Autorin der Moderne

Milada Soucková zählte zur literarischen Avantgarde in Tschechien. Doch erst seit einigen Jahren wird das Werk der 1899 geborenen Autorin wiederentdeckt. Ihr Roman "Bel Canto", der jetzt auf Deutsch erscheint, erzählt die Geschichte einer schönen Künstlerin auf der Suche nach dem Erfolg.
"Bel canto", der schöne Gesang, heißt der Roman von Milada Součková nach dem, was die Hauptfigur unablässig erstrebt. Julinka glaubt beständig, so sehr die Jahre auch dahingehen, ihr Erfolg erst als Gesangssolistin, dann als Schauspielerin, als Drehbuchautorin, als Filmagentin, als Geliebte stünde kurz bevor.

Dazu glaubt sich die schöne Frau mit Künstlernamen Giulia immer wieder berechtigt. Dass ihre Stimme, auch ihre sonstigen Fähigkeiten und Eigenschaften zu diesen Hoffnungen wenig Anlass geben, dass sie Jahre der Armut und der Not durchstehen muss, ficht ihren Glauben nicht an. Wohl aber den Ich-Erzähler, der einen Roman schreiben möchte und verzweifelt ob der Romanuntauglichkeit seiner nach Opernmaximen lebenden Hauptfigur.

Um es gleich vorwegzunehmen: Aus dem Roman wird nichts, das jedoch 300 Seiten lang. Die Krise des Romans, in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts bereits sprichwörtlich, gilt auch für "Bel Canto". Allerdings gewinnt Milada Součková dem Thema eine höchst ungewöhnliche Seite ab: "Bel Canto" ist das seltene Beispiel eines Buches, dessen Figuren und Erzähler, Stoff und Gattung miteinander im Clinch liegen. Verabschiedet wird so mit der Gattung Roman auch die Institution des Künstlers, des Intellektuellen.

Für diese Attacken hatte die Pragerin Milada Součková, als sie den 1944 erschienenen Roman verfasste, gute Gründe. Ihre Welt lag in Trümmern: Die Nationalsozialisten hatten die Tschecho-Slowakische Republik zerstört und Böhmen und Mähren als "Protektorat" besetzt. Součkovás Mann, der Maler Zdeněk Rykr, brachte sich um, bevor ihn die Deutschen verhaften konnten.

Zweifel an der Literatur und ihren Mitteln hatte die 1899 geborene Součková jedoch schon, als sie in den 30er-Jahren zu veröffentlichen begann. Die meisten ihrer Texte erschienen im Selbstverlag, weshalb die Autorin der Moderne, die Ende der 30er-Jahre mit Henry Miller, Lawrence Durrell, William Saroyan und Anaïs Nin in Paris die Zeitschrift "The Booster/Delta" herausgab, erst seit einigen Jahren in Tschechien als Autorin der Avantgarde wiederentdeckt wird.

Nach dem Krieg war Součková Kulturattaché ihres Landes in New York. Von dem Posten trat sie nach dem Putsch der Kommunisten in der Heimat 1948 unter Protest zurück. Ihr Freund Roman Jakobson, der berühmte Linguist, ermöglichte der Exilantin, an nordamerikanischen Universitäten als Bohemistin Fuß zu fassen.

"Bel canto" ist nach "Der unbekannte Mensch", 1999 in der "Tschechischen Bibliothek" erschienen, das zweite Buch der Tschechoslowakin auf Deutsch. Es ist eine mal leichte, mal schwere Kost. Julinka/Giulia würde ihr Leben von der Taufe bis zur Bahre erzählen und schwärmt für Psychologie – Součkovás anonym bleibender Erzähler, offenbar ein früherer Geliebter der Schönen, bricht die Chronologie in Stücke, montiert Fragmente und sieht statt Psychologie Leere.

Er wirft seiner Heldin das Schwatzen vor und hört ihr daher oft nicht zu. Mehr als die Frau interessieren ihn ihre zahlreichen Geliebten, und öfter heißt es, das Geschehen trüge sich in Rom, Prag, Berlin, Paris oder New York zu: Die Sehnsucht nach Erfolg internationalisiert Giulia, sie verliert sogar ihre Muttersprache. Doch dann gelingen dem Erzähler farbige, fesselnde Szenen, die er alsbald als Fiktion kritisiert und dabei den Leser anredet, der sich ertappt fühlt: eine schöne Frau und hochmögende Pläne – so leicht ist man also zu verführen.

Besprochen von Jörg Plath

Milada Součková: Bel Canto
Aus dem Tschechischen und mit einem Nachwort von Eduard Schreiber
Mit einem biographischen Zusatz von Kristan Suda
Matthes & Seitz, Berlin 2010
320 Seiten, 22,90 Euro