Austern im Schnee
Der Arlberg liegt zwischen den österreichischen Bundesländern Vorarlberg und Tirol und ist die Wiege des alpinen Skilaufs, hier nahm alles seinen Anfang. 1793 Meter hoch, 280 Kilometer präparierte Pisten, 170 Kilometer Tiefschneeabfahrten, 83 Bergbahnen und Lifte - Zahlen, bei denen Wintersportler weltweit ins Schwärmen geraten. Dazu kommen 38 Kilometer Wanderwege durch die schneeverpackte Natur, Langlauf-Loipen, Rodeltouren von urig-gemütlichen Hütten, Eisstock-Partien in glasklarer Bergluft. Und als Krönung der Romantik: die Kutschfahrt.
Dieser Berg also ruft noch mehr als alle anderen. Und die Promiquote ist zwar nicht so hoch wie in Kitzbühl, dafür aber die Dichte an Feinschmeckerrestaurants und Spitzenköchen. Selbst auf der Piste sind Skifahren und Schlemmen kein Widerspruch, wie unsere Korrespondentin Andrea Mühlberger erfahren durfte, die sich in den Arlberger Skizirkus gestürzt hat.
Skishow St. Anton: "Am Beginn des 20. Jahrhundert war St. Anton am Arlberg ein kleines Bauerndorf. Es gab keine Hektik, vielmehr stand die Gemeinschaft und die Gemütlichkeit im Vordergrund. Die Winter waren hart, aber sie boten etwas ganz Besonderes: den Skisport. Hannes Schneider gründete hier 1921 die erste Skischule der Welt. Tauchen Sie mit uns ein in die entschleunigte Welt des Hannes Schneider ..."
Gäste Balmalpe: "Ich bin ja erst das zweite Mal da, aber es ist prachtvoll ... Es ist wirklich sehr fein, weil alle so gut drauf sind und so schmuuusig ... und man muss sich nur lieben!"
"Es ist super hier, grade heute, den ganzen Tag in der Sonne sitzen …"
Hüttenwirt: "Wir verkaufen sehr viele Großflaschen immer noch an Champagner ... Auch der Chef tanzt manchmal nackt auf der Bar. Das ist das Schöne. Wenn wir nackt sind, sind wir alle gleich!"
Sonst gibt es im Skigarten Eden große Unterschiede. Nach rund hundert Wintern Tourismus hat der Arlberg seine Unschuld verloren. Skilehrer ist nicht gleich Skilehrer. Hütte nicht gleich Hütte ...
Verwallstube:
Wirt: "Jetzt haben wir Trüffel im Schnee, jawoll, genau. Und das ist bei uns ein echter Renner am Berg."
Gast: "Mei, was werd ich jetzt essen? Susi, mach du das, kimm her da, bitte!"
Kellnerin: "Bandnudeln mit schwarzem Trüffel gibt's. Sashimi - als Vor- oder Hauptspeise. Thunfischtartar. Und dann gibt's ein Rinderfilet, mit Gänseleber ..."
Gast: "Das haben wir gestern schon gehabt. Also werden wir heute das Sashimi nehmen."
Gast: "Ich esse einen Spargel und ein Kalbskotelette, ganz bescheiden. Da sind die Gourmetskilehrer schon besser, die brauchen Shasimi ..."
Aber bitte mit Ski-Stäbchen! Bei Fisch und Wein, vor weiß glasiertem Alpen-Panorama, lässt Skilehrer Michel sein anstrengendes Programm ausklingen: vier Stunden Privatkurs am Vormittag. Danach ein leichter Lunch im Zwei-Hauben-Restaurant. Das war's. Skilehrer in St. Anton müsste man sein! Doch nicht jeder hat das Zeug zum Gourmet-Skiguide:
Skilehrer Michel: "Ich mein, das ist ganz einfach zum Sagen: Jeder Topf findet seinen Deckel. Und dann hat man halt mal das Glück oder das Vergnügen, da essen gehen zu dürfen. Aber der Nachteil ist: Wir müssen immer zur Hausmauer schauen, und die Gäste dürfen das Panorama und die Sonne genießen. Also, es ist nicht alles so rosig!"
