Ballettkunst ohne Lobby

Von Wiebke Hüster |
Wenn an deutschen Dreispartenhäusern gespart werden muss, trifft es immer den Tanz. Manchmal wird gleich die Tanzsparte geschlossen, manchmal versucht man, eine große Ballettcompagnie in ein kleineres Tanztheaterensemble umzuwandeln. Das spart Tänzerstellen und die Kosten für die Spitzenschuhe.
Handelt es sich um eine klassische Compagnie, die Werke des Repertoires spielt, heißt das Argument, um sie zu schließen, man wolle kein Museum unterhalten. Handelt es sich dagegen um ein um einen "Autoren" herum gegründetes Ensemble, sind es die mangelnde Auslastung oder die Unverständlichkeit oder die Einseitigkeit der Arbeit.

Jetzt hat die Oper Leipzig der langen Liste ungerechtfertigter, ungerechter Behandlung der Sparte Tanz ein weiteres unrühmliches Kapitel hinzugefügt. Paul Chalmer, seit vier Jahren Ballettdirektor am Haus, leistet dort als Nachfolger von Uwe Scholz höchst erfolgreiche Arbeit.
Nun ist ihm nicht nur die Nichtverlängerung ausgesprochen worden, ohne Angabe von künstlerischen Gründen. Weil der Kommissarische Intendant Alexander von Maravic schon in Chalmers letzter Spielzeit am Ballett sparen will, hat er ihm zwei von drei geplanten Ballettabenden für die nächste Saison einfach abgesagt.

Vor der Premiere von Chalmers Neuinszenierung von "Giselle" im März zwang Maravic das Ballett, in der Endprobenphase die Arbeit an "Giselle" zu unterbrechen, um ein für die Oper Leipzig finanziell einträgliches Gastspiel in Spanien zu absolvieren. Der zweite Ballettsaal wurde der Compagnie weggenommen, ohne dass ihn das Musiktheater unter seinem neuen Regisseur Peter Konwitschny nutzen würde. Die Stelle des Company Managers wurde sang- und klanglos gestrichen. Zu keinem Zeitpunkt wurde der Etat des Balletts offengelegt, geschweige denn wurde dem Ballettdirektor Entscheidungsgewalt über diese Summe zugebilligt. Ballett sei etwas für Omas, ließ der Intendant schließlich wissen.

Leipzig ist kein Einzelfall. Als William Forsythes Ballett Frankfurt geschlossen wurde, gab es keinen Augenblick die Überlegung, ein neues Ballett-Ensemble an der Oper unter einem anderen Direktor zu engagieren. Eine Stadt von dieser Größe und mit einer bedeutenden Museumslandschaft leistet es sich, kein Ballett an den Städtischen Bühnen zu unterhalten.
Am Fall Forsythe sieht man, dass im Grunde nicht einmal der Intendantenstatus eines Ballettdirektors – oder sein Weltruhm in diesem Fall – ihn vor unrühmlicher Abschaffung bewahren können.

Deutschland hat aufgrund seiner Ausdruckstanztraditionen und der Prominenz des Tanztheaters, das sich aus ihnen nach dem Krieg entwickelte, ein gespaltenes Verhältnis zum klassischen Kanon der Tanzkunst. Es herrscht schlicht Unkenntnis, nicht zuletzt bei jenen Intendanten, die meinen, Ballett sei museal. Und wenn schon – würden sie denn dem Direktor des Städel-Museums auch empfehlen, diese alten Rembrandts abzuhängen und im Magazin verschwinden zu lassen?

An den Schulen wird selbstverständlich gelehrt, wer Tschaikowsky war – warum nicht auch, wer Petipa war? Wenn Tschaikowsky doch für ihn gearbeitet hat?

Der Tanz ist am deutschen Stadttheatersystem auch darum in eine Krise geraten, weil sich der Impetus des Tanztheaters abgeschwächt hat – es fehlen die Themen und es fehlen Handschriften.

In einem Land, das eine von seinen Nachbarn bewunderte Theaterlandschaft besitzt, sollten die Intendanten endlich begreifen, dass es ihre Pflicht ist, Ballettdirektoren und Choreographen zu unterstützen, ihnen ihr Haus zu öffnen und sie zu respektieren. Die Tanzkunst ist voraussetzungsreich, aber es lohnt sich, ihre Vergangenheit lebendig zu erhalten und ihre Zukunft zu ermöglichen.