Baden-Württemberg

Alte Reben, neuer Wein

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Bei Beurer werden blaue und weiße Traubensorten gemischt. © picture alliance / dpa
Von Richard Fuchs  · 04.06.2014
Als Biowinzer Jochen Beurer begann, alte Rebsorten mit mittelalterlichen Methoden anzubauen, hielten viele in der Region sein Projekt für eine große Spinnerei. Inzwischen hat Beurer viele Skeptiker mit seinem Qualitätswein überzeugt.
Junior: "Ja, du hast jetzt alles runter gebunden, aber würdest jetzt nicht solche Triebe auch noch, würdest den jetzt noch rum' biegen, oder? Senior: Der ist zu kurz zum rum' biegen... [Unterlegen und ausblenden] Junior: Also was ich find, was man machen könnte, ist , dass man wieder etwas die Erde lockert um die Stöcke rum'…"
Stetten im malerischen Remstal, rund 20 Kilometer östlich von Stuttgart. Winzer Jochen Beurer und sein Vater Siegfried fachsimpeln in ihrem Lieblingsweinberg. Ein steil abfallendes Stück Reb-Terrassen, ein paar Schritte unterhalb des Wahrzeichens des Winzerorts, der alten Burgruine Y-Burg. Der ockergelbe Steinkubus, der auch Schlössle genannt wird, thront hoch über dem Dorf auf der Kante eines Höhenzugs; Beurers heutiger Lieblingsweinberg schmiegt sich, eingerahmt von grau-gelblichen Steinmauern, an den Hang direkt unterhalb der Ruine.
"Das war eine Fläche, die brach lag und fast von Brombeeren eigentlich schon überwuchert war. Und dann hab ich mir gesagt, den Wengert muss man irgendwie wieder reaktivieren."
..sagt der 41-jährige Biowinzer Jochen Beurer. Und er und seine Familie haben dem Wengert, wie ein Weinberg liebevoll auf schwäbisch genannt wird, neues Leben eingehaucht: Mittelalterliches Leben.
Was hier sprießt, sind Urahnen
"Wir stehen mitten in unserem Museumsstück", [….] "Die Reben sind jetzt gerade am Austrieb, wir sehen teilweise drei Blättle, vier Blättle schon, manche sind von den Sorten her noch ein bisschen weiter hinten her. Da gucken die ersten Triebe jetzt erst so ganz leicht raus."
Was da rausschaut, das sind keine heute mehr gängigen Rebsorten wie Riesling, Chardonnay oder in Schwaben Trollinger. Sondern was hier sprießt, das sind die Urahnen. Insgesamt 17 vom Aussterben bedrohten Rebsorten hat Jochen Beurer in seinem Museumsweinberg eine neue Heimat gegeben.
"Wir haben zum Teil hier vorne ein paar Stöcke Heunisch. Heunisch ist so eine Rebsorte, die so die Ur-Reben vom Riesling hat, wo man Genmaterial auch im Riesling oder im Chardonnay findet. Wir haben Räuschling gepflanzt, wird heutzutage noch etwas in der Schweiz gepflanzt…
Putzscheere haben wir gepflanzt, wo man eigentlich mittlerweile nirgends mehr findet
Im gemächlichen Schritt stapfen Jochen Beurer und sein 72-jähriger Vater durch die Rebstöcke, kontrollieren, welche Arbeiten anstehen. In der Luft liegt ein Geruch verschiedenster Kräuter, die zwischen hohem Gras am Boden der Rebstöcke wachsen.
Reporter: "Was rieche ich denn?" // Siegfried Beurer: "Thymian riechen sie, ich glaube etwas Bohnenkraut, ein würziger Geruch liegt da jetzt in der Luft um die Pflanzen rum."
Und noch etwas ist auf dem 1400 Quadratmeter großen Museumsstück anders als im heutigen Weinbau, wo "aufgeräumte" Reben-Monokulturen die Regel sind. Jochen Beurer streift mit seiner Hand die Triebe dreier Rebstöcke nebeneinander. Es sind drei verschiedene Rebsorten. Kein Versehen, sondern der Normalfall im Mittelalter, betont er.
"Also früher war ja der Gemischte Satz auch ganz normal, dass man unterschiedliche Sorten gepflanzt hat."
Weiße und blaue Trauben werden zusammen verarbeitet
Das heißt: Weiße und blaue Trauben werden zusammen gelesen, zusammen verarbeitet und daraus wird ein Wein. Gemischter Satz statt sortenreine Weine: Für die Weinbauern sei das jahrhundertelang eine Frage des Überlebens gewesen, erklärt der Biowinzer.
"Wenn jetzt dann die Spätfröste da waren, ….ein paar sind verfroren, die anderen sind dann wieder durchgekommen. Der eine war ein bisschen säure betonter, der andere ein bisschen süßer und so ist eigentlich früher immer eine gewisse Ertragssicherung gewesen."
Altwinzer Siegfried Beurer bleibt vor einem Rebstock der historischen Affenthaler-Sorte stehen, der im Herbst übergroße, blaue Trauben tragen wird. Der Rebstock wird von drei Seiten durch Holzpfähle eingegrenzt. Das sieht - zwischen hohem Gras und Kräutern eingebettet - einigermaßen chaotisch aus, insbesondere, wenn man ins angrenzende Tal blickt. Dort schmiegen sich moderne Weinbergterrassen an den Hang, darauf Rebstöcke in langen Reihen an Drahtseilen aufgereiht.