Zumindest ist es deutlich abwechslungsreicher als früher: Linsensuppe mit Würstel. Spaghetti Bolognese. Germknödel aus der Tiefkühltruhe. Statt dieses Einheitsbreis im Selbstbedienungsrestaurant zelebrieren immer mehr Skihütten das kulinarische Erlebnis am Berg - wie Gourmetwirt Manfred Fahrner. In seinem Seilbahnrestaurant am Galzig, 2000 Meter über dem Meeresspiegel, gibt es die höchst gelegenen Gipfelgenüsse weltweit:
Wirt Verwallstube: "Da haben wir vor einigen Jahren angefangen, ein großes Fischbuffet zu machen. Mit Steinbutt, mit Loup de Mer, mit Hummer, mit Jakobsmuscheln, mit Austern verschiedener Sorten. Und das wird sehr gut angenommen von den Gästen. Mir haben ja Skifahrer da, wir sind ja im Gebirge. Darum ist es auch was Besonderes, mit Skischuhen oder mit Skigewand schön zu Essen und ein schönes Flascherl Wein zu trinken. Das lieben die Leute. Sport, Skifahren, Kulinarium. Das gehört einfach alles zusammen."
Austern im Schnee. Am Arlberg sind Skifahren und Schlemmen schon lange kein Widerspruch mehr – Skigenuss UND Gaumenkitzel. Dabei hat alles recht bescheiden angefangen ...
Filmausschnitt "Weißer Rausch":
"Kommen Sie einmal her Fräulein, können Sie schon wenden mit den Dingern da?"
"Jaja ..."
"Zeigen Sie es einmal ..."
"So ... ahhhh. Au wei au wei ... die dummen Bretter sind immer viel zu lang, die bring ich immer durcheinander ..."
"Erst die Ski quer zum Hang ..."
"Warten Sie nur, Aufstehen, das hab ich schon gelernt ..."
Der Arlberg als Wiege des Skisports. Schon vor über hundert Jahren fanden die ersten Skikurse statt. Hoteliers mit Weitblick bezahlten schneidige Einheimische: Sie sollten abenteuerlustigen Flachländern beibringen, wie sie auf extrem langen Holzlatten den Hang runterkommen. Eine Riesengaudi, die sich schnell herumsprach. Bei den Ureinwohnern stachelte sie auch den Ehrgeiz an ...
Der Arlberg hat weltweit die meisten alpinen Olympiasieger und Skiweltmeister hervorgebracht. Stars wie Othmar Schneider, Egon Zimmermann, Trude Jochum-Beiser, Gertrud Gabl, Karl Schranz, Mario Matt oder Patrick Ortlieb:
Patrick Ortlieb: "Du wirst einmal Olympiasieger, das hab ich mir als kleiner Bub schon gesagt. Und okay - das hab ich mir einfach zum Ziel gemacht und hab's vielleicht mit Glück auch geschafft ..."
Othmar Schneider: "Unser Schullehrer hat dann immer gefragt: Was wollt ihr werden? Und ich bin dann aufgestanden und hab gesagt: Skiweltmeister! Also da bekam ich den Nachnamen: Othmar der Weltmeister. Dann ist es tatsächlich passiert und da kamen meine alten Schulkollegen: Also wir können uns noch gut erinnern, als du Skiweltmeister werden wolltest ..."
