Bahnradsportdisziplin Keirin

„Das Schmuddelkind des japanischen Sports“

07:42 Minuten
Dynamisches Foto aus einem Keirin-Rennen
Keirin ist ein rasanter Sport, wie hier zu sehen bei den European Championships in München. © dpa / picture alliance / Abdulhamid Hosbas
Anja Röbekamp im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 14.08.2022
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Bei den European Championships in München kämpfen Europas beste Athleten in verschiedenen Sportarten um Goldmedaillen – 50 Jahre nach den Olympischen Spielen. Mit dabei als Wettbewerb ist auch Keirin, eine Bahnradsportdisziplin aus Japan.
Keirin ist ein Kampfsprint. Dabei gehen sechs Fahrer auf eine sechs Runden lange Distanz. In der ersten Rennhälfte werden sie von einem Schrittmacher angeführt. In diesem Zeitraum erhöht er dann immer weiter das Tempo. Auf den letzten drei Runden ist das Rennen dann frei – und eine bestimmte Anzahl an Sportlern kommt weiter.

Bis zu 70 Stundenkilometer schnell

Das Tempo gehe bis zu 70 Stundenkilometer hoch – ohne zu bremsen, sagt Anja Röbekamp, unsere Sportexpertin für Fernost. Das Ganze sei durchaus gefährlich für Mann und Frau. „Eigentlich hat jeder Keirin-Profi schon den einen oder anderen Knochenbruch auskurieren müssen.“
Man sage, dass es vielleicht sogar ganz gut sei, dass es kein Bremsen gebe: „Denn, wenn da jemand die Nerven verliert und bremst, würde es noch viel mehr Unfälle und noch viel mehr Verletzungen geben. Aber man muss da dann natürlich auf der Zielgeraden im Sprint die Lücke finden oder auch gefährliche Überholmanöver machen.“

Wie Keirin entstand

Angefangen habe es mit dem ersten Rennen am 20. November 1948 im südjapanischen Kokura – mit Männern und Frauen.
Zuvor, 1945, lag Japan in Trümmern, und der Wiederaufbau nach dem Krieg brauchte viel Geld. Zwei Beamte hatten eine Idee: ein neuer Wettsport! Pferde waren zu teuer und nach dem Krieg auch kaum vorhanden, also setzten sie auf das Fahrrad.

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Keirin ist heute sogar eine olympische Disziplin und eng verknüpft mit dem Wiederaufbau Japans und dessen Modernisierung nach dem Zweiten Weltkrieg.
Vor dem Krieg hatten Japans Frauen kein Wahlrecht, und auf dem Fahrrad waren sie auch nicht gern gesehen. Ähnlich wie in den Anfangszeiten des Fahrrads in Deutschland fürchtete man auch in Japan um die Gesundheit insbesondere der jüngeren Frauen: vom Fahren eines Fahrrads könnten sie unfruchtbar werden. Als Keirin 1948 seinen Siegeszug durch das Land antrat, waren Frauen dann von Anfang an mit dabei.

Wettsysteme dieser Art waren in Japan verboten

„Man muss sich das sehr tollkühn vorstellen“, sagt Röbekamp. Einen Sport zu erfinden, um das Publikum zu unterhalten, aber vor allem auch Arbeitsplätze zu schaffen und über ein Wettsystem Geld zu generieren. Viele Umstände sprachen dagegen: Baumaterial war rar, Platz sowieso. Um einen passenden Ort für ein Velodrom dingfest zu machen, mussten sich die Planer mit skeptischen Bürgern auseinandersetzen. Das größte Problem aber war: Wettsysteme dieser Art waren in Japan gesetzlich verboten.
Die Idee setzte sich dennoch durch, und noch heute ist Keirin aus dem Sportalltag in Japan nicht wegzudenken. Justin McCurry, Japan-Korrespondent des „Guardian“, ist sich sicher, dass das auch in Zukunft so sein wird. Der Autor sieht Keirin als Sport auch und gerade der „working people“, der Arbeiterklasse. Anja Röbekamp sagt: "Keirin ist immer ein bisschen das Schmuddelkind des japanischen Sports geblieben."
Nach wie vor sei Keirin aber auch eine Aufstiegschance für junge Menschen ohne gute Ausbildung: Volljährige Japaner*innen können nach Abschluss der High-School eine elf Monate dauernde Ausbildung am „Japan Institute of Keirin“ absolvieren und dann eine Profi-Karriere beginnen. Die bietet immer noch ein solides Auskommen – für die, die sich auf den harten Weg dahin einlassen.
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