Autorin, Rebellin und Bohemien
Die Biografie über die Schriftstellerin Franziska zu Reventlow zeigt, wie ihre radikalen Bestrebungen nach Kreativität und Autonomie um die vorletzte Jahrhundertwende Widerstand hervorrufen. Der Autorin Gunna Wendt ist eine angenehm lesbare Einsicht in das kurze Leben dieser schillernden Persönlichkeit der Münchner Boheme gelungen.
Gern wird sie als rebellischer Glanz der Schwabinger Boheme in München bezeichnet. Der Freund Rainer Maria Rilke (1875-1926) verehrte sie als ideale Symbiose einer "Mutter und Hetäre" und empfahl allen jungen Menschen, ihren autobiographischen Roman "Ellen Olestjerne" (1903) zu lesen.
Getauft auf den Namen Fanny Sophie Auguste Liane Adrienne Wilhelmine Comtesse zu Reventlow wächst Franziska zu Reventlow mit fünf Geschwistern in einem Schloss vor Husum auf. Der Vater ist Königlich-Preußischer Landrat, die Mutter eine geborene Gräfin zu Rantzau. Doch sie will nicht ins gediegene, aber kalte Milieu der Adelsfamilie passen, deren Angst, vor der Öffentlichkeit in Ungnade zu fallen, die privaten Entscheidungen regiert.
An den großen Flaneur Franz Hessel (1880-1941) schreibt die 36-jährige Reventlow 1907: "Ach, Franzl, es ist immer zu wenig Wärme und zu viel Missverstehen und zu viel Nervosität zwischen uns heutigen Menschen". Da bleiben ihr noch elf Lebensjahre und sie zieht immer noch mittellos umher, an ihrer Seite der 1897 geborene Sohn Rolf.
Gunna Wendt skizziert den Lebensweg Franziska zu Reventlows mit Hilfe einer chronologischen Grundidee, ohne diese allzu sehr in den Vordergrund treten zu lassen. Sie zeigt, wie Reventlows radikale Bestrebungen nach künstlerischer Kreativität und wirtschaftlicher Autonomie den Widerstand der Familie hervorrufen. Und da die Hysterie im Fin de Siècle ganz dem Weiblichen zugeschrieben wird, droht diese ihr mehrfach mit der Entmündigung wegen Geisteskrankheit.
Trotz elterlichem Verbot, nach geltendem Recht ist nur die Ausbildung des Sohnes zu gewährleisten, absolviert sie das Lübecker Privat-Lehrerinnen-Seminar 1892 mit bestem Erfolg. Der Beruf bedeutet, finanziell unanhängig zu sein. Doch Reventlows sehnlichster Wunsch ist es, Malerin zu werden und zu schreiben. Ihre erste Veröffentlichung – die Prosaskizze "Die Uniform" – fällt in das Jahr 1893, gefolgt von den viel beachteten Essays "Das Männerphantom der Frau" (1898) und "Viragines und Hetären" (1899).
Anhand zahlreicher unveröffentlichter Briefe und autobiographischer Dokumente versucht Wendt zu zeigen, wie sich diese im literarischen Werk fiktionalisiert wiederfinden. So beginnt das letzte Kapitel ihrer Biographie mit dem Satz:
"Seit Franziska zu Reventlow ihr Elternhaus verlassen hatte und in einer selbstbewussten und geradezu mutigen Maßlosigkeit das Leben einer Bohemienne führte, war ihr Dasein eine einzige wirtschaftliche Krise."
Reventlows Briefroman "Der Geldkomplex" (1916) scheint diese These aufgrund zahlreicher autobiografischer Parallelen zu bestätigen. Wendt betont aber auch die literarische Qualität des Romans. Denn Reventlow gelingt die ironische Literarisierung einer Generation von Literaten und Künstlern, deren Existenz vom allzeit drohenden Bankrott überschattet ist. Sarkastisch reflektiert sie zudem die in Mode kommende Psychoanalyse.
Im Jahr 1946 empfahl der Lyriker und Dramatiker Karl Wolfskehl (1869-1948) jedem, der Einblick in das München der Jahrhundertwende bekommen will, Franziska zu Reventlows Schlüsselroman "Herrn Dames Aufzeichungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil", der zehn Jahre nach ihrer Münchner Zeit 1913 erscheint und in Ascona geschrieben wurde.
