Back to the roots

Von Andrea Mavroidis |
Vor allem junge Griechen wollen der Tristesse der Städte entfliehen und ziehen aufs Land, um Bauern zu werden. Auch die Regierung hat Projekte angestoßen und vergibt Ackerflächen an die Stadtflüchter. Doch einfach ist auch das Landleben nicht.
Gleich beginnt der Unterricht in der American Farm School, Schülerinnen und Schüler strömen in ihre Klassenräume. Der weitläufige Campus der Schule liegt auf einem Hügel rund 20 Minuten von Thessaloniki entfernt. Von hier oben schaut man auf die Bucht und den Hafen der Eine-Million-Einwohner Metropole. Imponierende alte Farmhäuser im neoklassizistischen Stil, erinnern an den Campus einer amerikanischen Universität. Das ganze kombiniert mit großen Gewächshäusern, Forschungslaboren, einer Molkerei, Ställen - alles was man braucht um Landwirt zu werden.

Die angehenden jungen Farmerinnen und Farmer müssen sich leider heute erst einmal mit der Mathematik auseinandersetzen. Auf dem Lehrplan steht die Funktion. Adonis Maradonis ist erst 15, er kommt aus einer Bauernfamilie. Die Entscheidung das Internat der American Farm School zu besuchen, ist ihm sehr leicht gefallen, denn schon sein Großvater hat hier die Schulbank gedrückt und den Enkel motiviert, es ihm gleich zu tun.

"Die Landwirtschaft ist unsere Zukunft. Die Schule kann mich darin unterstützen - Meine Familie produziert Oliven und Öl. Mit dieser Tradition möchte ich weiter machen und später ein Geschäft eröffnen, wo ich sämtliche Olivenölprodukte verkaufen werde. Öle, Cremes, Seifen und das was man sonst noch so aus Oliven herstellen kann."

Die Farmschule, die eine über 100-jährige Geschichte hat, unterhält einen Gymnasialzweig, eine Berufsschule und ein College. Rund 280 Schülerinnen und Schüler besuchen zurzeit die ehrwürdige Einrichtung, Tendenz steigend. Immer mehr junge Leute zieht es offensichtlich in Zeiten der Krise zurück aufs Land. Seit 2010 ist die Zahl der Anmeldungen um nahezu 50 Prozent gestiegen. Und schon jetzt im April gab es allein mehr als 60 Anmeldungen. Aber nur 30 Schüler kann die Schule pro Jahr aufnehmen. Das Büro von Sekundarstufen-Schulleiter Tassos Apostolidis liegt in einem der alten Farmhäuser. Der wortkarge 57- Jährige im zerknitterten Sakko sieht zwei Gründe für den wachsenden Zulauf:

"Die Schule können sich viele leisten, weil unsere Schüler hier im Grunde nur für ihr Essen aufkommen müssen. Aber was zählt ist, was wir hier unterrichten, nämlich Landwirtschaft mit allen Facetten, und wie wir das tun. Die Griechen haben begriffen, dass es keinen Sinn mehr macht, Kinder in ein Studium zu schicken, das in die Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit führt. Die Eltern wollen eine sichere Zukunft für ihre Kinder."

Der Unterricht ist sehr praxisnah, die jungen Leute lernen und arbeiten in allen Bereichen der Landwirtschaft, wie Ackerbau, Viehzucht und Vermarktung. Die American Farm School stellt Milch- und Käseprodukte her, rund 200 Kühe und 20.000 Hühner nennt sie ihr eigen. Artgerechte Tierhaltung und biologische Bewirtschaftung der Agrarflächen sind ein Muss, stellt Landwirtschaftslehrer Sotiris Gialavas fest, der dem Stallburschen noch ein Zeichen gibt, sich um das Futter der Kälber zu kümmern.

"Unsere Schüler sind die Zukunft der griechischen Landwirtschaft. Sie bekommen hier alles vermittelt, was sie brauchen, um Produkte herzustellen, die im Einklang mit der Natur und dem Menschen stehen. Wir wollen Landwirte, die die Landwirtschaft als ihr professionelles Handwerk sehen und nicht die Erde zerstören, auf der sie ihre Früchte säen."

Fakt ist aber auch: Die griechische Agrarpolitik schielte jahrzehntelang nur auf europäische Subventionen, ohne in eine zukunftsorientierte Landwirtschaft zu investieren. Aus dem EU-Agrarfonds erhält Griechenland jährlich rund 2,5 Milliarden Euro. Jüngst forderte die EU-Kommission von Griechenland rund 425 Millionen Euro an unrechtmäßig ausgezahlten Agrarsubventionen zurück. Wegen EU-weiter Überproduktion wurden hier vielerorts alte Olivenhaine einfach abgeholzt und Zitronen verrotteten an den Bäumen. Mit einem verheerenden Ergebnis, so meint Schulleiter Tassos Apostolidis bedauernd:

"Griechenland, das eigentlich das Heimatland der Zitrone und der Olive ist, importiert inzwischen Öl und Zitronen. Ich glaube, die Krise hat gezeigt, dass wir uns auf unsere Traditionen besinnen müssen. Wir brauchen innovative Produkte, die es lohnt, wieder anzubauen, die in Vergessenheit geraten sind. Das sind dann Erzeugnisse aus deren Erträgen man eine Familie ernähren kann. Und wie man diese anbaut und vermarktet, das lernen unsere Schüler hier."

