Tourismus auf Bali

Wenn die Gäste wegbleiben

26:39 Minuten
Leere Sonnenliegen an einem Strand auf Bali.
Obwohl auch in Indonesien ganz regulär wieder Touristen einreisen können, hat sich die Branche auf Bail von den Einschränkungen durch die Covid-19-Pandemie bisher nicht erholt. © IMAGO/YAY Images
Von Sophie Anggawi · 13.07.2022
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2019 war auf Bali noch ein gutes Jahr für die Tourismusbranche: 6,3 Millionen internationale Besucher kamen. Dann brach mit Corona das Geschäft ein und es erholt sich auch nach den Lockerungen im Frühjahr nur schleppend. Für manche ist das ein Fluch, für andere ein Segen.
Trauminsel Bali. Sechs Millionen Touristen jährlich. Strände, Surfspaß und Kultur. So war es. Doch dann kam Covid. Und die Trauminsel veränderte sich.
„Es war unglaublich leer. Ich hatte richtig Angst. Selbst mittags. Nachmittags um 03.00 Uhr und ich hatte Angst, weil auf den Straßen keine Menschen waren. So leer war es. Links und rechts habe ich geguckt, hatte Angst, dass ich überfallen werde in den leeren Straßen. Früher war es dort brechend voll. Heute ist alles geschlossen", erzählt Wayan, der Liegen vermietet.
„Bali, ich fahr mal eben weg, ja?
weg von deinen Stränden, die so schön sein sollen
die aber von Riesenhotels umzingelt sind"
Die balinesische Band Nosstress besingt ihre Heimatinsel, das Lied stammt von 2017. Während der Pandemie klang das Lied wie ein Soundtrack. Touristenströme brachen ab. In Hotels gähnende Leere. Ausgestorbene Strände. Pro und Contra einer ausufernden Tourismusindustrie erschienen in den letzten Jahren wie unterm Brennglas.

Die Kehrseite, ein Inselparadies zu sein  

Zu Beginn des letzten Jahrhunderts – noch unter niederländischer Kolonialherrschaft – gelangte Bali als Inselparadies zu Weltruhm. Ab den 70ern unter der Regierung des Diktators Suharto, sollte es das extraordinäre Aushängeschild einer modernen Volkswirtschaft werden. Für den Taxifahrer Saferius ist Balis Anziehungskraft einleuchtend:
„In den Augen der Welt ist Bali einfach außergewöhnlich. Die Kultur, die Menschen sind zugänglich, ihr Verhalten freundlich. Alle, die herkommen, sind glücklich, weil es so schön ist. Es gibt wenig Regeln. Touristen können einfach Moped fahren. Bitte, kein Problem. Alles gut, oder?“
Zahlreiche Touristen warten an einer Promenade auf die Abfahrt von Passierboten.
Mit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie verließen im März 2020 fluchtartig viele Touristen Bali, und kamen in der Größenordnung bisher auch nicht wieder.© imago images/INA Photo Agency/Muhammad Rifqi Riyanto
Vor der Pandemie – da landeten jährlich mehr Touristen auf der Insel, als Balinesen dort sesshaft sind. Der Kuta Beach lockt vor allem die Massen aus Australien, wie ein Ballermann Asiens. Bali allein spült jedes Jahr mehrere Milliarden US-Dollar in die nationalen Kassen. Die Insel ist komplett auf sonnenhungrige Ausländer ausgerichtet. Ein Manko, sagt Fenty Liliani, Journalistin und somit Teil der Mittelschicht.
„Viele sind betrunken, ihr Umfeld ist ihnen egal. Manche laufen sogar einfach nackt rum. Ist ja eigentlich auch ganz lustig für uns alle. Ey! Ein nackiger Touri! … Aber sie sind auch so sensibel. Sie haben den Anspruch, dass wir sie verehren. Wir wollen doch alle nur die Insel genießen. Warum können die Touristen genießen, wir aber nicht? Und der Grund ist irgendwie immer, dass wir nicht genug Geld haben.“
Bali den Touristen. Und nur den Touristen. So war es. Aber: Die Pandemie hat die überfüllten Hotelanlagen im Süden leer gefegt. Für die lokale Bevölkerung war das ein Novum.

