Australische Insel Tasmanien

Der Geburtsort der Grünen

Die Wineglass-Bucht vom Berg Amos, Freycinet National Park, Tasmanien, Australien
Die Wineglass-Bucht im Freycinet National Park, Tasmanien, Australien © imago
Von Petra Aldenrath · 09.03.2015
Hätten Sie's gewusst? Die weltweit erste grüne Partei wurde auf einer australischen Insel gegründet. Die "Weltzeit" erinnert an die Anfänge der internationalen Umweltpolitik down under.
Eukalyptusbäume, Grassteppen, Berge und Regenwald. Menschenleere Sandstrände und Tiere, die woanders längst ausgestorben sind und Namen wie Wombat, Pademelon oder Beutelteufel tragen. Das alles hat Tasmanien, die größte Insel Australiens und das Bundesland, in dem die erste Grüne Partei der Welt gegründet wurde.
Das alles hat Tasmanien, die größte Insel Australiens und das Bundesland, in dem die erste grüne Partei der Welt gegründet wurde. Über die Hälfte Tasmaniens ist Naturschutzgebiet. In manche Gegenden hat noch nie ein Mensch seinen Fuß gesetzt, so undurchdringbar ist das Dickicht.
Samstagmorgen am Hafen in Hobart, der Hauptstadt der australischen Insel Tasmanien. Meerwasser schwappt gegen Boote, ein Reiher sonnt sich auf einem Felsen, Spaziergänger genießen die ersten Sonnenstrahlen. 210.000 Einwohner leben in Hobart. Nach Sydney ist es die älteste Stadt Australiens. Sie wurde 1806 als Strafkolonie gegründet. Noch heute zeugen prächtige viktorianische Villen von der Zeit der ersten europäischen Siedler. Genau wie die alten Speicherhäuser - direkt gegenüber vom Hafen.
Statt Schiffswaren aus aller Welt gibt es hier heute regionalen Käse, Gemüse, Oliven, Brot, frische Fische und lecker gerösteten Kaffee. Andy kauft hier gerne ein. Zusammen mit seiner Frau ist er vor zehn Jahren von Westaustralien nach Hobart gezogen. Sie hielten die Hitze auf dem Festland nicht mehr aus - über 40 Grad im Sommer und das wochenlang.
In Tasmanien schwanken die Temperaturen dagegen auch in der heißen Jahreszeit zwischen Dezember und März nur zwischen 23 und maximal 30 Grad. Der andere Umzugsgrund war Andys Leidenschaft für den Naturschutz. In Tasmanien wurde, so erklärt er, im Jahr 1972 immerhin die weltweit erste Grüne Partei gegründet:
"Tasmanien als Geburtsplatz der Grünen - das ist der Platz, wo ich sein wollte: im Herzen der grünen Politik und im Herzen der australischen Wildnis. Also bin ich hierhergezogen, ohne jemals zuvor in Tasmanien gewesen zu sein.
Als ich noch in Städten wie Melbourne, Sydney und Brisbane gelebt habe, waren Ausflüge in die Natur ein Tagesunternehmen. Aber hier kannst du innerhalb von Minuten einen einsamen Strand, einen urwüchsigen Wald oder einen wilden Fluss finden, und 15 Minuten später sitzt du wieder in Hobart am Wasser und trinkst ein Glas Wein."
Insel ist von mehreren Meeren umgeben
Tasmanien ist von mehreren Meeren umgeben: der Tasman-See im Osten, dem Indischen Ozean im Westen und die in den Pazifik mündende Bass Strait im Norden. Das australische Festland liegt auf der anderen Seite der Meeresstraße. Es ist die größte Insel Australiens - sie ist in etwa so groß wie Irland, allerdings leben hier nur 500.000 Menschen. Knapp die Hälfte der Insel steht unter Naturschutz. Wie der Styx-Wald. Andys Lieblingsort.
Von Hobart aus dauert es mit dem Auto 45 Minuten zum Styx. Es geht vorbei an Rapsfeldern, Viehweiden und Eukalyptuswäldern und dann eine kurvenreiche Strecke die Berge hinauf. Ein Schotterweg führt zum Styx.
Meterhohe Farne breiten ihre Fächer aus, Lianen hängen von den Ästen der Bäume herab. Es ist feucht. Viele der Baumstämme sind mit Moos bewachsen. Andy zeigt auf einen wahren Giganten:
"Er ist nicht nur der höchste Baum, sondern das höchste Ding Tasmaniens. Nichts überragt ihn. Eines der Hauptargumente der Umweltaktivisten für den Schutz der Gegend hier war, dass der höchste Hartholzbaum der Welt und die höchste blühende Pflanze direkt in diesem Wald wachsen."
