Bärbel Schäfer: "Meine Nachmittage mit Eva"

Eine Reise zu unserem Schweigen

Moderatorin Bärbel Schäfer auf der 69. Frankfurter Buchmesse im Oktober 2017
Moderatorin Bärbel Schäfer auf der 69. Frankfurter Buchmesse im Oktober 2017 mit ihrem Buch "Meine Nachmittage mit Eva". © picture alliance/dpa/Foto: Uwe Zucchi
Von Marie Wildermann · 08.12.2017
Jahrzehnte spricht die Holocaust-Überlebende Eva Szepesi nicht über ihre traumatischen Erlebnisse. Auf einer Lesung lernt sie TV-Moderatorin Bärbel Schäfer kennen, sie freunden sich an. Aus ihren Gesprächen über Gewalt, Schuld und Sprachlosigkeit ist das Buch "Meine Nachmittage mit Eva" entstanden.
Bei einer Lesung lernt Bärbel Schäfer die ungarische Holocaust-Überlebende Eva Szepesi kennen. Sie freunden sich an. Bärbel Schäfer, TV-Moderatorin und Ehefrau von Michel Friedman, beginnt, die alte Dame regelmäßig zu besuchen. Eva Szepesi erzählt, Bärbel Schäfer zeichnet es auf.
"Wenn man miteinander spricht, geht man zurück an die Anfänge von Gewalt, an die Demütigungen, an die Verletzungen, das, was ihr eben widerfahren ist. Man kommt natürlich auch zurück zu dem Zentrum der Einsamkeit, dass man ein elfjähriges Mädchen ist, das in Budapest am Bahnhof mit einer Puppe und einem Stoffbeutel und einer selbstgestrickten blauen Strickjacke am Bahngleis verabschiedet wird und es gibt von der Mutter den Versuch, dieses Kind zu retten, mit ein, zwei Verstecken, mit ein, zwei Adressen, und diese Verstecke fliegen eben auf, weil Menschen denunzieren. Und an all diese Anfänge von Gewalt geht man dann gemeinsam zurück und das ist für Eva keine einfache Gesprächssituation gewesen."

Die lange Sprachlosigkeit

Eva Szepesi hat ihr Trauma über Jahrzehnte abgekapselt, um den Alltag bewältigen zu können. In den 50er-Jahren zieht sie nach der Heirat mit ihrem ungarischen Ehemann der Arbeit wegen nach Deutschland, ausgerechnet in das Land der Täter. Selbst ihren beiden Töchtern hat sie lange nicht erzählen können, was geschehen ist.
"Manchmal haben wir einfach nur geschwiegen, wir haben aus dem Fenster geschaut, wir haben unsere Hände gehalten, wir haben gelacht und geweint miteinander; das ist natürlich eine emotionale Achterbahnfahrt gewesen. Und es ist schön zu sehen, dass sie jetzt endlich auch Tränen hat – das ist ja erst seit einem Jahr – um die Menschen, die ihr Leben nicht mehr begleiten konnten, um diese Menschen eben auch zu trauern. Sie hat ja bis letztes Jahr noch gewartet, noch gehofft, dass ihr in Auschwitz vergaster Bruder und die Mutter tatsächlich zurückkommen und sie ein gemeinsames Leben haben würden."
Bis 2016 wusste Eva Szepesi nichts über das Schicksal ihrer Mutter und ihres Bruders. Immer war da die Hoffnung, sie könnten doch noch irgendwo auf der Welt leben und sie würde sie eines Tages wiedersehen. Dann die vernichtende Entdeckung: Als sie sich überwindet, mit ihren Enkeln 2016 zum Holocaustgedenktag nach Auschwitz zu fahren, findet sie die Namen ihrer Mutter und ihres Bruders auf einer Liste der in Auschwitz Ermordeten. Die Berichte von Eva Szepesi wühlen Bärbel Schäfer auf und stellen Fragen, die alle Nachkommen der Täter sich immer stellen: Waren meine Vorfahren auch verstrickt? Warum sprechen sie nicht darüber? Warum dieses Schweigen? Sie konfrontiert die Familie mit Fragen, sie klagt an, ist wütend, zornig, traurig, verletzt, beschämt. Die Fragen, die sie der Familie schon als junge Erwachsene gestellt hat, stellen sich durch die Begegnung mit Eva noch einmal neu. Doch sie bleiben wieder unbeantwortet.
"Die Antworten habe ich auch nicht bekommen, aber ich habe nochmal diese Unruhe gespürt, mich nochmal auf eine Reise zu begeben, weil die Gespräche und Auseinandersetzungen mit Opfern des Holocaust hatten wir ja auch in unserer Generation in vielfacher Form, in Begegnungen, Begegnungszentren, Auseinandersetzungen, an Gedenkstätten, aber die Täterseite hat natürlich eben auch lange, lange geschwiegen. Es waren ja nicht nur die Opfer Zeugen, es waren ja auch all die Mitläufer, all die Schweiger, all die Weggucker eben auch Zeugen."

Anklage läuft ins Leere

Aber auch auf der Täterseite gibt es kaum noch Zeitzeugen. Die Großeltern sind gestorben, die Eltern waren in der NS-Zeit selbst Kinder. Darum läuft die Anklage, die sie mit großer Wucht gegen die eigene Familie schleudert, ins Leere.
"Es ist nicht nur die große Anklage, es ist auch der Versuch, sich auf eine gemeinsame Reise sich zu begeben und hinter diesem Schweigen dann doch endlich so etwas wie eine Gemeinsamkeit oder eine Nähe zu finden."

Emotionale, familiäre Wärme hat sie, wie die meisten aus der Generation der deutschen Kriegskinder und Kriegsenkel, nicht erfahren. Obwohl sie sich als nicht-gläubigen Menschen definiert, ist sie zum Judentum übergetreten und hat darin so etwas wie Heimat gefunden.
"Ich bin einfach kein gläubiger Mensch, nein, ich bin kein gläubiger Mensch. Ich mag die Nähe zu Menschen, ich mag den gemeinsamen Austausch, das ist nun sehr lebendig, aber ich bin niemand, auch zuvor nicht als Protestantin, der einen Glauben aktiv praktiziert hat. Wir halten die Feiertage, aber wir sind keine religiöse Familie.
Ja, es gibt natürlich eine starke Identität auf ganz unterschiedlichen Bereichen, auf einer politischen Ebene, auf einer kulturellen Ebene, aber eben nicht auf einer stark religiösen Ebene."
Bärbel Schäfer hat die Geschichte von Eva Szepesi sensibel erzählt. Und sie reflektiert und beschreibt, was es in ihr aufgewühlt und ausgelöst hat. Und warum das Schweigen der Täter die Opfer ein zweites Mal vernichtet hat.
"Als wir diese Regelmäßigkeit dann hatten, war es ein Geschenk für uns beide. Es war für uns beide eine Reise zu unserm – ja unserem – Schweigen eben, zu unsern Geheimnissen, zu den dunklen Brunnen, den einsamen Flecken. Da haben wir uns gegenseitig getragen, sie hat etwas bei mir ausgelöst, und ich sicherlich auch bei ihr."

Bärbel Schäfer: "Meine Nachmittage mit Eva. Über Leben nach Auschwitz"
Gütersloher Verlagshaus 2017
225 Seiten, 19,99 Euro

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