Die Schule ist weit über Thessaloniki hinaus sehr angesehen. Die Schülerinnen und Schüler kommen aus ganz Griechenland, aber auch aus Bosnien Herzegowina und Rumänien. Sie leben im Internat auf dem Campus. Und es kommen immer mehr Jugendliche, die keinen bäuerlichen Hintergrund mitbringen, so wie die in Deutschland geborene 19-jährige Irini. Irini macht gerade ihre Mittagspause. Sie hat feuerrotes lockiges Haare, trägt einen weißen Kittel und ebenso weiße Gummistiefel und die Farbe ihrer Kleidung verrät gleich wofür ihr Herz schlägt: Für Milch und Käse. Und sie hat jetzt den Traum vom eigenen Bauernhof.

"Ich habe mich letztes Jahr im Januar dazu entschieden. Ich wollte eigentlich Deutschlehrerin werden. Das hat aber nicht geklappt, weil die Zeiten sehr schlecht dafür sind hier in Griechenland. Und habe mich dazu entschlossen, mich damit zu beschäftigen. Ich habe dann zwei Jahre im Sommer auf einer Farm in Katerini gearbeitet. Seit ich ein kleines Kind war, habe ich das Land geliebt, aber es war weit weg von mir und meinem Leben. Und jetzt bin ich mitten drin - wow."

Eine halbe Stunde von der American Farm School entfernt, in Nea Gonia auf der Halbinsel Chalkidi liegt der kleine Landwirtschaftsbetrieb von Pangalos Kazakis und seiner Familie. Er kommt gerade mit seinem Traktor auf den Hof gefahren. Kazakis ist Anfang 30 und ein Absolvent der American Farm School. Zusammen mit seinem Bruder Thanasis und den Eltern betreibt er einen kleinen aber feinen Hof. Die Kazakis-Brüder haben sich ganz dem biologischen Landbau und griechischen Traditionsprodukten, wie Weinblättern, Oliven und Gemüse-Chutneys verschrieben und das mit Erfolg. Voller Stolz geht Pangalos Kazakis durch seinen Weinberg und erzählt welche kulinarischen Leckereien er herstellt.

"Wir fangen im Mai mit der Ernte der Blätter an, daraus stellen wir dann die Dolmadakia her, die mit Rosinen und Reis gefüllten Weinblätter, dann sammeln wir die Weinstockblüten und legen sie in unserem selbst hergestellten Essig ein. Auch unsere kleinen Rosinen, die Babygrapes, legen wir so ein."

Dazu kommen noch Marmeladen und andere Süßigkeiten. Das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit der Familie Kazakis an den Weinstöcken sind 17 verschiedene Produkte. Es ist ein klassischer Familienbetrieb, jeder hat hier seine Aufgabe - nur die Jungen bringen ihr neues Wissen ein.

"In der American Farm School habe ich gelernt mit der Natur zu arbeiten und nicht gegen sie. Dass nicht nur das Geld in der eigenen Tasche zählt, sondern der Einklang mit der Natur, die Zusammenarbeit mit anderen und die Qualität der Produkte. Bis heute arbeite ich eng mit der Schule zusammen, ich bin so immer auf dem neusten Wissensstand. Ich glaube, all das hat uns sehr geholfen, durch die derzeitige Krise zu kommen."

Pangelos Katzakis Bruder Thanasis hat Marketing studiert und vermarktet die Produkte des Familienbetriebes inzwischen auch erfolgreich im Ausland. In der Landwirtschaft liegt die Zukunft Griechenlands, davon sind die beiden überzeugt.

"Die Leute wollen aufs Land zurück, weil sie in den Städten keine Zukunft mehr sehen. Aber wenn man diesen Schritt macht, muss einem klar sein, dass das kein einfacher Weg ist. Und das die Produkte, die man herstellt, einfach eine gute Qualität haben müssen, denn nur das verkauft sich derzeit in Griechenland."

Nach Angaben des griechischen Ministeriums für Ländliche Entwicklung und Nahrung interessieren sich rund 750.000 Bürger aus Athen und Thessaloniki für eine Rückkehr aufs Land. Das Ministerium reagierte darauf mit einem 60 Millionen Euro-Programm. Im April hat es damit begonnen, Ackerflächen an die sogenannten "Neufarmer" zu vergeben. Voraussetzung für die Teilnahme an dem Programm: Man darf nicht älter als 35 Jahre sein, muss arbeitslos sein, einschlägige Erfahrungen in der Landwirtschaft haben und darf kein eigenes Land besitzen. Einer dieser Neufarmerinnen ist Alexandra Terzidou. Die junge Frau hat zurzeit einen unterbezahlten Praktikumsjob in Thessaloniki, mit dem sie sich kaum über Wasser halten kann. Sie lebt mit ihrem Mann in einer kleinen Zweizimmer-Wohnung in einem Vorort der Hafenstadt. Doch bei der ersten Begehung der ihr zugeteilten Landstücke, etwa 100 Kilometer von Thessaloniki entfernt, war sie enttäuscht.