Die höchsten Bäume? Wachsen die nicht in den USA, die Redwoods?
"Ja, die sind dicker im Stamm, aber es sind Weichholzbäume. Die hier sind die höchsten Hartholzbäume!"
86 Meter hoch ist der größte Baum und damit höher als das höchste Haus der Insel, das Casino in Hobart. Es misst gerade mal 72 Meter. Die Baumgiganten stehen unter Naturschutz. Vor Jahren sollten sie von einer Holzexportfirma gefällt werden.
Ein Proteststurm setzte ein. Petitionen wurden eingereicht, Demos organisiert, Blockaden errichtet. Heute berät Andy im Naturschutzbereich, damals arbeitete er als Pressesprecher bei den Grünen:
"Da bin ich ehemaligen Holzfällern begegnet, die nun Waldschützer sind. Sie hatten keine Probleme mit dem Holzfällen im alten Stil. Du suchst dir einen Baum aus, der dir gefällt, schlägst ihn und bekommst gutes Geld für das Holz.
Aber die Holzfäller von einst sind gegen den großflächigen Holzabschlag von heute. Da werden ganze Landschaften kahl gehauen, dann wird das wertvolle Holz verschifft, die abgeholzten Landschaften werden abgebrannt und mit Monokulturen bepflanzt."
Wenn es um den Schutz ihrer vielfältigen Natur geht, werden die sonst sehr entspannten Tasmanier leidenschaftlich. Kein Wunder, denn wo sonst gibt es noch so saubere Flüsse, dass man daraus trinken kann und unberührte Natur?
"Es existieren in Tasmanien Wälder, in die noch nie ein Mensch seinen Fuß gesetzt hat, vor allem im Westen und im Nordwesten. Dort gibt es keine Wege, keine von Menschenhand erschaffene Infrastruktur, es gibt auch keinen Müll, weil es so abgelegen ist."
An den Küsten im West- und Nordwesten der Insel ist die See oft so rau und wild, dass nur geübte Seemänner in den Hafen dort fahren können. Es regnet mehr als 200 Tage im Jahr. In der Gegend befindet sich die Tarkine-Region. Der größte erhaltene Regenwald der südlichen Hemisphäre.
Genau wie einst um den Styxx-Wald wird heute um die Tarkine Region gestritten - und zwar nicht nur wegen der wertvollen Hölzer, sondern wegen der Zinnvorkommen, die unter der Erde lagern, sagt Gerry McGushin. Er ist im Westen aufgewachsen, in Queenstown, einer Bergwerkstadt. Heute arbeitet er hier als Arzt. Als Student hat er in den Minen unter Tage gejobbt.
"Die Tarkine-Region erregt die Gemüter. Einige denken, wir sollten die Landschaft in Ruhe lassen. Andere - wie ich - finden, Bergbau sollte erlaubt sein, mit Einschränkungen allerdings. Australien hängt vom Bergbau ab. Wenn du eine Mine baust, musst du ja nicht gleich die Umwelt zerstören.
Es kostet zwar viel, es so zu machen, dass alles sauber bleibt, aber so müssen wir es hier in Tasmanien halt tun. Es macht für mich keinen Sinn, die Rohstoffe in der Erde zu lassen, nur weil wir Angst haben, die Umwelt zu zerstören."
Schwache wirtschaftliche Entwicklung
Rohstoffe bringen Geld. Wirtschaftlich hinkt Tasmanien der Entwicklung im restlichen Australien hinterher. Die Arbeitslosenquote liegt je nach Saison bei über acht Prozent. Noch ist die Bevölkerungsgruppe, die für den Schutz der Natur und einem Abbau der Rohstoffe nach teuren, aber schonenderen Umweltstandards plädiert, in der Mehrheit.
Aber ihnen steht eine wachsende Zahl gegenüber, die auf eine verstärkte Ausbeutung der gewinnbringenden Rohstoffe durch große Konzerne setzt und dafür bereit ist auch die Natur zu opfern – wie die Wälder der Tarkine, sagt Greg Irons, einer der bekanntesten Tierschützer der Insel.
"Zurzeit tobt ein ziemlicher Sturm. Es gibt sieben Minen, die nur auf den Startschuss warten. Das wird gerade vor Gericht überprüft. Es gibt ein paar Firmen, die für ein paar Jahre in der Region die Rohstoffe ausbeuten und dann wieder verschwinden wollen. Das ist ein kurzsichtiger Wirtschaftsplan. Ja. Es werden Arbeitsplätze geschaffen, aber nur für kurze Zeit. Und dann?"