Die Touristen kommen jetzt aus Indonesien

„Wegen Covid musste die Tourismusindustrie dann lernen, auch uns wertzuschätzen. Woher sollten sie sonst Geld bekommen? Keine Touris da. Ob sie wollten oder nicht, sie mussten die lokale Bevölkerung bewirten. Für mich war es auch ganz schön, das mal zu erleben. Früher wollte ich so gerne mal zu solch besonderen Orten. Erst Covid hat mir das ermöglicht! Tolle Hotels erleben – und wow, endlich bezahlbar! So fühlt sich das also an, Touristin zu sein. Das war der Pluspunkt der Pandemie", sagt Fenty Liliani.
Aber die Tourismusindustrie beschäftigt eben auch die meisten Balinesen und zugewanderten Indonesier. Als die Ströme von Urlaubern versandeten, verloren viele ihre Arbeit; konnten auf einmal nur noch einen Bruchteil ihres vorigen Einkommens mit nach Hause bringen.
„Ich habe hier und da nach Arbeit gesucht, bin überall hingefahren. Mein Geld habe ich fürs Benzin ausgegeben. Und trotzdem keine Arbeit gefunden", sagt Liegenvermieter Wayan.
Vielen Balinesen ging es wie dem Sonnenliegen-Vermieter Wayan.

Ohne Touristen, keine Arbeit, kein Essen

„Als ich zu Hause ankam, haben meine Kinder oft gesagt: Papa, wir haben noch nicht gegessen. Gestern gerade erst wieder. Am Abend habe ich den Liegenstand hier geschlossen. Da riefen meine Kinder an: Papa, waren heute Touristen am Strand? Wieso, habe ich gefragt. Wir haben noch nicht gegessen. Besonders in den Pauschaltourismus-Hochburgen an der Küste wurde die Arbeit knapp – die Anlagen verwahrlosten, weil das Personal nicht bezahlt werden konnte, dass sie in Schuss gehalten hat.“
Viele sind zurück in die Dörfer gezogen, in denen ihre Familien wohnen, erzählt ein Hotelmanager.
„Es ist tatsächlich schwerer, in der Stadt zu wohnen als auf dem Land. Auf dem Land gibt es ja alles. Da muss man keine Miete bezahlen und Essen kaufen. Auf dem Dorf ist das ja alles da. Man kann dort Nahrung finden. Weil auf dem Dorf die Arbeit nicht wegbricht, wie die Landwirtschaft, Gemüse anbauen. Da ist die Arbeit ertragreich.“
Die meisten Balinesen, die in Hotels und Restaurants in den touristischen Epizentren der Insel arbeiten, kommen aus den ländlichen Regionen der Insel. Haben dort Familie und einen Rückhalt in der Dorfgemeinschaft. Dort konnten sie unterkommen. Auch Liegenvermieter Wayan hat versucht, als Bauer Fuß zu fassen.

Rückkehr in die Dörfer

„Es gab Arbeit. Aber das Einkommen war nicht genug. Manchmal hat es nur für den Monat gereicht. Die laufenden Kosten konnte ich damit nicht decken. Der Einsatz hat sich nicht gelohnt. Bauer war ich also nicht lange. Nur ungefähr für ein halbes Jahr. Danach haben die Affen und Ratten alles kaputtgemacht und meine Ernte geklaut. Gegen die Pandemie kam niemand an. Alles war zerstreut. Es sind eben nicht nur die Menschen, die von Covid bedroht waren. Wir waren alle durch mit den Nerven.“
Auch im Inland, in der Nähe des Yoga-Hotspots Ubud war die Lage angespannt. Eat, pray, love – dafür kommen die Individualtouristen her. Das “echte!” Bali. Reisterrassen –endloses Grün.
Ibu Wayan und ihre Familie haben deswegen Ferienhäuser auf ihre Felder gebaut. Eine Investition für die Zukunft sollte es sein. Jetzt sitzen sie auf den Schulden für die leer stehenden Häuser. Auf den zugebauten Feldern kann man nichts mehr anbauen, nichts ernten.
„Ich hatte Panik! Wir müssen ja jeden Monat den Kredit bezahlen und auch essen. Wo soll ich das Geld hernehmen? Das war stressig. Die Mietpreise für Villen sind gesunken. Wir hatten wenigstens eine Touristin, die in unserem Haus gewohnt hat. Sie hat gesagt, dass sie kein Geld hat. Sie wollte weniger zahlen. Sie hat gesagt, sonst zieht sie aus. Ich hatte Panik – woher sonst soll ich Geld kriegen? Also hab ichs ihr zum halben Preis gegeben.“