1952 holte der Wedelkönig Othmar Schneider aus Lech sogar den Olympiatitel. Wer im Skigebiet aufwächst, lernt gehen, um den Hang hinaufzulaufen, den er gerade mit Skiern hinuntergerauscht ist – immer wieder. Nicht anders war es bei Skilegende Karl Schranz:
"Mit zweieinhalb Jahren hat mich meine Mutter dort hinaufgebracht, auf den ersten flachen Hang. Und da hat der Skilehrer gesagt: Komm, ich fahr' einmal mit ihm. Und dann hat er gesagt, dem braucht man nicht mehr helfen, den kann man gleich fahren lassen. Und dann bin ich gefahren, mit zweieinhalb Jahren. Was gibt's im Winter? In St. Anton gibt's nichts anderes: Aus der Schule zurück, Schultasche in die Ecke – und dann Ski fahren ..."
Auch die Arlberger Jugend von heute träumt vor allem von Medaillen und Pokalen. Aber auch ein Stockerlplatz beim Lecher Dorfrennen wäre nicht schlecht:
Ski-Nachwuchs: "Ja, ich will Weltcupfahrer werden."
"Skispringer!"
"Schaffst ja nie!"
"Ich werd doch Mafia-Boss."
"Ich weiß es noch nicht."
"Ich probier' jetzt, dass ich in den Weltcup komme ..."
Bei wem es auf der Piste nicht so läuft, der wird eben Wirt. Und kämpft beim Schaukochen um Hauben und Sterne. In keinem anderen Skigebiet gibt es eine solche Dichte an Spitzenköchen und Luxushotels wie am Arlberg. Hoch die Rotweingläser!, heißt es bei einer Verkostung edler Bordeauxweine im Gourmetdorf Lech. Ein Event, das sich keiner entgehen lässt, der in der Arlberger Gastronomie Rang und Namen hat:
Wirt J. Pfefferkorn: "Wir haben das Thema Figeac gewählt. Menü et Degustation. Wir haben ein altes Menü gewählt, das schon einmal zu einer Figeac-Probe gekocht wurde, und haben ein bisschen neuen Schwung hineingebracht und es leichter zubereitet, als die alte französische Küche ist. Und ich glaube schon, dass ein Acht-Gang-Menü, speziell auf einen Wein abgestimmt, eine Herausforderung für jede Küche darstellt ..."
Bordeaux-Fan Johannes Pfefferkorn hat das kulinarische Schaulaufen vor seinen anspruchsvollen Kollegen bestanden. Mit Ende zwanzig spielt der Hotelier in der Oberliga, kann aber auf lange Erfahrung bauen:
"In Lech gab es zwei Gasthäuser, eines hat mein Ururur-Großvater besessen. Der war der bessere Geschäftsmann, konnte das Zweite kaufen, ja als Herberge damals schon mit Betten, ein zweiter Weg neben der Landwirtschaft, Geld zu verdienen. Es war damals noch nicht für Skitouristen. Der Arlberg – Arlberg-Pass eigentlich – war eine Reiseroute durch Europa, um weiter zu kommen, Richtung Italien, Richtung Wien und natürlich auch Richtung Osteuropa ..."
Das Gastgewerbe hat in den Arlberg-Dörfern St. Jakob, Lech, Zug, Zürs und St. Christoph eine viel längere Tradition als das Skilaufen. Im ausklingenden Mittelalter errichtete der Schweinehirt Heinrich Findelkind in St. Christoph die erste Herberge. Zuvor musste er jedes Jahr, nach der Schneeschmelze, die Gebeine der Toten einsammeln und beerdigen, die bei der Überquerung des Passes durch Tirol und Vorarlberg ums Leben gekommen waren. Aus Erschöpfung, erfroren oder von einer Lawine erfasst.
Von seinem Hirtenlohn und Spenden baute Heinrich Findelkind ein Schutzhaus, gründete eine Bruderschaft und rettete vielen Bauern, Wanderern und Pilgern das Leben. Die Tradition, in Not geratenen Menschen zu helfen, hat sich im Nobel-Skinest St. Christoph bis heute gehalten ...
Jede Woche lassen sich Menschen aus aller Welt in der Kapelle des Hospizhotels mit einem schweren Bihänder zum Bruderschafts-Mitglied schlagen:
"Wir rufen die Novizin Stefanie Magister Mitterlehner aus Innsbruck und wir bitten dich, rauszukommen. Nach alter Brudersitte gehörst auch du mit diesem Schlag dazu ..."
