Baldige Schließung von Guantanamo erwartet

Der UN-Sonderberichterstatter über Folter, Manfred Nowak, geht davon aus, dass das US-Gefangenenlager Guantanamo noch in diesem Jahr geschlossen wird. Ein guter Zeitpunkt für US-Präsident George W. Bush, eine solche Entscheidung zu verkünden, sei der EU-USA-Gipfel am 21. Juni in Wien, sagte Nowak. Er gehe davon aus, dass Bush Zugeständnisse von den Europäern erwarte.
Marie Sagenschneider: Über die Schließung des Gefangenenlagers in Guantanamo wollen wir mit Herrn Nowak sprechen. Er ist UN-Sonderberichterstatter für Folter. Guten Morgen Herr Nowak.

Manfred Nowak: Guten Morgen

Sagenschneider: Nachdem nun ganz Europa gegen Guantanamo protestiert, was bleibt da noch um mehr Druck auf die USA auszuüben

Nowak: Zum einen ist am 21. Juni ein Gipfel zwischen der Europäischen Union und Präsident Bush in Wien angesagt. Das heißt, dass das eine gute Gelegenheit wäre, auch für den Präsidenten der Vereinigten Staaten deutlich zu machen gegenüber seinen europäischen Alliierten, dass er bereit ist, Guantanamo zu schließen, natürlich unter gewissen Voraussetzungen, die auch ein Zusammenarbeiten mit der europäischen Union einschließt, das heißt, ein gewisses Burden Sharing. Zum zweiten wird noch vor Ende Juni eine sehr wichtige Entscheidung des amerikanischen Obersten Gerichtshof erwartet. Und ich gehe davon aus, dass in dieser Entscheidung die Legitimität der Militärkommissionen in Frage gestellt wird, die derzeit über allerdings nur eine kleine Anzahl von zehn, elf Häftlingen, deren Anklagen entscheidet. Wenn diese Entscheidung für Bush negativ ausgeht, dann bedeutet das, dass diese Personen vor unabhängige Gerichte gestellt werden müssen. Und die existieren in Guantanamo nicht. Also ein weiterer Grund, um Guantanamo zu schließen, und die Leute vor unabhängige Gerichte in den Vereinigten Staaten oder auch in andere Staaten zu bringen.

Sagenschneider: Sie haben vorhin davon gesprochen, dass Bush möglicherweise den Europäern ein Angebot unterbreiten wird, dass es auch in Zusammenarbeit mit der Europäischen Union gehen könnte. Was heißt das denn konkret?

Nowak: Ich könnte mir vorstellen, dass er, der ja auch schon dabei ist, die Anzahl der Häftlinge zu reduzieren, in dem sie an ihre Herkunftsländer zurück verwiesen werden. Dass er auch sagt, in manchen Fällen ist das einfach nicht möglich, weil die Gefahr, dass diese Leute dann Folter oder anderen schweren Menschenrechtsverletzungen in diesen Ländern ausgesetzt sind, zu groß ist. Das heißt, für diese Personen müssen wir Drittländer finden, weil es durchaus verständlich ist, dass nicht alle diese 460 Häftlinge dann wirklich vor US-Gerichte gestellt werden. Und wenn man nicht genügend Beweise hat, dann dort einen bleibenden Aufenthalt bekommen sollten. Daher ist es sinnvoll, dass auch Deutschland oder Frankreich oder Österreich etcetera, also jene Staaten auch in Europa, die mit Recht die Legitimität des Lagers in Guantanomo anzweifeln, auch eine gewisse Hilfestellung leisten, indem sie sagen, wir nehmen eine gewisse Anzahl von Guantanomo-Häftlingen, wir stellen sie vor unsere Gerichte. Und wenn sich herausstellt, dass sie unschuldig sind, dann müssen sie aber frei gelassen werden, und dann müssen wir uns aber auch darum kümmern, dass für diese eine bleibende Lösung gefunden wird.

Sagenschneider: Sehen Sie denn die Bereitschaft dazu? Denn bei einigen europäischen Ländern hatte man ja lange Zeit nicht das Gefühl, dass da großes Engagement gibt, Inhaftierte frei zu lassen, die eben aus den jeweiligen Ländern auch kommen.

