"Autobiografische Forschung"

Rezensiert von Katharina Döbler · 01.09.2005
"My one and only love" ist der zweite Roman des israelischen Jazzmusikers Gilad Atzmon – und natürlich geht es darin um Jazz. Aber noch mehr geht es um die frühen Jahre des Staates Israel und um die zynischen Gebräuche des Showbiz.
Es ist, das kann man zweifelsfrei sagen, ein Schlüsselroman, der wichtige Figuren der Zeitgeschichte in kaum verschlüsselter Weise porträtiert: Bekannte israelische Politiker und Schlagerstars spielen darin durchaus unrühmliche Nebenrollen. Hinter den Kulissen allerdings zieht der Geheimdienst die Fäden, egal ob es sich um das Showgeschäft, die Politik oder die angebliche Jagd nach untergetauchten Nazis handelt. Aufgedeckt werden die schmutzigen Geschichten von einem jungen Historiker, der etwas betreibt, was er selbst "autobiografische Forschung" nennt.

In romantischer Manier gibt der Autor Atzmon vor, das Material des Romans von diesem Historiker mit dem in mehrfacher Hinsicht bedeutungsvollen Vornamen "Bird" erhalten zu haben. Es besteht aus Aufzeichnungen, in denen vier Menschen über Ereignisse in den fünfziger Jahren sprechen. Der alt gewordene einstige Startrompeter Danny Zilber redet über seine Musik und seine Einsamkeit, sein gestörtes Verhältnis zu Frauen und über die geheimnisvolle Fremde, die eines Abends in seine Garderobe getreten ist und zur – unerfüllten - Liebe seines Lebens wurde: "My one and only love".

Auch die Angebetete kommt zu Wort, ebenso wie der Historiker und Zilbers Manager Avrum. Er sitzt nach einer finanziell höchst erfolgreichen internationalen Karriere im Knast, was ihn nicht weiter zu bekümmern scheint, denn auch dort arbeiten alle für ihn, das Gefängnispersonal eingeschlossen. In einer Sprache, die hauptsächlich aus Straßenslang, politischen Floskeln auf Stammtischniveau und Zoten besteht, erzählt er zum Beispiel von seinem ersten großen Erfolg, als er ein Sängerpärchen auf der internationalen Bühne lancierte – mit Hits wie "Bum bum bum chicki bum bum". Zu diesem Zweck ging er, wie er freimütig gesteht, buchstäblich über Leichen, insgeheim gedeckt und unterstützt vom Geheimdienst. Denn diese grauenhafte, vor allem in Deutschland so beliebte Musik ist, Avrum zufolge, Israels Rache für die Shoa. Doch dahinter steckt, wie sich herausstellt, das noch viel zynischere Kalkül des Geheimdiensts: Danny Zilber verdankt seinen musikalischen Erfolg und letztlich auch seine große Liebe dem Mossad, dessen Pläne sich nicht einmal die kühnsten Verschwörungstheoretiker ausdenken können.

Gilad Atzmon, der schreibende Musiker, trifft den Ton seines kleinen historischen Quartetts genau: die Selbstrechtfertigungen und Phrasen, die romantischen Ergüsse und politisch korrekten Reden. Seine bittere Satire auf das Musikgeschäft und den militanten Nationalismus israelischer Prägung ist so ätzend wie komisch, so unterhaltsam wie boshaft.

Gilad Atzmon: My one and only love
Roman
Aus dem Englischen von Sophia Deeg
Edition Nautilus, Hamburg 2005
218 S., 16,90 Euro