Rund 18.000 Schwestern und Brüder unterstützen heute die Bruderschaft St. Christoph. Die Idee, vor allem Waisenkindern zu helfen, entstand in den 70er-Jahren, nach einer Katastrophe beim Bau des Arlberger Straßentunnels - erzählt der langjährige Hospizwirt Adi Werner:
"Während des Baus sind 18 Bergleute tödlich verunglückt. Und die haben 64 Kinder zurückgelassen als Halbwaisen. Und das war dann die Idee, dass wir gesagt haben, wir werden diese Kinder so lange unterstützen, bis sie entweder einen fertigen Beruf haben oder ein abgeschlossenes Studium. Das hat die Leute hier in der Region sehr berührt, dass sie scharenweise eingetreten sind. Und durch den großen Zuwachs ist auf einmal Geld da gewesen."
Zur Jahreswende 1901 ereignete sich in St. Christoph schier Unerhörtes: Die damaligen Honoratioren aus St. Anton saßen in Champagnerlaune zusammen und hoben die älteste alpine Talentschmiede aus der Taufe: – den Skiclub Arlberg.
Adi Werner: "Bei vorgeschrittener Stunde ist der damalige Gemeindearzt, der Doktor Adolf Ribitzka, auf die Idee gekommen und hat da in das Gästebuch hineingeschrieben: Durch die Natur entzückt, durch den Sport begeistert, durchdrungen von der Notwendigkeit, am Arlberg einen bescheidenen Sammelpunkt dieses edlen Vergnügens zu schaffen, fühlen die am ex tempore beteiligten Ausflügler sich bewogen, den Skiclub Arlberg zu gründen."
Der Aufstieg des Arlbergs zum Mythos ist eng mit dem Skiclub verbunden. Seine schneidigen Mitglieder waren fantastische Werbeträger. Aber auch die geduldigen Ski-Instrukteure hatten einen guten Ruf:
Filmausschnitt "Weißer Rausch":
"Na hat es Ihnen denn gefallen im Privatkurs?"
"Oh ja! Beim Hannes kann man ganz gut Stemm-Kristiania lernen!"
Der Bergfex Hannes Schneider war in den Pionierjahren des Skisports der große Zampano auf den Arlberghängen. Präparierte Pisten gab es damals noch nicht. Der Tempofanatiker tunte den behäbigen, nordischen Telemark-Stil auf seine dynamische Arlbergtechnik: den Stemm-Kristiania, ein Vorläufer des Parallelschwungs. Schneiders Lehrbücher und Skifilme über "Die weiße Kunst" und "Das Wunder des Schneeschuhs" machten den Arlberg auf der ganzen Welt bekannt. Sogar aus Hollywood kamen Regisseure, um mit dem Freerider halsbrecherische Szenen in nahezu unberührter Natur zu drehen. Die Extremfahrer auf ihren tollkühnen Brettern zogen in den 20er und 30er-Jahren auch Prominenz an:
Filmausschnitt "Der Weiße Rausch":
"Hab ich jetzt Hunger!"
"Na also. Und morgen Stemm-Kristiania!"
"Stemm-Kristiania!"
An der Seite der Ästhetin und Hitler-Bekannten Leni Riefenstahl agierte Hannes Schneider im weltberühmten Skifilm "Der Weiße Rausch". Die Handlung dünn, die Skiszenen atemberaubend.
Auch Schneiders Sohn Herbert hatte - als einheimischer Bub und Naturtalent - eine Statistenrolle auf Skiern.
"Leni Riefenstahl - 1930, wo sie den Film 'Der Weiße Rausch' gedreht hat, war sie auch der Star mit meinem Vater, obwohl sie zur Zeit gar nicht Skifahren konnte. Da hat man immer ein Doppel genommen. Und dann hat sie Skifahren gelernt. Aber irgendwie hat es da was geben ... ist keine große Freundschaft gewesen ..."
