Bachkantate aus bayerischen Landen

Von Dorlies Landwehr |
Als Enoch zu Guttenberg vor 40 Jahren das Angebot bekam, aus einer bayerischen Liedertafel einen Chor zu formen, konnte er nicht ahnen, dass daraus eine international anerkannte Vereinigung wurde. Heute tritt der Dirigent mit seinem renomierten Chor weltweit auf. Während der Weihnachtszeit stehen sakrale Werke von Johann Sebastian Bach auf dem Programm.
Auf den ersten Ton ist das für viele Menschen einer der festlichsten und strahlendsten Tonsätze der Musikgeschichte und das nicht nur zur Weihnachtszeit. Enoch zu Guttenberg, Dirgent der Chorgemeinschaft Neubeuern und des Orchesters der KlangVerwaltung, erkennt im Bachschen Oratorium aber nicht nur den reinen Jubel:

"”Der erste Choral, ‘wie soll ich dich empfangen’, ist zur Melodie ‘Oh Haupt voll Blut und Wunden’ komponiert. Ich halte das für einen Fingerzeig, dass dieses Weihnachten am Kreuz enden wird. Und es ist eben nicht ein Zufall, dass der letzte Choral ‘Nun seid ihr wohl gerochen’ wieder ‘Oh Haupt voll Blut und Wunden’, allerdings mit drei Trompeten und einem rasanten Streichorchester, umspielt: Und allein das Wissen ist schon ein Kompass, finde ich, müsste ein Kompass für einen Dirigenten sein, dass man einfach im Weihnachtsoratorium schon auf die Passion hinführt und das ist eins meiner großen Anliegen.""

Wie soll ich dich empfangen und wie begegne ich dir,
oh aller Welt Verlangen, oh meiner Seele Zier.
Oh Jesu, Jesu, setze mir selbst die Fackel bei,
damit was dich ergötze mir kund und wissend sei.


"”Ich persönlich habe ein großes Heimweh nach meiner ursprünglichen religiösen Herkunft. Ich sage das sehr oft: Ich bin im Kopf ein Atheist und im Herz ein gläubiger Christ. Zwischen diesen Mühlsteinen befinde ich mich, ich denke, die meisten ehrlichen Menschen. Und das ist natürlich bei dem alten Bach ganz anders, wenn man wissen will, was Glauben ist, muss man einen Choral aus dem Weihnachtsoratorium oder der Matthäuspassion lesen oder hören, dann weiß man, was man darunter zu verstehen hat, und in dem Moment, wo ich eine Matthäuspassion dirigiere oder ein Weihnachtsoratorium, da bin ich wieder zu Hause, habe ich wieder meine alten Wurzeln und vergesse zumindest für zwei oder vier Stunden meine Zweifel, die aber dann, wenn man den Frack wieder in den Spind hängt, wieder sofort da sind, und manchmal zerreißt einen das auch.""

Auf einem Gut in Oberfranken aufgewachsen, als Sohn von Karl Theodor zu Guttenberg, Staatssekretär im Kanzleramt unter Kurt Georg Kiesinger und Großneffe von Karl Ludwig, der im Widerstand enge Kontakte zu Stauffenberg hatte, wurde Enoch zu Guttenberg von klein auf von Bach-Musik begleitet.

So wie er seinen Vater verehrte als barocken Menschen, so war für ihn Johann Sebastian Bach der Größte. Sein Weg war vorgezeichnet, als ihn dann noch der Dorf-Organist unter seine Fittiche nahm. Er spielte ihm vor und zeigte ihm: Notenschrift, das bedeutet Klang:

"”Wir wuchsen einfach mit Bach auf. Mein Vater hat in jeder freien Minute Bach-Platten gespielt und Matthäus-Passion zu Ostern, Weihnachtsoratorium zu Weihnachten, zu kirchlichen Feiertagen irgendwelche andere Kantaten, das hat natürlich geprägt, und dann der Dorf-Organist dazu, der mir, bevor ich das Alphabet konnte, schon Notenschreiben beibrachte, und der hat mich auch wirklich sehr, sehr geprägt. Und natürlich sind unserer aller Wurzeln im christlichen Glauben. Das ganze Europa wäre ja undenkbar, mit allen guten und schlechten Seiten, ohne das Christentum.""

Und noch etwas hat den Heranwachsenden geprägt: Als durch die wunderschönen Wiesenlandschaften in seiner unmittelbaren Umgebung Straßen gebaut wurden, war es so, als würde sein Herz zu zementiert. Seitdem beobachtet er mit Trauer und Argwohn, wie die Umwelt zerstört wird, wie sie sich negativ verändert. Gespräche mit Konrad Lorenz und Bernhard Grzimek sensibilisierten ihn noch mehr, so dass er sich zeitlebens für den Umweltschutz aktiv einsetzt. Und doch, die Hoffnung auf eine Umkehr im Denken und Handeln hat er aufgegeben:

"”Ich sage Ihnen voraus, dass unsere Enkel das nicht überleben werden. Das Ruder rumzureißen ist ganz sicher unmöglich. Und zu glauben, dass diese ganz hehren Ziele, die die sich jetzt setzen, die werden sicher nicht erreicht. Also, ich bin da ganz, ganz pessimistisch, und auch sehr, fast auch schuldbewusst, weil ich Kinder und Enkel habe. Das nimmt mich wirklich mit und zwar jeden Tag, und ich kann das gar nicht aus meinem Kopf rausbringen.""

Der Musiker und Mensch Enoch zu Guttenberg glaubt nicht mehr an die Erlösung in dieser Welt und doch, trotz allem Kultur-Pessimismus möchte er etwas bewirken.

Noch in der Zeit des Kommunismus gab er Konzerte im Ostblock und setzte sich für die Wiedervereinigung ein. Als sich 1990 der Eiserne Vorhang geöffnet hatte, gab er ein deutsch-polnisches Versöhnungskonzert in Danzig und bevor er den Taktstock für die C-Moll-Messe hob, hat er sich bekreuzigt. So wurde die Messe für ihn zum Gebet, so sieht er es auch noch heute, denn mit der Musik möchte er ein Bekenntnis ablegen, den Inhalt der musikalischen Botschaft klar machen und die Herzen der Menschen öffnen - in Ehrfurcht vor dem Werk:

"”Für mich ist einer der großen Motoren, warum ich überhaupt Dirigent geworden bin, weil ich glaube, dass die große Musik wirklich eine bewegende Musik ist oder eine sich auseinandersetzende Kraft, wie überhaupt die ganz große Kunst, und dafür mache ich das, aber ich glaube nicht, dass das global was nützt.

Wenn man so offensichtlich in die Wiege was mitbekommen hat, mit dem man was anfangen kann, ich will gar nicht sagen, dass ich besonders begabt bin, da hab ich keine Ahnung, aber ich habe was mitbekommen, mit dem ich schon ein Leben lang etwas anfange, und dann meine ich, dass man das so lang tun muss, solange man es kann. Ich weiß nicht, ob ich es genügend nutze, aber ich versuche es nach Kräften.""