Authentische Erzählungen
In Haslingers "Zugvögel" begegnet der Erzähler Bekannten von früher, wird von der Mutter ins Heimatdorf gerufen, weil es einen seit Jahrzehnten schwelenden Streit zu schlichten gilt, oder er sitzt vor einem Imbisswagen an der kroatischen Küste. Die Erzählungen kommen porentief authentisch daher, als wäre das Erfinden von Plots nicht gängige literarische Praxis.
"Ich habe Menschen getroffen" - so beginnt ein schönes Gedicht von Gottfried Benn, eines seiner menschenfreundlichsten, und so könnte auch dieses Buch von Josef Haslinger einsetzen. Denn der Autor hat Menschen getroffen, und er erzählt mit lakonischer Anteilnahme von diesen Begegnungen. Mit hartnäckiger Sanftmut leiht er fremden Schicksalen, fremdem Unglück sein Ohr.
Die jeweils etwa 30 Seiten langen Erzählungen kommen porentief authentisch daher, als wäre das Erfinden und das Konstruieren von Plots, wie Haslinger es doch selbst an der Schreibakademie zu Leipzig lehrt, nicht gängige literarische Praxis. Als ginge es in der Literatur vielmehr nach wie vor um Erfahrung, die von Mund zu Mund geht. Der Gestus der Erzählungen ist konventionell, ja behäbig: "franz lud mich auf einen selbst gebrannten obstler ein. Wir setzten uns und begannen von alten zeiten zu reden." Leben pur, wenn auch in konsequenter Kleinschreibung.
Die Geschichten sind ähnlich aufgebaut. Der Erzähler begegnet Bekannten von früher, wird von der Mutter ins Heimatdorf gerufen, weil es einen seit Jahrzehnten schwelenden Streit zu schlichten gilt, oder er sitzt vor einem Imbisswagen an der kroatischen Küste und hört beim Wein Erzählungen aus dem jugoslawischen Bürgerkrieg zu.
Die erste Geschichte ("ich hatte in frankfurt zu tun") schildert die Wiederbegegnung mit einem Jugendfreund. Inzwischen ist "der Biber" ziemlich auf den Hund gekommen – er ist ein Mann am Stock, nach einem Schlaganfall. Viele Reminiszenzen der siebziger Jahre finden in dieser Geschichte ihren Platz. Nichts Neues das alles. Die Geschichte wirkt sehr dahingeplaudert; es ist die erste, aber nicht die beste des Bandes.
In "der sandler" besucht der Erzähler die Mutter eines Jugendfreundes ("ich sagte, ich sei zufällig auf der Straße vorbeigefahren und wollte nachsehen, wie es ihr so gehe" – ein typischer Haslingerscher Erzählanlass). Er hilft der alten Frau beim Kirschenpflücken, und das Gespräch dreht sich unterdessen um ihr Lebensthema: den verlorenen Sohn, der mit fünfzehn ausriss und nie wiederkam. Als Matrose und Bäcker hat er sich durchgeschlagen, dann ist er im Wiener Obdachlosenmilieu gesehen worden. Die alte Frau erhofft sich von ihrem Gast nur eines: Neuigkeiten vom "Loisl". Und er kann es ihr nicht abschlagen, beginnt zu erfinden. Eine ergreifende Geschichte über eine zerstörte Familie, in der sich Haslingers Parlandoton bewährt.