Herbert Schneider sitzt mit Neunzig in seinem Haus in St. Anton. Wehmütig schaut er aus dem Panoramafenster auf die verschneiten, wilden Hänge, die er in jungen Jahren hinuntersauste. Die Sache mit seinem Vater endete damals unwürdig – obwohl er für die Entwicklung des Skisports am Arlberg so viel geleistet hatte:
"Mein Vater war von Anfang an ein Anti-Nazi. Er hat sich nie um die Partei gekümmert, obwohl große Anstrengungen gemacht wurden, dass er beitritt. Aber nur die Taugenichtse waren in der Partei. Da hat mein Vater nicht mitgemacht."
Hannes Schneider wollte vor allem keine Nazipropaganda in seiner Skischule, die er 1921 gegründet hatte. Im März 1938, gleich nach dem sogenannten "Anschluss" Österreichs an Hitler-Deutschland, wurde er verhaftet. 1939 konnte sich die Familie in die USA retten. In Cranmore lehrte der berühmte Skilehrer vom Arlberg wohlhabende Amerikaner das Fahren auf zwei Brettern.
Herbert Schneider: "Für mich persönlich war es ein Vorteil. Ich habe dort angefangen, Skiunterricht zu geben. Wie mein Vater gestorben ist, hab ich die Skischule übernommen. Und ich hab gesehen, wie der amerikanische Skisport wächst. Wo wir hinübergekommen sind, waren dort vielleicht zehn Skiplätze in ganz Amerika. Heute ist es fast eine der beliebtesten Sportarten."
Herbert Schneider hat für sich einen Schlussstrich gezogen. Seit den fünfziger Jahren kam er immer wieder nach St. Anton, wo sein Vater heute als Pionier des Skisports verehrt wird. Nicht nur von der grauen Skiclub-Eminenz oder Heimatpflegern ...
"Wenn man sich denkt, wie der Hannes Schneider früher Ski gefahren ist, der ist ähnlich gefahren wie wir, oft ist er Schuss gefahren, oft ist er über Felsen gesprungen ... Die Jungs da früher waren eigentlich die ersten Freerider. Dann sind die Wedler gekommen, die wollten alles sauber machen und Zopferl fahren. Jetzt geht es wieder zurück zu den Wurzeln. Jetzt gibt es die breiten Ski. Jetzt geht man eigentlich wieder so Ski fahren, wie es uns der Hannes Schneider vorgemacht hat ... Nur dass wir mit dem Material viel mehr machen können. Wir können höher springen, schneller fahren, extremere Linien fahren ..."
Stefan Häusl sucht beim Skifahren den absoluten Kitzel – und findet ihn abseits der Piste:
"Was man da sieht ist der Albona-Kopf und auf den Berg hab ich seit fünf Jahren draufgeschaut. Das ist eine Linie, die plant man dann und will sie fahren, wenn die Verhältnisse perfekt sind. Da muss halt dann alles zusammenpassen, das Wetter, die Schneeverhältnisse. Und dann kann man so ein Projekt realisieren."
Was daraus wurde, ist auf einem Poster zu sehen: Ein Fotograf hat in einzelnen Sequenzen festgehalten, wie Stefan Häusl sich vom Albona-Kopf einen zerklüfteten Steilhang hinabstürzt. Fünf Jahre Arbeit – in 40 Sekunden ist die halsbrecherische Fahrt vorbei.
"Am Anfang haben immer alle geglaubt, wir haben einen kompletten Vogel. Mittlerweile ist es ein Sport geworden ..."
Es geht darum, eine Linie möglichst spektakulär ins Tal zu fahren. Und wie bei jeder Sportart muss trainiert werden – erklärt der Weltmeister in der Freeride-Disziplin "Big Mountain":
"St. Anton ist von den Pisten her sehr, sehr interessant, aber auch vom Off-Pisten-Bereich. Und von daher ist es ideal für mich, hier zu leben. Ich vergleiche es immer mit einem Surfer, der nach Hawai zieht. So bin ich ein Skifahrer, der nach St. Anton zieht ..."