Nowak: Das ist richtig. Aber auf der anderen Seite ist es nicht genug zu kritisieren. Kritik bedeutet konstruktiv zu sein, das heißt, auf der einen Seite die Amerikaner natürlich daran zu erinnern, dass sie dem Volk gerecht gemäß handeln sollen. Aber gleichzeitig ihnen auch eine goldene Brücke zu bauen. Und das bedeutet ein Burden Sharing. Das gleiche gilt auch für die gesamte Frage der geheimen Lager, die es möglicherweise in Europa gab, wo die europäischen Regierungen nicht genügend wirklich Informationen zur Verfügung gestellt haben, dass das wirklich aufgeklärt wird. Die Rendition-Flüge, die ja auch zum Teil über europäisches Territorium gingen, und wo Leute dann weitergesandt wurden nach Ägypten oder Syrien etcetera, was eindeutig eine Verletzung des Völkerrechts war. Das heißt, hier gibt es eine gemeinsame Verantwortung. Daher auch mein Appell an die europäischen Regierungen, ihre Verantwortung wahrzunehmen, damit Guantanamo geschlossen werden kann.

Sagenschneider: Vor einigen Wochen, Herr Nowak, haben Sie hier in Deutschlandradio Kultur gesagt, Sie glauben, dass die USA das Lager in absehbarer Zeit in Guantanamo schließen werden. Damals haben Sie von fünf Monaten gesprochen, in etwa. Bleiben Sie dabei?

Nowak: Ja, ich bleibe dabei. Ich gehe davon aus, dass es sicherlich heuer noch geschlossen wird. Aber ich könnte mir vorstellen, dass die jüngsten Selbstmorde in Guantanamo Bay diesen Entscheidungsprozess beschleunigen wird.

Sagenschneider: Die USA haben ja nun zugesagt, diese Selbstmorde umfassend aufzuklären. Es gibt Stimmen aus Deutschland, die fordern diese Aufklärung den Vereinten Nationen zu überlassen. Wäre das besser, allein der Glaubwürdigkeit wegen?

Nowak: Natürlich. Also die derzeitigen Untersuchungen, die ja von dem Verteidigungsministerium gemacht werden, finde ich in keinem Fall unabhängig und daher auch nicht notwendigerweise glaubwürdig. Es wäre durchaus sinnvoll, dass eine, aber das müsste sehr schnell geschehen, dass zum Beispiel jene fünf Sonderberichterstatter, die im Februar ihren gemeinsamen Bericht über die Situation der Häftlinge in Guantanomo Bay vorgelegt haben, dass die zum Beispiel eingeladen werden, eine gemeinsame Untersuchungskommission zu machen, oder, dass der Generalsekretär der Vereinten Nationen eine unabhängige Untersuchungskommission zusammenstellt. Das ist sicherlich sinnvoller und glaubwürdiger, als wenn es wieder nur interne Untersuchungen der Vereinigten Staaten sind.

Sagenschneider: Bemühen Sie sich eigentlich darum, uneingeschränkten Zugang zu den Häftlingen zu erhalten?

Nowak: Wir haben uns sehr, sehr lange darum bemüht. Derzeit ist es sicherlich nicht mehr meine Priorität, weil wir ja unseren Bericht vorgelegt haben und sehr gut wissen, wie die Situation in Guantanomo ist. Sollte die Regierung der Vereinigten Staaten allerdings ihre Meinung ändern und uns wirklich unbeschränkten Zugang gewähren, sind wir natürlich weiterhin, und ich auch persönlich, durchaus bereit, Guantanamo zu besuchen. Aber wie gesagt, wichtiger ist derzeit, dass das Lager geschlossen wird, als dass es offen bleibt, damit wir es in absehbarer Zeit besuchen können.

Sagenschneider: Wie stellt sich Ihnen denn die Situation in Guantanamo dar, wenn Sie sagen Sie wissen recht gut darüber Bescheid.

Nowak: Die Situation hat sich sicherlich zum Teil verbessert. Das heißt, jene Verhörmethoden, die Rumsfeld Ende 2002, dann nochmals in April 2003 ausdrücklich angeordnet hat, und die wir als zumindest erniedrigende und unmenschliche Behandlung qualifiziert haben, in vielen Fällen aber auch als Folter, die sind sicherlich im Laufe der Zeit besser geworden. Auf der anderen Seite, natürlich, hat sich die Lage verschärft, weil die Leute nun mehr als vier Jahre hier angehalten werden ohne irgendeine Hoffnung zu haben, weil man ihnen sagt, ihr könnt hier so lange angehalten werden, bis der Krieg gegen den Terror vorbei ist, und das heißt ohne zeitliche Begrenzung. Und das ist der wesentliche Grund, der die Menschen depressiv macht, der sie in den Hungerstreik treibt, oder zum Teil zum Selbstmord

Sagenschneider: Manfred Nowak, der UN-Sonderberichterstatter für Folter, im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur.