Balkan-Macho und Deserteur

Rezensiert von Uwe Stolzmann · 05.08.2005
Der "jugoslawische Gigolo" ist Branko und er ist ein echter Balkan-Macho. Vor der Gewalt des Bürgerkriegs geflohen und desertiert, wird er selbst zum Gewalttäter und tötet einen serbischen Saboteur. Zoran Drvenkar versucht in seinem neuen Roman, das jugoslawische Bürgerkriegstrauma zu ergründen.
"American Gigolo", das war jener Film von 1980, der dem smarten Richard Gere den Durchbruch brachte. Der "Yugoslavian Gigolo", eine Romanfigur des Erzählers Zoran Drvenkar, ist von anderem Kaliber: kein glatter Hollywood-Mime, kein Hauptdarsteller, sondern Komparse in jener armseligen Tragödie, die in jüngerer Zeit den Balkan verwüstete.

Der Mann heißt Branko, ein Kroate. Wir schreiben das Jahr 1991, der Vielvölkerstaat Jugoslawien zerfällt. Slowenien hat sich eben unabhängig erklärt, dann auch Kroatien, nun sind die Serben einmarschiert, die Truppen der Bundesarmee.

Branko, der Ich-Erzähler, ist Soldat in der kroatischen Armee. Doch an seinem 23. Geburtstag desertiert er. Von einem Urlaub im Heimatdorf kehrt er nicht zurück in die Kaserne. Er flieht - vor dem Bürgerkrieg und vor sich selbst. In einem Touristenort wird er sich verstecken; tagsüber schleppt er Rinderhälften für einen Metzger, nachts zieht er durch Diskotheken und kümmert sich um frustrierte Frauen, um deutsche Frauen, gegen Geld.

Branco, der Gigolo: ein seltsamer Charakter. Eben noch fast sympathisch, plötzlich unerträglich, ein Balkan-Macho, wie er im Buche steht. Ein ganz harter Kerl will er sein, so cool wie der coole Vietnamkriegsveteran Robert de Niro aus "Taxi Driver". Und tatsächlich entpuppt er sich: als brutal und sadistisch. Das heißt: Die Gewalt, vor der er doch fliehen wollte, steckt in ihm.

Ein Kollege aus Brankos Fleischerei, ein Serbe, wird als Saboteur entlarvt. Er hat Würste vergiftet. Branko und ein paar Kumpane machen kurzen Prozess; die Leiche des Serben landet im Müll. Irgendwann zieht Branco nach Norden, in das gelobte Land Deutschland. In München kommt es schließlich zum blutigen Showdown, fast wie im Film...

Zoran Drvenkar, der Schöpfer des "Yugoslavian Gigolo", hat einiges mit seiner Figur gemein: Auch Drvenkar wurde Ende der Sechziger in Kroatien geboren – just in jenem Ort, in dem sein Held Branko sich vor dem Krieg versteckt. Dreijährig kam Drvenkar mit den Eltern nach Deutschland; er lebt in Berlin. Auf Druck des Vaters musste auch er, Zoran Drvenkar, in Kroatien zur Musterung. "Schrecklich" war es, das weiß er noch, "sehr peinlich". Alle Cousins seien dann tatsächlich bei der Truppe gewesen - "und sie gingen gern hin".

Als freier Schriftsteller hat Zoran Drvenkar bislang rund ein Dutzend Romane geschrieben, vor allem Kinder- und Jugendbücher, viele wurden hoch gelobt. Sein vorletztes Werk, aus dem Jahr 2004, war ein Thriller mit amerikanischem Tempo: "Du bist zu schnell", ein effektvoller, gut komponierter Roman über die Abgründe von Sucht und Psychose.

In seinem jüngsten Buch versucht Zoran Drvenkar das jugoslawische Trauma zu ergründen – und jenes ferne, ihm längst fremd gewordene Land, das er nur noch von Reisen und aus den Fernsehnachrichten kennt. Voller Trauer und Zorn schreibt Drvenkar über Kroatien, in einem kargen, nüchternen Stil. Man spürt die Enttäuschung des Wahl-Berliners, den anhaltenden Schock über das Blutvergießen, auch sein Unverständnis – und vor allem spürt man den Schmerz.

Zoran Drvenkar: Yugoslavian Gigolo
Roman. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2005.
278 S., 18,50 Euro.