"katzenmusik" ist eine Geschichte, in der der Erzähler nicht nur zuhört, sondern selbst etwas erlebt. Von Leipzig aus fährt er in die tiefste Ost-Provinz, um einen abgehalfterten Rockmusiker zu besuchen, für den er ein paar Liedtexte geschrieben hat. Da kommt er in merkwürdige, gastabweisende Gaststuben, wo ein Mann auf Durchreise nichts zu lachen hat. Schließlich steht er in der verwüsteten Wohnung des Musikers – und bekommt er es mit zwei Ortsansässigen zu tun, die sich als Wildwestmänner und Sheriffs aufspielen. Und es dem "Dealer" einmal zeigen wollen. Denn für einen solchen halten sie den Erzähler, der seine Anwesenheit in der chaotischen Wohnung nicht plausibel erklären kann. Sie schubsen ihn in ein Auto und fahren mit ihm zu einer menschenverlassenen Industrieruine ("auf der anderen Seite des Platzes lagen, wie ein haufen ausgetrockneter Insekten, die überreste von lastwagen und maschinen"), wo den Erzähler die Panik, ja die Todesangst packt. Eine beklemmende Geschichte mit "Ösi-Blick auf Ossi-Land". Der Realismus Haslingers kippt hier fast ins Surreale.
In der "die schlacht um wien" mischen sich auf phantasmagorische Weise die letzten Tage des Weltkriegs mit der Gegenwart. Erzählt wird von einem strammen Feldwebel, der zu einem Kameradschaftstreffen nach Wien reist und schwitzend durch die Innenstadt irrt. Er stolpert über eigene Erinnerungen und Ängste, die wie alptraumhafte Grotesken ausformuliert werden. Kurz vor der Kapitulation hat der Feldwebel mit einer Panzerfaust noch einen desertierenden Jungen erschossen. Diese Leiche mit dem ausgefransten Loch in der Brust kehrt wieder. Nebenbei berichtet der Erzähler, wie er während eines Gewitters seinen Balkon aufräumt – offenbar ein Parallelgeschehen der Schmutz- und Vergangenheitsbewältigung.
Seit seinem Bestseller "Opernball" (1995) gilt Josef Haslinger als der "amerikanischste" unter den deutschsprachigen Autoren, der in unkomplizierten Sätzen ohne verkrampften Kunstanspruch spannende Geschichten erzählt. Kaum zufällig beschließt den Band denn auch der Bericht einer Amerikareise. Als Erzählung überzeugt er nicht ganz; deshalb liegt dem Buch in der Erstauflage eine CD bei, mit der man sich das "reiseepos" in angemessener Form zu Gemüte führen kann: vom Autor gelesen, mit Posaunenjazz von Bertl Mütter und Werner Puntigam zugkräftig untermalt. Ein Erlebnis mit einem Budweiser Bier und einem Polizisten in der Wüste (zehn Seiten Text) trägt Haslinger sogar als Rap vor. Hörenswert.
Josef Haslinger: Zugvögel. Erzählungen.
S. Fischer,
205 S. u. 1 CD,
18,90 Euro.
Die jeweils etwa 30 Seiten langen Erzählungen kommen porentief authentisch daher, als wäre das Erfinden und das Konstruieren von Plots, wie Haslinger es doch selbst an der Schreibakademie zu Leipzig lehrt, nicht gängige literarische Praxis. Als ginge es in der Literatur vielmehr nach wie vor um Erfahrung, die von Mund zu Mund geht. Der Gestus der Erzählungen ist konventionell, ja behäbig: "franz lud mich auf einen selbst gebrannten obstler ein. Wir setzten uns und begannen von alten zeiten zu reden." Leben pur, wenn auch in konsequenter Kleinschreibung.
Die Geschichten sind ähnlich aufgebaut. Der Erzähler begegnet Bekannten von früher, wird von der Mutter ins Heimatdorf gerufen, weil es einen seit Jahrzehnten schwelenden Streit zu schlichten gilt, oder er sitzt vor einem Imbisswagen an der kroatischen Küste und hört beim Wein Erzählungen aus dem jugoslawischen Bürgerkrieg zu.
Die erste Geschichte ("ich hatte in frankfurt zu tun") schildert die Wiederbegegnung mit einem Jugendfreund. Inzwischen ist "der Biber" ziemlich auf den Hund gekommen – er ist ein Mann am Stock, nach einem Schlaganfall. Viele Reminiszenzen der siebziger Jahre finden in dieser Geschichte ihren Platz. Nichts Neues das alles. Die Geschichte wirkt sehr dahingeplaudert; es ist die erste, aber nicht die beste des Bandes.
