Bahr: Merkel hat keine Durchsetzungskraft wie Kohl
Der FDP-Gesundheitsexperte Daniel Bahr hält die Machtfrage innerhalb der Union für ungeklärt. Vor dem Hintergrund des wochenlangen Tauziehens um die Gesundheitsreform zwischen der Großen Koalition und den unionsgeführten Bundesländern sagte Bahr, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe keine ausreichende Kontrolle über die Ministerpräsidenten ihrer Partei.
Christopher Ricke: Genau heute vor drei Monaten, am 12. Juli, hat das Bundeskabinett die Eckpunkte der Gesundheitsreform 2006 verabschiedet. Ziel, ein Reformgesetz, das die Finanzierung und die Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems für die Zukunft sichert. Genau heute vor einer Woche, am 5. Oktober, haben sich die Spitzen der Koalition geeinigt. Die letzten noch offenen Punkte sind geklärt, erklärte man stolz und froh. Heute nun soll der Referentenentwurf vorliegen.
Komischerweise geht der Streit aber immer weiter und weiter und weiter. Die nächste Runde im Hickhack hat längst begonnen: Bei der SPD murren Einzelne über den Zusatzbeitrag; bei der CDU/CSU meckert man, dass sich die Ministerin von der SPD bei der privaten Krankenversicherung aufs Tricksen verlegt habe. Es soll sogar eine ganze Mängelliste bei der Union geben. Ich spreche jetzt mit einem Mann, der nicht Mitglied ist in der Großen Koalition, der sich die Sache von außen ansieht, mit dem gesundheitspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Daniel Bahr.
Daniel Bahr: Guten Morgen, Herr Ricke.
Ricke: Mit welchem Gefühl sieht man das denn von der Oppositionsbank? Ist das reine Schadenfreude?
Bahr: Nein, das sehe ich mit sehr gemischten Gefühlen. Natürlich wollte die FDP mit an der Regierung beteiligt sein und wollte mitgestalten, auch gerade in der Gesundheitspolitik. Und jetzt könnten wir uns freuen, weil wir sehr viel Zuwachs haben. Wir haben tolle Umfragewerte, es gibt viele Menschen, die jetzt sagen, die FDP überzeugt sie in der Gesundheitspolitik mehr. Aber das ist natürlich frustrierend, wenn wir sehen, dass die Koalition überhaupt gar kein Ziel verfolgt. Die blockieren sich gegenseitig, SPD und Union wissen nicht, was sie wirklich in der Gesundheitspolitik erreichen wollen.
Und mein Eindruck, gerade in den letzten Wochen ist, dass es gar nicht mehr um die Gesundheitspolitik geht, sondern nur noch um Schattenkämpfe, um ganz andere Dinge. Da geht es nicht mehr um die Sachpolitik. Und das tut mir als Gesundheitspolitiker natürlich sehr weh, weil ich glaube, dass uns die Probleme im Hinblick auf eine alternde Bevölkerung ja noch in den nächsten Jahren bevorstehen und da dürfen wir nicht viel Zeit verlieren. Und die Große Koalition tut so, als ob sie mit dieser Reform eine große Reform auf den Weg bringt, in Wirklichkeit beschäftigt sie sich nur mit sich selbst.
Ricke: Das Kernstück der Reform ist ja auf das Jahr 2009 verschoben, der Fonds. Er wird also frühestens in der kommenden Legislaturperiode etwas werden. Dann soll es aber, das sagen alle, keine Große Koalition mehr geben und die FDP könnte wieder mit in der Regierung sein. Haben Sie dann den Mut, zu sagen, diesen Fonds, den kippen wir? Also haben Sie den Mut, den Schwarz und Rot jetzt nicht aufbringen?
Bahr: Den Mut haben wir. Wir haben gesagt, dass wir von diesem Fonds nichts halten, er löst kein einziges der Probleme, vor denen wir in der Gesundheitspolitik stehen. Der Fonds war ja nur die Idee, dass sich sowohl SPD und CDU wiederfinden können. Er sollte sozusagen vereinigen, die Bürgerversicherung, die die SPD will, und die Kopfpauschale, die die CDU will. Er war also ein bisschen die Eier legende Wollmilchsau. Es hat sich aber gezeigt, dass der Fonds, an dem immer mehr geändert wurde, beides eigentlich nicht miteinander verbinden kann und in der Medizin würden wir sagen, eine Scheininnovation ist. Es erweckt den Eindruck einer großen Reform, aber strukturell ändert sich nicht viel. Ich glaube auch, dass der Beschluss, dass dieser erst 2009 kommen soll, schon ein bisschen zeigt, dass die Koalition erstens nicht damit rechnet, dass sie bis 2009 noch die Bundesregierung stellt. Und zum zweiten, dass man damit Zeit gewonnen hat und möglicherweise im Jahre 2008 noch einmal sich neu diese Gesundheitsreform anschauen kann und sollte.