In der Tarkine erstrecken sich über 1.800 Quadratkilometer Wälder, Steppen und Flüsse. Dort wachsen mehr als 200 verschiedene Eukalyptusbäume und über 90 Moos-Sorten. Es gibt keine Straßen, keine Orte - nur Natur:
"Die Tarkineregion ist wie ein Schnappschuss der Antarktis vor 65 Millionen Jahren. Die Fossilien, die du in der Arktis findest, findest du auch in der Tarkine."
In der Tarkine kreisen Adler am Himmel, mardergroße weiß-getüpfelte Quolls pirschen auf Nahrungssuche durch die Steppen, Schnabeltiere schwimmen in den Flüssen und der tasmanische Teufel streift hier durch die Wälder.
Auf dem australischen Festland sind die Tiere ausgestorben. Der einzige Ort, an dem sie noch in freier Wildbahn leben, ist Tasmanien. Aber die kleinen, schwarzen Raubbeutler mit ihren rot-leuchtenden Ohren sind nun auch hier vom Aussterben bedroht.
Ein ansteckender Gesichtskrebs hat ihre Population in nur zehn Jahren um mehr als 80 Prozent schrumpfen lassen. Wenn die Teufel nachts in den Wäldern schreien, kann einen das Blut in den Adern gefrieren – sie klingen aber gefährlicher als sie sind, sagt Greg:
"Ich weiß nicht, was du über die tasmanischen Teufel gehört hast: wilde, schmutzige, stinkende Killermaschinen? Sie werden völlig falsch verstanden. Sie sind Aasfresser. Sie glauben allerdings, sie wären gute Jäger. Aber ihr erstes Problem ist: Sie sind sehr langsam, gerade mal so schnell wie ein Huhn. Und sie sehen schlecht.
Sie können tagelang laufen und riechen ihre Nahrung aus großer Entfernung, ihr Gebiss ist kräftig. Sie essen alles: Knochen und Fell. Der Kiefer eines Tasmanischen Teufels ist stark. Ihre Beißkraft entspricht der von vier bis fünf amerikanischen Pitbulls, ist also sehr, sehr stark."
"Ich betrachte Tasmanien als Arche für Wildleben"
Diese Stärke nutzt ihnen wenig im Kampf gegen den Krebs. In nur noch ganz wenigen Gegenden Tasmaniens hat der Krebs die Tierpopulation noch nicht erreicht. Die Tarkineregion gehört dazu, hofft Greg Irons. Je mehr Bergbaukonzerne und Holzexporteure im großen Stil agieren, desto gefährdeter sei Tierwelt, sagt er.
"Ich betrachte Tasmanien wirklich als Arche für Wildleben. Der tasmanische Teufel, die tasmanische Fledermaus, der tasmanische Quoll. Das sind einzigartige Spezien. Sie leben nur hier und damit sind wir auch so was wie ein Flüchtlingscamp für diese Tierarten."
Um die einzigartige Tierwelt Tasmaniens zu schützen, forscht Greg nicht nur in der Tarkine, sondern hat den ersten und einzigen 24-Stunden-Tier-Rettungsnotdienst der Insel gegründet. Außerdem leitet er ein Waisentier-Freigehege. Es liegt 40 Minuten landeinwärts von Hobart entfernt.
Auf dem Weg warnen Schilder von Einbruch der Dämmerung bis zum Morgengrauen, nicht schneller als 80 Stundenkilometer zu fahren. Pro Jahr werden in Tasmanien mehr als eine halbe Million Tiere überfahren. Vögel und Reptilien sind bei dieser Zählung noch nicht mal dabei.
Regenwald auf Tasmanien
Regenwald auf Tasmanien© dpa / picture alliance / Chad Ehlers
An manchen Straßen sieht es aus wie auf einem Friedhof. Alle paar Meter liegen ein totes Opposum, ein Wombat oder ein Wallaby. Greg hält an, wenn das Tier erst vor kurzem überfahren wurde und schaut, ob im Beutel ein Junges überlebt hat.
"Das ist Lucy. Hallo Lus. Schätzchen, du bist ein bisschen nass. Stimmt´s? Lucy ist ein typisches Waisentier. Wir haben sie gefunden, nachdem ihre Mutter von einem Auto angefahren worden war - im Beutel der Mutter. Sie hatte die Größe einer Orange.
Wenn du weißt, dass sie 40 Kilogramm schwer werden und ein Meter lang, ist das nicht groß. Sie wiegt jetzt zwischen elf und zwölf Kilogramm. Sobald sie 18 Kilogramm wiegt, lassen wir sie frei."
