Automobilclub nennt Ramsauer-Reform "Augenwischerei"

09.02.2012
"Ein Schuss aus der Hüfte": Volker Lempp vom Automobilclub ACE übt scharfe Kritik an den Plänen von Verkehrsminister Ramsauer für eine neue Verkehrssünderkartei. Die Reform mache das System weder einfacher noch gerechter.
Elke Durak: Die FDP hatte es ganz fest versprochen: Ein einfacheres, transparenteres und verhältnismäßigeres System zum Nutzen der Bürger. Wenn Sie jetzt das Wort "gerechter" vermisst haben und an das versprochene neue Steuersystem denken, dann habe ich Sie auf eine leicht falsche Fährte gelenkt - aber dies mit voller Absicht. Es geht um ein anderes Versprechen, das FDP und Union via Koalitionsvereinbarung abgegeben haben, ein ganz wichtiges, eine neue Verkehrssünderkartei soll kommen.

Volker Lempp ist Verkehrsrechtsexperte des Automobilclubs ACE – schönen guten Tag, Herr Lempp!

Volker Lempp: Guten Tag!

Durak: Sagen Sie, ist diese Reform notwendig oder doch auch ein Schnellschuss, wie wir eben gehört haben?

Lempp: Also ich kann mich dem letztgenannten Statement eigentlich nur anschließen. Diese angebliche Reform ist für mich keine Reform – wenn ich aus einem Sieben-Punkte-System ein Zwei-Punkte-System mache, dann hab ich noch nichts erreicht. Ich kann auch mit 20 Punkten arbeiten, wie die Italiener, oder mit drei wie in Österreich, da gibt es die verschiedensten Systeme. Die Kompliziertheit unseres Punktesystems ergibt sich ja nicht daraus, dass wir die Straftaten und die Ordnungswidrigkeiten differenziert mit eins bis sieben Punkten bewerten, sondern kompliziert ist das ganze Verfahren, sind die Tilgungsfristen, die Überliegefristen, ein Konvolut an Rechtsbestimmungen, die niemand durchschaut – da scheint ja überhaupt nichts getan zu werden. Also es ist ein bisschen eine Augenwischerei, zu sagen, ich reduziere auf zwei Punkte, und damit habe ich das Flensburger Punktesystem reformiert, das kann ich nicht teilen.

Durak: Wissen Sie, ich hab noch ein ganz anderes Problem mit dieser Reform. Ich habe den Eindruck, es kommt gar nicht mehr so darauf an, mithilfe der Strafen, der Punkte zu erziehen, Menschen vom Fehlverhalten abzuhalten, sondern dass das Ganze vom Bürger besser verstanden wird und von Juristen vielleicht besser gehandhabt werden kann. Täuscht der Eindruck?

Lempp: Also wie gesagt, der Bürger hat überhaupt keine Probleme mit den eins bis sieben Punkten, er kann überall nachschauen, für welches Delikt welche Punkte vorliegen. Und der Hintergrund ist ja, wie Sie richtig sagen, es soll ja nun differenziert der einzelne Verkehrsverstoß bewertet werden in seiner Aussagekraft für den Charakter und das Verkehrsverhalten der betreffenden Person. Was Herr Ramsauer vorschlägt, das ist wirklich so ein Schuss aus der Hüfte: Ich mache einfach zwei Kategorien, und dann vereinfache ich mir die Verwaltungsarbeit möglicherweise. Aber wo bleibt denn da die Gerechtigkeit? Also ich kann die Vielzahl von Verkehrsverstößen – vom Handyverbot bis zum Durchfahren einer roten Ampel – jetzt nicht mit Zwei-Punkte-Kategorien abdecken, das geht einfach nicht.

Durak: Das heißt, die erzieherische Maßnahme fällt auch hinten runter?

Lempp: Die fällt hinten runter, natürlich.

Durak: Ist das die Botschaft dieser Reform in Ihren Augen?

Lempp: Ich glaube schon. Also ich beziehe mich auch jetzt mal auf den Verkehrsgerichtstag, der 2009 schon differenziert zehn Punkte gefordert hat für die Reform des Punktesystems. Da steht überhaupt nichts drin von einer Reduzierung der Punktezahl von sieben auf zwei, sondern da waren ganz spezielle Vorschriften angesprochen, die eben die mangelnde Transparenz des Systems bedingen. Und das hätte sich der Herr Ramsauer vielleicht vorher noch mal durchlesen sollen, bevor er hier von einer Reform spricht.

Durak: Na, die Koalition hat vielleicht einen Bedarf am Vorzeigen von irgendwelchen Reformen. Aber Herr Lempp, sagen Sie, wie ist das, Sie haben Österreicher und Italien erwähnt, kommen wir gleich drauf – ich hätte gern gewusst, wie ist es überhaupt zu diesem Punktesystem gekommen, seit wann gibt es das?

Lempp: Also das Punktesystem an sich ist 1961, soviel ich weiß, eingeführt worden, um einfach die Fahreignung der Kraftfahrer irgendwie schematisch und leicht nachvollziehbar zu erfassen. Das ist dann in eine Verwaltungsvorschrift übergegangen, und seit 1991 steht es auch im Straßenverkehrsgesetz, also eine typisch deutsche Erfindung, um dieses System der Kraftfahrerbeurteilung quasi zu perfektionieren.

Durak: Und vorher gab es den erhobenen Zeigefinger oder wie?

Lempp: Mehr oder weniger, dann wurde er eben so beurteilt. Ich brauche ja kein Punktsystem, um einen Kraftfahrer zu beurteilen, ich kann ihn auch gleich zur Untersuchung schicken, und das ist auch vielleicht sinnvoll. Mit den Jahren hat es sich natürlich dann wie so eine Strafe entwickelt. Heute haben die Leute eben die Befürchtung, Punkte zu bekommen, viel mehr als das Bußgeld, aber normalerweise haben die Punkte gar nichts mit Strafe zu tun, sondern es ist eben eine reine Beurteilungsgeschichte.

Durak: Und die Österreicher und die Italiener tun es anders?

Lempp: Also die Österreicher, die haben ein spezielles Vormerksystem, das ist vielleicht noch einfacher als das, was sich der Herr Ramsauer vorstellt. Da gibt es eben sogenannte Vormerkdelikte, 13 an der Zahl, also besonders gefährliche Delikte, und wenn Sie diese Delikte verwirklichen im Straßenverkehr, dann sind Sie eben beim dritten Mal ihre Fahrerlaubnis los. Die Italiener haben unser System übernommen mit der Variante 20 Punkte als Guthaben quasi, die dann bei bestimmten Verstößen eben abgebaut werden, und wenn man dann bei null angelangt ist, dann ist halt auch der Führerschein weg. Also Varianten gibt es da noch und nöcher. Noch mal, also da kann eine Reform sich nicht bewähren, in dem sie nun irgendwas an diesem Zahlenspiel ändert. Das ist eigentlich eindeutig.

Durak: Wir kommen sich noch mal drauf zurück. Danke schön, Volker Lempp, Verkehrsrechtsexperte des Automobilclubs ACE.

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