Aber auch ins Gourmetdorf Lech kommen 90 Prozent der Gäste nicht zum Schlemmen und Ausruhen, sondern immer noch und vor allem zum Skifahren.
Für Schneesicherheit, auch in wärmeren Wintern und für beheizte Sessellifte, wenn es richtig kalt ist, ist Michel Manhart zuständig. Der Ingenieur aus Lech weiß alles über Skilifte und Schneekanonen. Schließlich hat er selbst einige erfunden. Bei Damenrennen sorgt Herr Holle aus Lech für bretterharte Pisten, für Skigäste zaubert er weichen Pulverschnee.
Manhart: "Und alles aus derselben Schneekanone. Mann muss nur damit umgehen können. Wir haben eine ausgefuchste Beschneiungsmannschaft, einen sehr guten Schneichef. Aber ich hab die Technik natürlich immer noch im Kopf. Wenn es dann heißt, jetzt kommt die Konkurrenz wieder etwas näher, dann mach ich mit unseren Kanonen wieder einen Entwicklungsschub – und dann blas ich sie wieder alle weg ..."
600.000 Kubikmeter Schnee, eine Lkw-Reihe von Lech bis Wien, pustet der Ort jeden Skiwinter aus den Kanonen. Kunstschnee für rund 4,2 Mio Euro. Auf Umweltschützer, die ihn wegen der Schneekanonen nerven, reagiert der Ingenieur fast allergisch:
Manhart: "Was sind denn das für Stoffe? Da wird immer behauptet, es gäbe irgendwelche Stoffe in diesem Schnee, sein tut es ordinäres Wasser, Bachwasser in unserem Fall. Dasselbe, das wir zum Blumengießen verwenden. Aber es wird unentwegt behauptet, dass man da Chemie hineintät in das Wasser ..."
Die Erhaltung der Natur und Landschaft ist bei dem ganzen Skizirkus eine echte Herausforderung. Auf ihre Bauern können die Arlberger bei der Pflege der Wiesen und Weiden bald nicht mehr bauen.
Emil Strolz aus St. Jakob hat in seinem Stall noch einige Milchkühe, Rinder und Kälber stehen. Die Milch verkauft er an Hoteliers, größtenteils an Molkereien. Eine Existenz allein auf der Basis von Landwirtschaft sei fast nicht möglich – meint Bauer Strolz:
"Ich könnt schon leben davon, wenn ich auf alles andere verzichte. Aber wir brauchen einen Nebenjob. Und das lässt sich sehr gut ergänzen mit Skilehrer, nur der Skilehrer ist auch nicht so lukrativ, wie man glaubt. Du musst ja die Gäste anschließend noch betreuen, gehst mit ihnen Essen, sechs Stunden musst du mindestens rechnen."
Ob einer seiner beiden Söhne den Hof weiterführt, ist unsicher. Wenn keiner will, wird ein weiterer Familienbetrieb schließen. Viele sind es nicht mehr. Die Bauern werden dem Ort fehlen.
"Wenn die ganze Landschaft im Sommer braun ist, muss halt irgendjemand das mähen, mähen lassen. Das ist wahrscheinlich auf lange Sicht nicht finanzierbar. Und da nächste ist ja: Die Tiere müssen das fressen, sonst musst du es ja teuer entsorgen. Und da müsste man schon ein bisschen vorbeugend wirken, die jungen Leute, die das weiter machen wollen, unterstützen. Und nicht einfach sagen: Die Bauern, die brauchen wir zwar, aber was sie produzieren, ist nichts wert."