Das ist zumindest meine Hoffnung, denn Sie müssen eines auch sehen: Wenn man einmal eine Behörde aufgebaut hat wie den Gesundheitsfonds, dass 70 Millionen Versichertenkonten nun verwaltet werden sollen und gleichzeitig bei den Krankenkassen ja auch 70 Millionen Versichertenkonten geschaffen werden sollen, wenn immer mehr Einfluss die Politik auf das Gesundheitswesen bekommt, dadurch, dass nicht nur der Fonds, sondern auch der Beitragssatz hier politisch zu entscheiden sind, dass Sie einen gemeinsamen Bundesausschuss haben, der sagt, was gute und schlechte Medizin ist, und dieser gemeinsame Bundesausschuss erst einmal dem Ministerium voll unterstellt wird - dann sind das Entscheidungen, die den Weg in ein staatliches und zentralistisches Gesundheitssystem ebnen.
Und da mache ich mir schon Sorgen, denn wenn Sie diese Entscheidungen einmal getroffen haben und diese Behörden aufgebaut haben, ist es unheimlich schwer, das wieder rückgängig zu machen. Das heißt, es wird unsere Aufgabe sein, in den nächsten Jahren darauf aufzupassen, dass hier nicht Fehlentscheidungen getroffen werden, die es uns sehr, sehr schwer machen, wieder zu einem freiheitlichen, transparenten und wettbewerblichen Gesundheitswesen zu kommen.
Ricke: Die FDP möchte gerne in die Regierung. Man gibt sich selber auch gute Chancen das spätestens 2009 zu schaffen. Da müssen Sie sich ja Ihren zukünftigen Koalitionspartner, den Sie gerne hätten, genau ansehen. Die CDU/CSU, da gibt es gerade heftigen Streit, da gibt es auch eine Konfliktlinie zwischen den Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin. Erkennen Sie denn bei den Herren Wulf, Koch, Müller, Oettinger und Stoiber echte Sorge um die Gesundheitspolitik, oder schleichen da einige, aus Ihrer Sicht, mit dem Dolch im Gewande um die Bundeskanzlerin herum?
Bahr: Ich glaube, es gibt unterschiedliche Gründe. Sicherlich hat das damit zu tun, dass die Machtfrage in der Union offensichtlich nicht geklärt ist. Die Kanzlerin hat anscheinend nicht die Durchsetzungskraft als Bundeskanzlerin, wie es ein Bundeskanzler Kohl noch innerhalb der Union hatte. Da hätten sich Ministerpräsidenten das nie erlaubt, was die sich jetzt erlauben. Aber ich habe auch den Eindruck, dass es schon um die Auswirkungen der Reform geht. Man hat sich einmal durchgerechnet, wie wirkt sich die Reform in den nächsten Jahren aus. Vielleicht aus dem besonderen Interesse heraus, dass die Ministerpräsidenten, einige zumindest, im Jahre 2008 wichtige Landtagswahlen vor sich haben. Und wenn sie dann erleben, dass der Beitragssatz enorm steigen wird - ich gehe davon aus, dass er im Jahre 2008 über 15 Prozent sein wird - dann sehen sie ihre Chancen bei diesen Wahlen schwinden.
Das waren sicherlich also unterschiedliche Gründe, die sie dazu bewegt haben, aber die Ursache ist auch diese Reform und damit die steigende Beitragslast für die Versicherten. Das hat sicherlich dazu geführt, dass es innerhalb der Union im Moment einen Führungsstreit gibt, auch man nicht mehr weiß, wofür die Union inhaltlich steht. Ich will gar nicht verhehlen, wenn wir mit der Union eine Koalition gebildet hätten, hätte es auch Streit zwischen FDP und CDU gegeben. Wir waren auch nicht einer Meinung in der Gesundheitspolitik. Aber ich hoffe und glaube, dass es dort doch eine größere Übereinstimmung über die Richtung gegeben hätte, als dieser konfuse Haufen, den im Moment die Union so abgibt.