"Als wir dort hingefahren sind, haben wir Felder vorgefunden, die nicht gerade in bester Lage liegen und sehr viel Arbeit benötigen, damit man sie bewirtschaften kann. Vielen meiner Felder fehlt die Erde, es gibt riesige Löcher, andere Bauern haben sich einfach von dem Mutterboden genommen. Die meisten Felder sind verwildert und auf einigen befinden sich wilde Müllkippen. Das wird Kosten verursachen. Wir hoffen, dass Gelder vom Agrarministerium fließen."

Doch die Finanzierung dieses staatlichen Vorhabens ist bislang nicht geklärt. So weiß Alexandra Terzidou nicht einmal, ob und wie viel Geld sie für die Bewirtschaftung ihrer weit zerstreut liegenden Ackerflächen bekommt.

Giannis Boutaris, der parteilose und eigenwillige Bürgermeister von Thessaloniki, macht sich gar darüber lustig. Boutaris hält das Programm für reine Wahlpropaganda, denn in drei Tagen, am 6. Mai, wird in Griechenland gewählt. Man müsse etwas von der Bearbeitung des Bodens verstehen, sonst solle man die Hände davon lassen. Als gelernter Winzer und Spross einer der größten Weindynastien des Landes, weiß Boutaris, worüber er spricht.

"Die meisten dieser Leute, die aus der Stadt kommen, haben doch überhaupt keine Ahnung, was es heißt, mit der Erde zu arbeiten. Die haben einfach diese ideale Vorstellung vom Landleben, ein paar Hühnern, Pilze züchten und sie glauben, dass das Landleben so ist, wie in einem dieser Filme, den sie vielleicht mal gesehen haben. Das ist doch ein Mythos. Diese Arbeit ist hart. Wer in der Tierhaltung arbeitet, hat weder Urlaub noch Namenstag, er muss immer arbeiten. Weil weder Kühe noch Schafe Ferien machen."

Über diese Aussage seines Bürgermeisters kann Dimitries Koveos, Professor an der Agrarwissenschaftlichen Fakultät der Aristoteles Universität Thessaloniki nur schmunzeln. Er steht auf der vier Hektar großen landwirtschaftlichen Nutzfläche der Universität vor den Toren der Stadt. Mit einem Traktor bereiten seine Studenten und ein paar Kollegen kleine Felder vor. Koveos hält das Programm der griechischen Regierung unter Führung des parteilosen Ministerpräsidenten Papadimos für gar nicht so schlecht, die Leute wieder zurück aufs Land zu schicken, auch wenn es noch nicht gut durchdacht erscheint. Aber Koveos und seine Studenten hatten eine völlig andere und vielleicht noch innovativere Idee: Sie haben die Bürger der Stadt Thessaloniki im Januar dazu aufgerufen, an einer ungewöhnlichen Verlosung teilzunehmen. 5000 Menschen haben mitgemacht und 300 bekamen den Zuschlag für eine jeweils 100 Quadratmeter große Gartenparzelle.

"Die Idee war, die Universität mit unseren Bürgern zusammenzubringen und ihnen in dieser schwierigen Zeit mit einem Stück Land zu helfen, damit sie einen Teil ihres täglichen Lebensmittelbedarfs decken können."


Und so wurde die Idee der Bürgergärten geboren. Und vor ein paar Tagen haben die ersten Familien damit begonnen ihr neues Land zu bestellen. Unter professioneller Betreuung sollen die Städter nun den ökologischen Landbau im Kleingarten erlernen. Der Andrang auf die Gärten übertrifft alle Erwartungen. Und auf etwas anderes ist Professor Koveos ganz besonders stolz, das könnte sich zu einem neuen Trend in der Landwirtschaft entwickeln, auch über Griechenlands Grenzen hinaus.

"Wir werden hier wieder alte griechische Pflanzen in die Erde bringen, die über viele Jahrzehnte in Vergessenheit geraten sind, und vom Markt nahezu verschwunden sind. Unser Projekt ist nicht nur für diese jetzt 300 ausgesuchten Bürger gedacht. Es soll ein work in progress sein, denn wir wollen im Laufe der nächsten Jahre immer mehr Menschen von unseren Bürgergärten begeistern. Denn viele Griechen besitzen irgendwo noch ein Stück Land, nur ihnen fehlte bislang das Wissen, es auch zu bewirtschaften. Deshalb werden die Gartenparzellen auch nur für drei Jahre an die Leute vergeben. In diesen drei Jahren sollen sie ihr Handwerkszeug lernen."