Gunna Wendt ist eine angenehm lesbare und äußerst informative Einsicht in das kurze Leben dieser – wie sie es nennt – "anmutigen Rebellin" gelungen.
Rezensiert von Carola Wiemers
Gunna Wendt
Franziska zu Reventlow, Die anmutige Rebellin Biographie
Aufbau Verlag/ Berlin 2008
317 Seiten, 24,95 EUR
Getauft auf den Namen Fanny Sophie Auguste Liane Adrienne Wilhelmine Comtesse zu Reventlow wächst Franziska zu Reventlow mit fünf Geschwistern in einem Schloss vor Husum auf. Der Vater ist Königlich-Preußischer Landrat, die Mutter eine geborene Gräfin zu Rantzau. Doch sie will nicht ins gediegene, aber kalte Milieu der Adelsfamilie passen, deren Angst, vor der Öffentlichkeit in Ungnade zu fallen, die privaten Entscheidungen regiert.
An den großen Flaneur Franz Hessel (1880-1941) schreibt die 36-jährige Reventlow 1907: "Ach, Franzl, es ist immer zu wenig Wärme und zu viel Missverstehen und zu viel Nervosität zwischen uns heutigen Menschen". Da bleiben ihr noch elf Lebensjahre und sie zieht immer noch mittellos umher, an ihrer Seite der 1897 geborene Sohn Rolf.
Gunna Wendt skizziert den Lebensweg Franziska zu Reventlows mit Hilfe einer chronologischen Grundidee, ohne diese allzu sehr in den Vordergrund treten zu lassen. Sie zeigt, wie Reventlows radikale Bestrebungen nach künstlerischer Kreativität und wirtschaftlicher Autonomie den Widerstand der Familie hervorrufen. Und da die Hysterie im Fin de Siècle ganz dem Weiblichen zugeschrieben wird, droht diese ihr mehrfach mit der Entmündigung wegen Geisteskrankheit.
Trotz elterlichem Verbot, nach geltendem Recht ist nur die Ausbildung des Sohnes zu gewährleisten, absolviert sie das Lübecker Privat-Lehrerinnen-Seminar 1892 mit bestem Erfolg. Der Beruf bedeutet, finanziell unanhängig zu sein. Doch Reventlows sehnlichster Wunsch ist es, Malerin zu werden und zu schreiben. Ihre erste Veröffentlichung – die Prosaskizze "Die Uniform" – fällt in das Jahr 1893, gefolgt von den viel beachteten Essays "Das Männerphantom der Frau" (1898) und "Viragines und Hetären" (1899).
Anhand zahlreicher unveröffentlichter Briefe und autobiographischer Dokumente versucht Wendt zu zeigen, wie sich diese im literarischen Werk fiktionalisiert wiederfinden. So beginnt das letzte Kapitel ihrer Biographie mit dem Satz:
"Seit Franziska zu Reventlow ihr Elternhaus verlassen hatte und in einer selbstbewussten und geradezu mutigen Maßlosigkeit das Leben einer Bohemienne führte, war ihr Dasein eine einzige wirtschaftliche Krise."
Reventlows Briefroman "Der Geldkomplex" (1916) scheint diese These aufgrund zahlreicher autobiografischer Parallelen zu bestätigen. Wendt betont aber auch die literarische Qualität des Romans. Denn Reventlow gelingt die ironische Literarisierung einer Generation von Literaten und Künstlern, deren Existenz vom allzeit drohenden Bankrott überschattet ist. Sarkastisch reflektiert sie zudem die in Mode kommende Psychoanalyse.
Im Jahr 1946 empfahl der Lyriker und Dramatiker Karl Wolfskehl (1869-1948) jedem, der Einblick in das München der Jahrhundertwende bekommen will, Franziska zu Reventlows Schlüsselroman "Herrn Dames Aufzeichungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil", der zehn Jahre nach ihrer Münchner Zeit 1913 erscheint und in Ascona geschrieben wurde.
Gunna Wendt ist eine angenehm lesbare und äußerst informative Einsicht in das kurze Leben dieser – wie sie es nennt – "anmutigen Rebellin" gelungen.
Rezensiert von Carola Wiemers
Gunna Wendt
Franziska zu Reventlow, Die anmutige Rebellin Biographie
Aufbau Verlag/ Berlin 2008
317 Seiten, 24,95 EUR