Insofern wird sich die Union jetzt auch entscheiden müssen in welche Richtung sie geht. Das ist für mich in der Gesundheitspolitik im Moment überhaupt nicht erkennbar. Sie hat grottenschlecht verhandelt und sie ließ sich von Ulla Schmidt und der SPD von einen auf den anderen Punkt immer wieder vorführen. Das aktuelle Beispiel ist ja wieder, dass man sich auf etwas geeinigt hat und der Entwurf, der aus dem Ministerium kommt, scheint offensichtlich sehr weit über das hinaus zu gehen, was die Einigung war. Also wieder spielt Ulla Schmidt eine Bazar-Strategie und die CDU schaut nur zu.
Ricke: Vielen Dank, Daniel Bahr. Er ist der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.
Komischerweise geht der Streit aber immer weiter und weiter und weiter. Die nächste Runde im Hickhack hat längst begonnen: Bei der SPD murren Einzelne über den Zusatzbeitrag; bei der CDU/CSU meckert man, dass sich die Ministerin von der SPD bei der privaten Krankenversicherung aufs Tricksen verlegt habe. Es soll sogar eine ganze Mängelliste bei der Union geben. Ich spreche jetzt mit einem Mann, der nicht Mitglied ist in der Großen Koalition, der sich die Sache von außen ansieht, mit dem gesundheitspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Daniel Bahr.
Daniel Bahr: Guten Morgen, Herr Ricke.
Ricke: Mit welchem Gefühl sieht man das denn von der Oppositionsbank? Ist das reine Schadenfreude?
Bahr: Nein, das sehe ich mit sehr gemischten Gefühlen. Natürlich wollte die FDP mit an der Regierung beteiligt sein und wollte mitgestalten, auch gerade in der Gesundheitspolitik. Und jetzt könnten wir uns freuen, weil wir sehr viel Zuwachs haben. Wir haben tolle Umfragewerte, es gibt viele Menschen, die jetzt sagen, die FDP überzeugt sie in der Gesundheitspolitik mehr. Aber das ist natürlich frustrierend, wenn wir sehen, dass die Koalition überhaupt gar kein Ziel verfolgt. Die blockieren sich gegenseitig, SPD und Union wissen nicht, was sie wirklich in der Gesundheitspolitik erreichen wollen.
Und mein Eindruck, gerade in den letzten Wochen ist, dass es gar nicht mehr um die Gesundheitspolitik geht, sondern nur noch um Schattenkämpfe, um ganz andere Dinge. Da geht es nicht mehr um die Sachpolitik. Und das tut mir als Gesundheitspolitiker natürlich sehr weh, weil ich glaube, dass uns die Probleme im Hinblick auf eine alternde Bevölkerung ja noch in den nächsten Jahren bevorstehen und da dürfen wir nicht viel Zeit verlieren. Und die Große Koalition tut so, als ob sie mit dieser Reform eine große Reform auf den Weg bringt, in Wirklichkeit beschäftigt sie sich nur mit sich selbst.
Ricke: Das Kernstück der Reform ist ja auf das Jahr 2009 verschoben, der Fonds. Er wird also frühestens in der kommenden Legislaturperiode etwas werden. Dann soll es aber, das sagen alle, keine Große Koalition mehr geben und die FDP könnte wieder mit in der Regierung sein. Haben Sie dann den Mut, zu sagen, diesen Fonds, den kippen wir? Also haben Sie den Mut, den Schwarz und Rot jetzt nicht aufbringen?
Bahr: Den Mut haben wir. Wir haben gesagt, dass wir von diesem Fonds nichts halten, er löst kein einziges der Probleme, vor denen wir in der Gesundheitspolitik stehen. Der Fonds war ja nur die Idee, dass sich sowohl SPD und CDU wiederfinden können. Er sollte sozusagen vereinigen, die Bürgerversicherung, die die SPD will, und die Kopfpauschale, die die CDU will. Er war also ein bisschen die Eier legende Wollmilchsau. Es hat sich aber gezeigt, dass der Fonds, an dem immer mehr geändert wurde, beides eigentlich nicht miteinander verbinden kann und in der Medizin würden wir sagen, eine Scheininnovation ist. Es erweckt den Eindruck einer großen Reform, aber strukturell ändert sich nicht viel. Ich glaube auch, dass der Beschluss, dass dieser erst 2009 kommen soll, schon ein bisschen zeigt, dass die Koalition erstens nicht damit rechnet, dass sie bis 2009 noch die Bundesregierung stellt. Und zum zweiten, dass man damit Zeit gewonnen hat und möglicherweise im Jahre 2008 noch einmal sich neu diese Gesundheitsreform anschauen kann und sollte.
