Axel Schildt: „Medienintellektuelle in der Bundesrepublik“

Die Streitkultur der Adenauerzeit

05:38 Minuten
Der Philosoph und Soziologe Theodor W. Adorno / Foto um 1960.
Nicht zuletzt wegen seiner Radiobeiträge wurde der Philosoph Theodor W. Adorno einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. © picture-alliance / akg-images
Von Marko Martin · 07.12.2020
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Axel Schildts nachgelassenes Werk „Medienintellektuelle in der Bundesrepublik“ ist ein Meilenstein der Geistesgeschichtsschreibung. Der Historiker schärft damit auch den Blick auf gegenwärtige Debatten.
Die Medien werden immer schneller. Ein aktuelles Phänomen? Mitnichten. "Die elektrische Schreibmaschine war das technische Instrument des Strukturwandels intellektueller Produktion in den 1960er-Jahren, bald darauf flankiert von der Explosion in der Produktion von Fotokopiergeräten im Westen." Und während der Publizist Erich Kuby vor der "Ent-Individualisierung" durch das Radio warnte, entdeckte nicht allein der kritische Philosoph Theodor W. Adorno die Möglichkeiten des Äthers, sich effizient mitzuteilen.


Dabei ist das nur eine der überraschenden Gegenwartsparallelen in Axel Schildts voluminöser Studie "Medienintellektuelle in der Bundesrepublik". Der 1951 geborene Hamburger Historiker, der letztes Jahr überraschend starb, walzt das Offensichtliche jedoch nicht aus, sondern vertraut auf eine mündige Leserschaft: Sieh an, all das, was uns heute präzedenzlos erscheint, gab es in anderer Form bereits damals – inklusive aller damit verbundenen Heilserwartungen oder Untergangsfantasien.
Schildts Lebensgefährtin Gabriele Kandzora, die zusammen mit dem Historiker Detlef Siegfried diesen (inklusive Quellenverzeichnis und Register) knapp 900-seitigen Nachlassband herausgegeben hat, beschreibt im Nachwort, wie konzentriert ihr Partner bis wenige Tage vor dem Krebstod an seinen opus magnum gearbeitet hatte: Eine (westdeutsche) Intellektuellengeschichte von der Nachkriegszeit bis 1968, das in Axel Schildts detailsatter, doch stets lakonisch-präziser Beschreibung dann ebenfalls viel vom Nimbus als quasi voraussetzungslosem Zäsur-Jahr verliert.

Kein "geistiger Mehltau"

Man muss bedauern, dass Schild die anderen geplanten Kapitel - bis hin zu den "Intellektuellen auf dem Weg in die Berliner Republik" - nicht mehr fertigstellen konnte; was indessen bleibt, ist die geradezu verdutzte Freude und Dankbarkeit, dass es dieses Buch gibt. Wer es liest, wird fürderhin wohl kaum mehr die Phrase vom "geistigen Mehltau der Adenauer-Jahre" nachplappern, denn wichtige Debatten wurden bereits damals in Funk, Zeitungen und Zeitschriften geführt: so etwa im Pro und Contra Wiederbewaffnung und Westbindung oder beim Thema "Abendland".
Buchcover: "Medienintellektuelle in der Bundesrepublik" von Axel Schildt
Wer Axel Schildts Buch gelesen hat, wird vom "geistigen Mehltau" der Adenauerzeit nicht mehr sprechen.© Wallstein Verlag / Deutschlandradio
Besonders anhand letzterer Debatte zeigt Schildt, wie seinerzeit tonangebende Konservative, die bereits unter den Nazis veröffentlicht hatten, als nunmehr vermeintlich Geläuterte auf das neue Pferdchen setzten, wobei ihr Antiamerikanismus durchaus Schnittmengen zu den Ressentiments mancher Linker aufwies. Der aus dem amerikanischen Exil nach Europa zurückgekehrte ehemalige "Weltbühnen"-Autor William S. Schlamm hielt deshalb in seinem seinerzeit viel gelesenen Buch "Die Grenzen des Wunders" beiden politischen Lagern etwas vor, was ebenfalls sehr gegenwärtig klingt: Es könne nicht angehen, dass die Westdeutschen "reich wie Amerika, aber schwach und neutral wie Monaco" sein wollten.

Historische Muster werden kenntlich

Sogar der Streit um Wolfgang Koeppens 1953 erschienenen Bonn-Roman "Das Treibhaus" taugt als beunruhigender Augenöffner. Waren es doch nicht nur Linke, die Koeppens sarkastische Persiflage auf den Parlamentarismus bejubelt hatten, sondern auch dubiose Altrechte wie der "konservativen Revolutionär" Hans Zehrer oder der Rathenau-Attentäter Ernst von Salomon.
Wer bereits damals auf diese ungute Melange hinwies, war der junge Publizist Klaus Harpprecht, der später die Leitung der dezidiert antitotalitären Zeitschrift "Der Monat" übernahm, ehe er zum Redenschreiber Willy Brandts wurde. Geschichten über Geschichten, die nicht im Anekdotischen verbleiben, sondern Muster kenntlich machen: Axel Schildt hat sie für uns aufbewahrt.

Axel Schildt: "Medienintellektuelle in der Bundesrepublik"
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Gabriele Kandzora und Detlef Siegfried
Wallstein Verlag, Göttingen 2020
896 Seiten, 46 Euro

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