsinnig vorgekauten Niveau, wo keine Aktivität mehr gefordert ist. Das ist in der Tat sehr, sehr schwierig. Wenn man jetzt aber mal vom positiven Teil spricht, also von dem Moment, wo ein Publikum da ist: Der Grund, warum die kommen liegt wirklich darin, dass das Lied an sich, sich mit Dingen befasst, die so allgegenwärtig im Leben eines jeden Menschen sind - wo Dinge geschehen, die jeder nachvollziehen kann. Es ist ein Spiegel von jeder Form von Humanismus, glaube ich, in dieser Rubrik zu finden und damit ist es zeitlos."