Autorenfilme gegen den Europudding

Von Wolfgang Martin Hamdorf |
Das Festival zeigt eigenwillige europäische Filme in ausverkauften Kinos. Die Veranstalter setzen die von ihnen präsentieren Autorenfilme gegen den Europudding - Filme also, die aus vielen Fördertöpfen Mainstream brauen. Länderschwerpunkt ist in diesem Jahr Frankreich.
Die Fanfare hat der britische Filmmusiker Michael Nyman eigens für das Festival des europäischen Films in Sevilla komponiert. Sie läuft als Endlosschleife in der großen Halle des ehemaligen Casinos, dem Hauptsitz des Festivals. Hier präsentierte Nymann am Freitag seine neue musikalische Interpretation von Jean Vigos Stummfilmklassiker "A propos de nice".

So wie Michael Nyman in der Filmmusik, steht auch der 61-jährige französische Theater-, Opern-, und Filmregisseur Patrice Chéreau für einen ganz eigenen künstlerischen Ausdruck im europäischen Film – die Identität Europas liegt für ihn in der filmischen Vielseitigkeit:

" Weil der Unterschied zum amerikanischen Film ist so stark – wir suchen einfach in Europa einfach etwas anderes, ein deutscher Film sucht etwas anderes – es ist nicht nur Entertainment, das ist etwas anderes und jeder Regisseur tut es mit den Gesetzen seiner Kultur und seiner Tradition, wir sind sehr, sehr verschieden, aber in dem gleichen Maße, wir sind sehr einig in unserer Suche für einen anderen Film, einer anderen Art, Filme zu machen. "

Das Festival zeigte in einer Werkschau acht Filme Cheréaus und präsentierte seinen neusten Film "Gabrielle" in der Abschlussgala. Zur vielschichtigen Identität des europäischen Films gehören auch das dunkle epische Kino des ungarischen Filmemachers Bela Tarr wie "Satanstango" und "Werckmeisters Harmóniák". In Sevilla waren in einer Retrospektive zwölf seiner Filme zu sehen. Der eigenwillige Ungar sieht die Identität des europäischen Films im individuellen künstlerischen Ausdruck, der sich gegen alle Widerstände durchsetzt:

" Als ich jung war, da gab es die Macht der Zensur, der politischen Zensur. Heute haben wir die Macht des Marktes – und für mich ist das eigentlich das Gleiche. "

Sevilla zeigt eigenwillige, ungewohnte und teils sperrige Filme in ausverkauften Kinos. Für Manuel Lombardo, den Programmgestalter des Festivals, ist das auch ein Beweis für die Markttauglichkeit europäischer Filme:

" Wir haben für das Festival die Hälfte der Kinosäle eines Multiplex hier in Sevilla gemietet, und da stehen die Filme aus Georgien und Slovenien in direkter Konkurrenz zu den amerikanischen Blockbustern und den aktuellen Hits des kommerziellen spanischen Films – man könnte denken, dass die europäischen Filme da überhaupt keine Chance hätten. Aber wir hatten in diesen Tagen genauso viele Zuschauer für ganz eigenwillige europäische Filme für die anderen. Das ist ein großer Erfolg, denn es zeigt, dass diese Filme konkurrenzfähig sind. "

Aber der Publikumserfolg während eines Festivals ist eine Sache, der kommerzielle Verleih eine andere. Das wichtigste Anliegen der Veranstalter in Sevilla ist daher die Verbreitung des europäischen Films – das Preisgeld von insgesamt 240.000 Euros ist Verleihförderung. Für die deutsche Produzentin Bettina Brokemper ein wesentlicher Pluspunkt des Festivals:

" Also das Besondere ist in Sevilla für mich, dass hier europäisches Kino ausgezeichnet wird, aber nicht einfach nur mit einem Preis, einer Statue und Geld für den Regisseur, den Film oder dem Produzenten, sondern dass es ein Verleihpreis ist, das heißt, der Film, der gewinnt, in den verschiedenen Sektionen, alle Preise, das ist eigentlich der große Unterschied, sind Verleihpreise. Und der Film, der gewinnt, hat die Chance, dadurch einen spanischen Verleih zu finden, und das ist sehr außergewöhnlich und sehr spannend, weil so endlich auch europäische Filme hier im Kino zu sehen sind, das finde ich sehr gut. "

Bettina Brokemper produzierte den deutschen Film "Falsche Bekenner" über einen Jugendlichen, der sich aus dem umklammernden Elternhaus in die Grauzone von Terrorismus und Gewalt hinausbewegt, einer der zwölf Filme im Wettbewerb. Zwölf Filme aus so unterschiedlichen europäischen Ländern wie Ungarn, Österreich, Dänemark, Frankreich oder Griechenland. Bei der Auswahl dominierte ein unterkühlter, pessimistischer oft sarkastischer Grundton.

Der Präsident der Jury, der 70-jährige Kameramann Michael Ballhaus, hat lange in den USA gearbeitet und sieht große Unterschiede zum europäischen Film:

" Es ist sehr experimentell, es werden Themen aufgegriffen, die man in Amerika nicht unbedingt aufgreifen würde, und jeder Film sagt etwas über das Land, in dem er gemacht wurde, und das ist das Spannende dabei, dass immer Themen aufgegriffen werden, die neu sind, die interessant sind und die man noch nicht gesehen hat – in den meisten amerikanischen Filmen ist es halt so, dass man nach zehn Minuten eigentlich weiß, wie der Film ausgeht."

Der mit 60.000 Euro dotierte Hauptpreis, der "Giradillo de oro”, ging an den französischen Film "De battre mon coeur s'est arrette" von Jaques Audiard – um die Selbstfindung eines jungen Musikers in Paris.

Der zweite Preis mit 30.000 Euro ging an den Film "Crash Test Dummies" von Jörg Kalt aus Österreich, er erzählt die Geschichte eines rumänischen Immigrantenpärchens in Wien kurz vor der EU-Osterweiterung.

Mit dem Sonderpreis zeichnete die Jury den ungarischen Film "Johanna" aus, die eigentümliche Episode einer wundersam geheilten Drogenabhängigen, die sich als Krankenschwester den Patienten hingibt. Der deutsche Film "Kebab Connection" von Anno Saul erhielt den mit 30.000 Euro dotierten Preis der Nachwuchskritik "Generación Europa”.

Sevilla setzt auf den individuellen Autorenfilm gegen den Europudding - den Filmen, die aus der Vielzahl unterschiedlicher Fördertöpfe einheitlichen Mainstream brauen. In der Vielfalt europäischer Filme sieht Michael Ballhaus auch eine integrative Funktion:

" Weil es gibt auch viel zu viele unterschiedliche Sprachen, es hängt ja auch mit den Sprachen zusammen, und da wir halt in Europa sehr viele Sprachen haben, deswegen wird auch jeder Film anders sein – aber es bringt Europa näher zueinander, wenn man diese Filme sieht, und das ist ja eigentlich das Schönste, was man vom Film sagen kann, dass wir mehr lernen über unsere Nachbarn. "

Service:

Das Sevilla Festival de Cine findet vom 4. bis 12. November 2005 statt. Der mit 60.000 Euro dotierte Hauptpreis, der "Giradillo de oro", ging an den französischen Film "De battre mon coeur s'est arrette" von Jaques Audiard.