In "der sandler" besucht der Erzähler die Mutter eines Jugendfreundes ("ich sagte, ich sei zufällig auf der Straße vorbeigefahren und wollte nachsehen, wie es ihr so gehe" – ein typischer Haslingerscher Erzählanlass). Er hilft der alten Frau beim Kirschenpflücken, und das Gespräch dreht sich unterdessen um ihr Lebensthema: den verlorenen Sohn, der mit fünfzehn ausriss und nie wiederkam. Als Matrose und Bäcker hat er sich durchgeschlagen, dann ist er im Wiener Obdachlosenmilieu gesehen worden. Die alte Frau erhofft sich von ihrem Gast nur eines: Neuigkeiten vom "Loisl". Und er kann es ihr nicht abschlagen, beginnt zu erfinden. Eine ergreifende Geschichte über eine zerstörte Familie, in der sich Haslingers Parlandoton bewährt.
"katzenmusik" ist eine Geschichte, in der der Erzähler nicht nur zuhört, sondern selbst etwas erlebt. Von Leipzig aus fährt er in die tiefste Ost-Provinz, um einen abgehalfterten Rockmusiker zu besuchen, für den er ein paar Liedtexte geschrieben hat. Da kommt er in merkwürdige, gastabweisende Gaststuben, wo ein Mann auf Durchreise nichts zu lachen hat. Schließlich steht er in der verwüsteten Wohnung des Musikers – und bekommt er es mit zwei Ortsansässigen zu tun, die sich als Wildwestmänner und Sheriffs aufspielen. Und es dem "Dealer" einmal zeigen wollen. Denn für einen solchen halten sie den Erzähler, der seine Anwesenheit in der chaotischen Wohnung nicht plausibel erklären kann. Sie schubsen ihn in ein Auto und fahren mit ihm zu einer menschenverlassenen Industrieruine ("auf der anderen Seite des Platzes lagen, wie ein haufen ausgetrockneter Insekten, die überreste von lastwagen und maschinen"), wo den Erzähler die Panik, ja die Todesangst packt. Eine beklemmende Geschichte mit "Ösi-Blick auf Ossi-Land". Der Realismus Haslingers kippt hier fast ins Surreale.
In der "die schlacht um wien" mischen sich auf phantasmagorische Weise die letzten Tage des Weltkriegs mit der Gegenwart. Erzählt wird von einem strammen Feldwebel, der zu einem Kameradschaftstreffen nach Wien reist und schwitzend durch die Innenstadt irrt. Er stolpert über eigene Erinnerungen und Ängste, die wie alptraumhafte Grotesken ausformuliert werden. Kurz vor der Kapitulation hat der Feldwebel mit einer Panzerfaust noch einen desertierenden Jungen erschossen. Diese Leiche mit dem ausgefransten Loch in der Brust kehrt wieder. Nebenbei berichtet der Erzähler, wie er während eines Gewitters seinen Balkon aufräumt – offenbar ein Parallelgeschehen der Schmutz- und Vergangenheitsbewältigung.
Seit seinem Bestseller "Opernball" (1995) gilt Josef Haslinger als der "amerikanischste" unter den deutschsprachigen Autoren, der in unkomplizierten Sätzen ohne verkrampften Kunstanspruch spannende Geschichten erzählt. Kaum zufällig beschließt den Band denn auch der Bericht einer Amerikareise. Als Erzählung überzeugt er nicht ganz; deshalb liegt dem Buch in der Erstauflage eine CD bei, mit der man sich das "reiseepos" in angemessener Form zu Gemüte führen kann: vom Autor gelesen, mit Posaunenjazz von Bertl Mütter und Werner Puntigam zugkräftig untermalt. Ein Erlebnis mit einem Budweiser Bier und einem Polizisten in der Wüste (zehn Seiten Text) trägt Haslinger sogar als Rap vor. Hörenswert.
Josef Haslinger: Zugvögel. Erzählungen.
S. Fischer,
205 S. u. 1 CD,
18,90 Euro.