Banal und stilistisch wirr

Von Wolf-Dieter Peter |
Die Oper "Palestrina" von Hans Pfitzner erlebte 1917 in München ihre Uraufführung. Nun wurde sie an der Staatsoper unter der Regie von Christian Stückl wiederaufgeführt. Die Hamburger Intendantin und Generalmusikdirektorin Simone Young dirigierte das Orchester und bot hohes Niveau. Das Fazit: viel gute Musik und viel leerer Bühnen-Aufwand.
1917 und 1978 sind zwei Jahreszahlen, die bezüglich Hans Pfitzners Musikdrama über den großen Kirchenkomponisten "Palestrina" eine gewichtige Rolle spielen: 1917 wurde das Werk im Münchner Prinzregententheater unter Bruno Walter uraufgeführt. Die letzte Neuinszenierung durch Filippo Sanjust fand 1978 im Nationaltheater statt. Der Regisseur der jetzigen Neuinszenierung, Christian Stückl, hat als einstiger Mitwirkender, inzwischen als Reformator und Regisseur der Oberammergauer Passionsfestspiele, als Regisseur des Salzburger "Jedermann" vor der Domkulisse und als Regisseur einer erfrischenden Neudeutung des "Brandner Kaspar" wohl vielfältige Bezüge zur christkatholischen Welt des Werkes und dessen großen, herausfordernden Themen: die Rettung der klassischen Musik durch ein grandioses, überwältigendes Meisterwerk; vor allem aber die Problematik des autonomen Künstlers: ob ihm ein Werk befohlen, seine Kreativität herbei gezwungen werden dürfen. Das war im 16.Jahrhundert ein Thema – das ist es bis heute.

Regisseur Christian Stückl und sein Ausstatter Stefan Hageneier bieten – und die folgende Aneinanderreihung steht für den Stil der Neuinszenierung: eine schwarz-weiße Hallen- und Treppenarchitektur à la Münchner Pinakothek der Moderne oder Bundeskanzleramt; Palestrina anfangs hemdsärmelig mit Hosenträgern, Schnapsflasche und Federkiel, später im hellen Straßenzug; Kirchenfürsten in leicht abstrahierten Soutanen aus hellbeigem Seidensatin; die Erscheinung der "Alten Meister der Tonkunst", der Soldaten oder Kirchensänger in einer schwarz-weißen Kostümmixtur aus vier Jahrhunderten; Auftritte aus der Silhouette einer schwarz-weißen Stretch-Limousine mit farbigem Fahrer in weißer Livree; grün-schwarz-weiße Engel im Weihnachts-Design einer Edelboutique; die Erscheinung der toten Komponisten-Frau, dann aber auch des lebendigen Papstes mit jeweils übergroßen Kopfmasken samt klappenden Augenlidern und Unterkiefer; Auftritte Toter und Lebender aus dem Souffleurkasten; der Komponistensohn mit Bügeleisen; ein Bischof, eine Eistüte lutschend, während der Konzilssitzung; der Vertreter des katholischen Weltmacht Spanien mit Mafia-Prolo-Gehabe inmitten eines Konzils… und und und… Fast alle übrigens mit schwarzen Augenhöhlen und Mündern in weißen Gesichtern… und diese krude Mischung nicht etwa als ironisch bissige Attacke auf Kirchenmacht, nicht in der Holzschnittmanier naiver Volksgläubigkeit… sondern durchweg in Personenführung und Gestik schülerhaft am Text entlang buchstabierend, mit dominierendem Frontalgesang ins Publikum… über dem eher mageren Beifall sollten Stückl und Hageneiner das Buh nicht überhören: eine Arbeit weit unter Staatsopernniveau.

Trost durch die musikalische Interpretation? In Teilen ja. Die koproduzierende Hamburger Intendantin und Generalmusikdirektorin Simone Young am Pult des Bayerischen Staatsorchesters bot hohes Niveau. Die Bandbreite der Partitur zwischen resignativer Melancholie, hochdramatischer Konfrontation und mystisch-schwelgerischem "Engelskonzert" könnte aber deutlich weiter gespannt sein. Uneingeschränkter Beifall für Andrés Masperos Chöre. Falk Struckmanns Künstler-Kardinal Borromeo wirkte trotz vokaler Grenzen wuchtig. Neben ihm glänzten Wolfgang Koch als spanischer Graf, Michael Volle, Roland Bracht und John Daszak als machtbewusste Kardinäle vor rund 20 differenziert besetzten, kleineren Solorollen. Schon Gabriele Scherers Schüler Silla strahlte vokal, doch Christiane Karg als Palestrinas Sohn Ighino sang schlichtweg herzerwärmend.

Darüber hinaus im Zentrum: Ermüdungsfrei und oft leuchtend der Tenor von Christopher Ventris in der Titelrolle – er hätte einen gleichwertigen Inszenierungskünstler für sein Künstlerdrama verdient. Am Ende dann enttäuschte Bitterkeit: so viel gute Musik, so viel leerer Bühnen-Aufwand – und folglich so wenig anspruchsvolles, intelligentes Musiktheater.