"Klar hätte man diese alten Rebsorten jetzt auch ganz normal im Spalier pflanzen können, wie da, aber dann haben wir gesagt: Ja, eigentlich möchten wir dann doch zeigen, wie es tatsächlich früher war."
...sagt der 2007 offiziell in Rente gegangene Altwinzer, ein urschwäbisches Original. Nach anfänglicher Skepsis ob der vielen Arbeit, die das mit sich bringt, ist er jetzt Feuer und Flamme für das grüne Freilichtmuseum.
Nicht zuletzt , weil im Museumsweinberg neben alten Rebsorten auch historische Anbaumethoden eingesetzt werden. Eine Schlüsselrolle haben dabei die drei Holzpfähle an jedem Rebstock.
"Also das ist jetzt, sagt man, die alte württembergische Drei-Schenkel-Erziehung. Drei Schenkel kann ich ihnen dort zeigen, das sind also statt einem Stamm, wie man dort an dieser Drahtanlage sieht, hat man da drei Stämme. Und weil die nicht senkrecht waren, hat man das Schenkel genannt."
Nach historischem Vorbild
Diese Schenkel stützen die Rebe, wenn sie weiter austreibt. So ufert sie nie nach rechts oder links aus, auch wenn sie weiter wächst. Und das alles - nach historischem Vorbild, nur mit Hilfsmitteln, die auch im Weinberg wachsen, betont der Jochen Beurer.
"Wichtig ist hier halt auch, dass man konsequent so arbeitet. Das heißt auch, nur mit Weidla anbindet, oder mit Rääschaub, das ist ein Pfeifengras nachher die grünen Triebe hochbindet. Also keine irgendwelche neumodischen Materialien verwendet wie jetzt Kunststoffband oder Draht oder so was, sondern echt nur mit jene natürlichen Rohstoffe, die rings rum auch wachsen verarbeitet".
Ein Siebtel des Museumsweinbergs bewirtschaftet der Familienbetrieb nach dieser traditionellen Reben-Erziehungs-Methode. Der Nachteil: Jeder Trieb der Rebe muss einzeln an die Schenkel angebunden werden. Und je größer der Rebstock wird, desto öfter muss das wiederholt und nach oben verschoben werden. Das braucht mindestens die doppelte Arbeitszeit wie in modernen Reb-Anlagen.
Jochen Beurer: "Ich muss ganz ehrlich sagen, ich würde einfach jetzt nicht nur nach diesen Stunden schauen, sondern man muss das Ganze auch mit etwas Idealismus angehen. Ich würde hier keine Zeit stoppen. Siegfried Beurer: "Also ich auch nicht, … Ich frei mich eigentlich an jedem Mal, wenn ich da rauf kommen muss und da wieder heften muss."
Zurück im Weingut am Fuße des Stettener Schlössle-Bergs, stapelt Jochen Beurer Weinflaschen an der Etikettiermaschine. Hier bekommt auch der "Gemischte Satz" aus dem Museumsweinberg sein Etikett.
Und auch wenn es vom 2014er Museumswein gerade einmal 300 Flaschen geben soll. Schon nach dem ersten Jahrgang Museumswein ist Jochen Beurers Respekt für seine Vorfahren noch einmal ganz schön angestiegen, sagt er.
Es muss auch ein Ergebnis im Glas sein
"Also die Jungs im Mittelalter, die haben ja keine Technologie gehabt, sie haben keine Päckchenhefe gehabt, sie haben keine Enzyme gehabt, sie haben nicht irgendwie vom Kellereihändler Produkte gehabt, sondern sie haben nur mit dem arbeiten können, was sie eigentlich sowieso vorhanden hatten, das waren ihre Trauben, das war ein Gebinde. ….[…] Dass man also ohne große Technologie doch auch Wein hinbringt, das ist eigentlich das Faszinierende."
"Wenn man dann rein riecht, dann hat man reife Früchte, gelbe Früchte, aber das spannende ist eigentlich immer dass immer so ein bissle a Frische, so Limonenaroma auch noch durch schwingen."
Faszinierend, das muss für den Biowinzer mit Prädikatsweinen nebst der Begeisterung für die Rekultivierung alter Rebsorten und Anbautechniken aber auch das Ergebnis im Glas sein.
"Mit jedem Augenblick, wo man wieder rein riecht, entdeckt man wieder neue Aromen".
Rekultivierung alter Rebsorten, das ist für Jochen Beurer letztlich also nicht nur eine Frage der Tradition, sondern auch eine Frage des Geschmacks.
"Ich denk mal, die Vielfalt sollte man wieder erreichen, weil das auch eine geschmackliche Vielfalt gibt und weil das auch eine gewisse Erhaltung bleibt. …Wenn man nur noch mit einer Sorte, mit einem Klon arbeiten würde, dann kriegen wir halt - ich würde behaupten - langweiligere Sachen. (Also es geht dann schon Richtung Fließband)."