Das ist zumindest meine Hoffnung, denn Sie müssen eines auch sehen: Wenn man einmal eine Behörde aufgebaut hat wie den Gesundheitsfonds, dass 70 Millionen Versichertenkonten nun verwaltet werden sollen und gleichzeitig bei den Krankenkassen ja auch 70 Millionen Versichertenkonten geschaffen werden sollen, wenn immer mehr Einfluss die Politik auf das Gesundheitswesen bekommt, dadurch, dass nicht nur der Fonds, sondern auch der Beitragssatz hier politisch zu entscheiden sind, dass Sie einen gemeinsamen Bundesausschuss haben, der sagt, was gute und schlechte Medizin ist, und dieser gemeinsame Bundesausschuss erst einmal dem Ministerium voll unterstellt wird - dann sind das Entscheidungen, die den Weg in ein staatliches und zentralistisches Gesundheitssystem ebnen.
Und da mache ich mir schon Sorgen, denn wenn Sie diese Entscheidungen einmal getroffen haben und diese Behörden aufgebaut haben, ist es unheimlich schwer, das wieder rückgängig zu machen. Das heißt, es wird unsere Aufgabe sein, in den nächsten Jahren darauf aufzupassen, dass hier nicht Fehlentscheidungen getroffen werden, die es uns sehr, sehr schwer machen, wieder zu einem freiheitlichen, transparenten und wettbewerblichen Gesundheitswesen zu kommen.
Ricke: Die FDP möchte gerne in die Regierung. Man gibt sich selber auch gute Chancen das spätestens 2009 zu schaffen. Da müssen Sie sich ja Ihren zukünftigen Koalitionspartner, den Sie gerne hätten, genau ansehen. Die CDU/CSU, da gibt es gerade heftigen Streit, da gibt es auch eine Konfliktlinie zwischen den Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin. Erkennen Sie denn bei den Herren Wulf, Koch, Müller, Oettinger und Stoiber echte Sorge um die Gesundheitspolitik, oder schleichen da einige, aus Ihrer Sicht, mit dem Dolch im Gewande um die Bundeskanzlerin herum?
Bahr: Ich glaube, es gibt unterschiedliche Gründe. Sicherlich hat das damit zu tun, dass die Machtfrage in der Union offensichtlich nicht geklärt ist. Die Kanzlerin hat anscheinend nicht die Durchsetzungskraft als Bundeskanzlerin, wie es ein Bundeskanzler Kohl noch innerhalb der Union hatte. Da hätten sich Ministerpräsidenten das nie erlaubt, was die sich jetzt erlauben. Aber ich habe auch den Eindruck, dass es schon um die Auswirkungen der Reform geht. Man hat sich einmal durchgerechnet, wie wirkt sich die Reform in den nächsten Jahren aus. Vielleicht aus dem besonderen Interesse heraus, dass die Ministerpräsidenten, einige zumindest, im Jahre 2008 wichtige Landtagswahlen vor sich haben. Und wenn sie dann erleben, dass der Beitragssatz enorm steigen wird - ich gehe davon aus, dass er im Jahre 2008 über 15 Prozent sein wird - dann sehen sie ihre Chancen bei diesen Wahlen schwinden.
Das waren sicherlich also unterschiedliche Gründe, die sie dazu bewegt haben, aber die Ursache ist auch diese Reform und damit die steigende Beitragslast für die Versicherten. Das hat sicherlich dazu geführt, dass es innerhalb der Union im Moment einen Führungsstreit gibt, auch man nicht mehr weiß, wofür die Union inhaltlich steht. Ich will gar nicht verhehlen, wenn wir mit der Union eine Koalition gebildet hätten, hätte es auch Streit zwischen FDP und CDU gegeben. Wir waren auch nicht einer Meinung in der Gesundheitspolitik. Aber ich hoffe und glaube, dass es dort doch eine größere Übereinstimmung über die Richtung gegeben hätte, als dieser konfuse Haufen, den im Moment die Union so abgibt.
Insofern wird sich die Union jetzt auch entscheiden müssen in welche Richtung sie geht. Das ist für mich in der Gesundheitspolitik im Moment überhaupt nicht erkennbar. Sie hat grottenschlecht verhandelt und sie ließ sich von Ulla Schmidt und der SPD von einen auf den anderen Punkt immer wieder vorführen. Das aktuelle Beispiel ist ja wieder, dass man sich auf etwas geeinigt hat und der Entwurf, der aus dem Ministerium kommt, scheint offensichtlich sehr weit über das hinaus zu gehen, was die Einigung war. Also wieder spielt Ulla Schmidt eine Bazar-Strategie und die CDU schaut nur zu.
Ricke: Vielen Dank, Daniel Bahr. Er ist der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.