Kein Geld für Essen

Seine Familie nennt sich selbst die Happy Family. Es ging ihnen in der Pandemie trotz allem besser als anderen Menschen aus ihrem Dorf.
„Ich war trotzdem dankbar. Wir konnten die Bank bezahlen. Wenigstens Reis und Gemüse kaufen. Dankbar bin ich. Zwei Jahre lang haben wir gesund gelebt, sind ausgekommen. Mein Schwager, der ist richtig arm. Hat keinen Vater, seine Mutter kann nicht arbeiten. Vor Covid hat er gearbeitet und wurde dann entlassen. Es ist so traurig. Wo soll er arbeiten? Wenn ich 20 Kilo Reis gekauft habe, dann haben wir geteilt. Damit er leben kann.
Die Crux des Massentourismus. Postkartenmotive wie Reisterrassen sind grauem Zement gewichen. Neben Tempelanlagen und den weiten Stränden war die Reisfeldlandschaft seit jeher Hauptgrund für den Hype um Bali.
Reisfelder und Reisterassen auf Bali, Indonesien.
Reisterrassen, die wie diese vor der Pandemie bebaut wurden, fehlen jetzt für die wichtige Landwirtschaft. © IMAGO/blickwinkel/l. Schulz
Immer weniger Platz bleibt den Balinesen für die Landarbeit. Diese Verdrängung beobachten seit einiger Zeit auch lokale NGOs.
„Wie kann es sein, dass das Volk hungert? Indonesien ist doch angeblich ein agrarwirtschaftliches Land. Der Boden ist fruchtbar, wir können alles anpflanzen. Warum hungern so viele?“, sagt NGO-Mitarbeiter Gilang.
Die Pandemie hätte eine Rückbesinnung sein können.
„Die Regierung hat viele wichtige Momente verstreichen lassen, die die Situation hätten verbessern können. Als beispielsweise in der Pandemie der Tourismus wegfiel, da sind viele zurück in die Dörfer gegangen, um als Bauern zu arbeiten. Das wurde nicht genutzt für einen Wandel der Politik, wie: ´Okay, dann verbessern wir die Landwirtschaft!` Sie haben nur gesagt: ´Die Landwirtschaft wächst wieder.` Aber es wurde nichts gemacht wie: ´Wenn das so ist, dann ändern wir die Regelungen. Dann schützen wir die Landwirtschaft mehr, machen sie gerechter. Stellen mehr Land zur Verfügung.` Stattdessen gehen die Menschen zurück in die Stadt, wenn die Touristen zurückkommen.“

Keine Lehren aus der Pandemie?

Gilang arbeitet zusammen mit einer lokalen Umweltorganisation. Er ist außerdem Gründungsmitglied eines Punk-Kollektivs, das lokale Proteste gegen den Massentourismus unterstützt.
„Das Problem wollten wir hervorheben. Wir, die Bevölkerung, müssen doch essen. Und landwirtschaftlichen Flächen droht das Aus? Es könnte ja eine nächste Krise kommen. Eine andere Pandemie oder ein Krieg zum Beispiel. Könnte ja passieren.“
In der Pandemie hat das Kollektiv Essensausgaben für diejenigen organisiert, deren Einkommen weggebrochen ist. “Punk Pangan” – übersetzt “Punk Nahrung” – hieß die wöchentliche Aktion.
„Als wir die ersten Male Essen verteilt haben, sind viele gekommen. Viele brauchten das. Es war richtig voll. Es musste sogar aufgelöst werden von der Polizei. Wie traurig eigentlich. Dazu hätte es nicht kommen dürfen. Sie hätten helfen müssen, Abstand zu halten.“
Die Menschen wollten ja Abstand halten, aber sie brauchten vielleicht einfach so dringend Essen, dass sie gedrängelt haben. Wir haben gesagt “bitte vorsichtig!”, aber sie haben gedrängelt “bitte ich, ich!”.

Die Krise hat die Solidarität gestärkt

Überstanden haben viele Balinesen die Pandemie nur deswegen, weil der Zusammenhalt in der Bevölkerung groß war. Wer teilen konnte, hat geteilt.
Für Gilang hat die Pandemie die Abhängigkeit der Insel vom Tourismus erst richtig aufgedeckt.
„Für uns ist “Punk Nahrung” keine Wohltätigkeitsveranstaltung. Es ist Solidarität. Wir haben nicht nur Gemüse geteilt, sondern auch unsere Perspektive auf die sozialpolitische Lage und die Politik der Nahrungsmittel-Krise.“
Langsam kehren die Touristen nun nach Bali zurück. Was wird von den Erkenntnissen aus der Pandemie hängen bleiben? Ist es aussichtslos zu hoffen, dass sich langfristig etwas ändern kann auf der Insel? Gilang wünscht sich, dass die Bevölkerung weniger abhängig ist vom Tourismus. Dass sie die Vor- und Nachteile des Tourismus abwägen kann.
„Es geht um ein Umdenken. Das Wichtigste ist, dass die Bevölkerung sich jetzt wundert: Wieso kann so eine Krise überhaupt passieren? Da ist doch was faul. Diese kritische Haltung ist wichtig, damit wir weitermachen können. Nur wenn das so weitergeht, dann kann sich wirklich etwas ändern an der sozialpolitischen Lage.“

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