Zärtlich streicht Greg Lucy, dem Wombat, über den Kopf. So wie die Kängurus sind auch die Wombat Beuteltiere. Die scheuen, grau-braunen Tiere sehen niedlich aus mit ihren kugelrundem Bauch, den runden Ohren, der dicken Nase und ihren hasenähnlichen Zähnen. In Gregs Gehegen werden die verwaisten Tiere so lange aufgepäppelt, bis sie in die Freiheit entlassen werden können.
Greg schnappt sich einen Besen und schabt die Abfälle zusammen. Ein Wallaby, eine Art Minikänguru, hüpft vorbei. Greg lacht und kramt in seinen ausgebeulten Hosentaschen. Er hat stets etwas zum Knabbern dabei:
Als er drei Jahre alt war, zogen Gregs Eltern aus beruflichen Gründen vom südafrikanischen Johannesburg nach Tasmanien. Für ihn das reinste Glück:
"Tasmanien ist so schön! Für mich der ideale Ort. Die werden mich hier nicht mehr los. Ich liebe Tasmanien. Das ist der beste Platz der Welt."
Der beste Platz der Welt – das hört man immer wieder. Im Westen die unberührte Wildnis, in der Inselmitte hohe Berge und klare Seen, im Norden liebliche Täler und an den Küsten: kilometerlange Sandstrände - auch Robert Pennicott kann sich keinen besseren Ort vorstellen.
Wenn man Robert sucht, gibt es drei Orte, wo man ihn findet: entweder im Hafen bei seinen Booten, auf dem Meer oder im Wasser.
"Ich habe Wasser in meinen Adern. Ehrlich! Mein ganzes Leben war ich im oder auf dem Wasser. Entweder habe ich geschnorchelt, getaucht oder war fischen. Und später habe ich dann meinen Kindern beigebracht, was ich weiß."
Robert startet den Motor seines Bootes. Er streift sich einen dicken Pulli über. Auf dem Meer ist es kalt. Nach seinem Job als Fischer hat er in einer Bank gearbeitet. Das war nicht so sein Ding. Dann fuhr er mit seiner kleinen Jolle los, umrundete Australien und sammelte Spenden. Mittlerweile hat er eine eigene Stiftung.
Ihm liegt der Schutz der Meere besonders am Herzen. Wasser ist eben sein Element. Es macht ihn wütend, dass die Meere verdrecken und immer mehr Tiere deswegen verenden. Heute steuert Robert sein Boot weit hinaus – dorthin, wo die Tasmanische See auf den Ozean trifft:
"Wir werden sicher Delfine sehen und an die 1.000 australische Seelöwen. Jeden Tag ist ein ganzer Vogel-Schwarm da draußen. Auch Albatrosse. Pinguine schwimmen herum. Die Landschaft ist atemberaubend - und sie rennt nicht weg."
Über 40 Prozent der Insel sind Naturschutzreservate
Nach etwa 20 Minuten Fahrt tauchen die ersten Delfine auf. Ein Albatros breitet seine Schwingen aus und lässt sich treiben. Auf einem Felsvorsprung entdeckt Robert einen Adler. Majestätisch blickt der große Vogel über das Meer. Der Felsen der Seelöwen ist draußen auf dem offenen Meer. Hunderte Seelöwen sitzen auf Steinen oder tummeln sich im Wasser. Es stinkt. Das seien alles Männchen, erklärt Steuermann Guy:
"Sie leben getrennt. Wenn die Weibchen da sind, kämpfen die Männchen viel. Das ist fatal. Ohne die Weibchen leben sie aber gut zusammen. Einmal im Jahr schwimmen sie 400 Kilometer weit nach Norden, um sich zu paaren."
Das Boot schlägt hart auf die rauen Wellen. Die nächste Landmasse ist - abgesehen von Tasmanien - die Antarktis. Robert und Guy steuern zurück zur Insel vorbei an der Ruine von Port Arthur. Früher war hier eines der größten Strafgefangenenlager der Briten. Sie brachten seit Ende des 18. Jahrhunderts an die 75.000 Häftlinge von England aus hierher.
Europäische Geschäftsleute, Farmer und Händler folgten. Die Besiedlung Tasmaniens durch die Europäer begann und damit nicht nur die Ausrottung der Ureinwohner Tasmaniens, sondern auch die Eroberung der Natur.
"Über 40 Prozent Tasmaniens sind heute Naturschutzreservate und ich glaube nicht, dass es viele andere Orte auf der Welt gibt, an denen die Natur so geschützt wird. Wir müssen weiter mit Einfluss nehmen und versuchen die Welt zu einem besseren Ort zu machen."
Robert Pennicott lenkt sein Boot zurück in den Hafen von Hobart. Sein Blick schweift zum Mount Wellington, dem Hausberg der Stadt. Direkt dahinter beginnt die tasmanische Wildnis, einzigartig und nirgendwo sonst zu finden.