Bach in Bahia

Von Camilla Hildebrandt |
Pater Hans Bönisch leitet einen Kammerchor, ein barockes Orchester und hat auch schon Opern aufgeführt. Das ist nichts Ungewöhnliches in Deutschland - in Brasilien dagegen schon. Das wollte Pater Bönisch ändern, als er vor 16 Jahren in das "schwarze Herz" des Landes, nach Salvador da Bahía, kam, um hier die Menschen für Bach, Mozart und Beethoven zu begeistern.
Ein renoviertes Jugendstilgebäude mit blauen Fensterländen, gekacheltem Springbrunnen und mitten im Hof: ein riesiger Mangobaum. Die reifen Früchte geben sich der Schwerkraft hin - und landen schließlich im Mixer für den Frühstückssaft. Morgens in der Pousada - der Pension - "Barroco na Bahía” - Barock in Bahía”. Pater Bönisch hat seine erste Tasse Kaffee getrunken und sitzt nun im Büro, um E-Mails zu beantworten. Eine Ruine sei das hier gewesen, als er 1995 ankam, erklärt er, in einem ziemlich heruntergekommen Stadtteil: Saude.

Pater: "Das gehörte der katholischen Kirche, und wir haben es komplett restauriert und saßen da mit einer schön restaurierten Immobilie mitten im Siff. Lauter kaputte Häuser drum herum, Kleinkriminelle, Prostituierte, eben alles, was es so gibt in dieser kaputten Altstadt, waren unsere Nachbarn.”"

Aber der junge Priester aus Gießen, damals Anfang 30, dachte nicht daran, sich einschüchtern zu lassen. Schließlich hatte er seinen neuen Job vom Kardinal höchstpersönlich angeboten bekommen.

Pater: ""Das fing damit an, dass eines Tages bei mir im Pfarrhaus das Telefon klingelte und ein Mitarbeiter vom Kardinal in Salvador anfragte, ob ich nicht Lust hätte den Kardinal kennen zu lernen ...”"

Hans Bönisch, 48, rund 1,90 groß, blonde Haare, Hemd und Baumwollhose, arbeitete damals in Gießen. Studiert hat er Theologie und Piano.

Pater: ""Da dachte ich: das kann ja nicht schaden, kann man ja mal machen. Darauf bin ich nach Würzburg gefahren, wo ich eh zu tun hatte und dachte: was kann ich ihm am Besten vorführen in der Zeit? Ich spiel ihm was auf der Domorgel vor. Da war er ganz begeistert und fragte mich spontan: hätten Sie Interesse bei mir in Salvador zu arbeiten?”"

Seine Aufgabe: die seit rund 100 Jahren in Brasilien brachliegende Tradition der klassischen Kirchenmusik wieder aufleben zu lassen - durch einen Chor. Sein Handwerkszeug, die Orgel, musste Bönisch allerdings selbst organisieren.

Pater: ""Übrigens die erste Spende kam damals 1990 als Privatspende aus Rom von Kardinal Ratzinger.”"

Heute gibt Pater Bönisch jeden Sonntag um 11 Uhr ein Orgelkonzert - in der Kathedrale des legendären Altstadt- und Party-Viertels Pelourinho.

Der Chor ist meist dabei. Rund 40 Sänger, Weiße, Schwarze, junge und ältere Menschen. Eine wunderbare Mischung, meint der Padre - wie er hier heißt - schmunzelnd. Denn zur ersten Probe damals seien 70 ausschließlich ältere Damen erschienen.

Pater: ""Und dann dachte ich: das ist ja hier fast wie in Deutschland. Mit den 70 Omas war es nicht ganz so einfach, aber wir haben es geschafft nach einer Woche Arbeit tatsächlich ein Stück zu singen ...”"

Pater: ""Und dann... die Omas brachten ihre Enkel mit, und jetzt kam das, wo ich hin wollte, also die jungen Leute kamen.”"

Mozart und Bach sind den meisten Menschen im relativ armen Bundesstaat Bahía nicht bekannt. Klassik wird nur in teuren Privatschulen gelehrt. 80 Prozent der Bevölkerung ist schwarz - Nachfahren der Sklaven, die während der Kolonialzeit wie Tiere eingeschifft wurden. Ihre Kultur- die Afro-Brasilianische - ist hier überall spürbar. In der Religion - Candomblé genannt -, im Tanz, u. a. der Kampf-Tanzkunst Capoeira und vor allem in der Musik.
Pater: ""Das ist ein sehr lebendiges Land, hier sprudelt alles, es fällt schon manchmal schwer, sich zu konzentrieren bei der permanenten Ablenkung, überall trudelt was, trommelt was, feiert was, ein Bus fährt, es ist ein sehr lautes Land, das versuche ich den Leuten aber auch beizubringen, dass diese Musik auch Ruhe braucht, Konzentration, Sammlung, Meditation.”"

Pater: ""Es kommen Leute aus allen möglichen religiösen Kontexten, natürlich Voraussetzung ist, dass sie die katholische Religion respektieren und auch im Gottesdienst mitsingen, aber es wird nicht nachgefragt wer ist katholisch oder wer nicht, das ist nicht so wichtig ...”"

Er möge dieses Land sehr, sagt der Padre aus Gießen. Aber in das Altstadtviertel Pelourinho - ein Muss für jeden Touristen - fährt er nur mit dem Auto. Wegen der vielen Überfälle. Und die öffentlichen Verkehrsmittel - scheppernde, meist überfüllte Busse - mit denen kenne er sich nicht aus.

Konzerte mit Kammerchor und Barockorchster, ab und zu eine Opernaufführung im Staatstheater "Teatro Castro Alves”, die Pension - nein, zu viel wird ihm das nicht, sagt Bönisch, der sich mittlerweile seinem nächsten Projekt widmet: dem Berlin-Café.

Pater: ""Ich mach’s nicht selber, weil ich unbedingt alles selber machen will, sondern ich mach es selber, um ein Beispiel zu geben. Die Leute lernen das dann auch. Es geht jetzt nicht um Deutsch-Tümelei, sondern es geht darum, dass wir ernährungsbewußte, gute Sachen machen. Das ist Tradition, dass wir nach der Chorprobe auch ein gemeinsamens Abendessen machen."