Trotzdem ist der Arlberg eines der wenigen Skigebiete in den Alpen, in dem das traditionelle Dorfleben noch weitgehend intakt ist – mit Blaskapellen, Feuerwehr und natürlich Skiclubs. Auch die alte Siedlungsstruktur wurde bewahrt. Das Bild des Arlbergs prägen keine in die Bergwelt ausgesetzten Plattenbauten oder anonyme Hotelkomplexe. Noch immer überwiegt der traditionelle Baustil mit alten Bauernhäusern und urigen Hütten. Allerdings wurden viele Betriebe in den 70er und 80er-Jahren modernisiert und mit folkloristischen Versatzstücken erweitert.
Skishow St. Anton: "Am Beginn des 20. Jahrhundert war St. Anton am Arlberg ein kleines Bauerndorf. Es gab keine Hektik, vielmehr stand die Gemeinschaft und die Gemütlichkeit im Vordergrund. Die Winter waren hart, aber sie boten etwas ganz Besonderes: den Skisport. Hannes Schneider gründete hier 1921 die erste Skischule der Welt. Tauchen Sie mit uns ein in die entschleunigte Welt des Hannes Schneider ..."
Gäste Balmalpe: "Ich bin ja erst das zweite Mal da, aber es ist prachtvoll ... Es ist wirklich sehr fein, weil alle so gut drauf sind und so schmuuusig ... und man muss sich nur lieben!"
"Es ist super hier, grade heute, den ganzen Tag in der Sonne sitzen …"
Hüttenwirt: "Wir verkaufen sehr viele Großflaschen immer noch an Champagner ... Auch der Chef tanzt manchmal nackt auf der Bar. Das ist das Schöne. Wenn wir nackt sind, sind wir alle gleich!"
Sonst gibt es im Skigarten Eden große Unterschiede. Nach rund hundert Wintern Tourismus hat der Arlberg seine Unschuld verloren. Skilehrer ist nicht gleich Skilehrer. Hütte nicht gleich Hütte ...
Verwallstube:
Wirt: "Jetzt haben wir Trüffel im Schnee, jawoll, genau. Und das ist bei uns ein echter Renner am Berg."
Gast: "Mei, was werd ich jetzt essen? Susi, mach du das, kimm her da, bitte!"
Kellnerin: "Bandnudeln mit schwarzem Trüffel gibt's. Sashimi - als Vor- oder Hauptspeise. Thunfischtartar. Und dann gibt's ein Rinderfilet, mit Gänseleber ..."
Gast: "Das haben wir gestern schon gehabt. Also werden wir heute das Sashimi nehmen."
Gast: "Ich esse einen Spargel und ein Kalbskotelette, ganz bescheiden. Da sind die Gourmetskilehrer schon besser, die brauchen Shasimi ..."
Aber bitte mit Ski-Stäbchen! Bei Fisch und Wein, vor weiß glasiertem Alpen-Panorama, lässt Skilehrer Michel sein anstrengendes Programm ausklingen: vier Stunden Privatkurs am Vormittag. Danach ein leichter Lunch im Zwei-Hauben-Restaurant. Das war's. Skilehrer in St. Anton müsste man sein! Doch nicht jeder hat das Zeug zum Gourmet-Skiguide:
Skilehrer Michel: "Ich mein, das ist ganz einfach zum Sagen: Jeder Topf findet seinen Deckel. Und dann hat man halt mal das Glück oder das Vergnügen, da essen gehen zu dürfen. Aber der Nachteil ist: Wir müssen immer zur Hausmauer schauen, und die Gäste dürfen das Panorama und die Sonne genießen. Also, es ist nicht alles so rosig!"
Zumindest ist es deutlich abwechslungsreicher als früher: Linsensuppe mit Würstel. Spaghetti Bolognese. Germknödel aus der Tiefkühltruhe. Statt dieses Einheitsbreis im Selbstbedienungsrestaurant zelebrieren immer mehr Skihütten das kulinarische Erlebnis am Berg - wie Gourmetwirt Manfred Fahrner. In seinem Seilbahnrestaurant am Galzig, 2000 Meter über dem Meeresspiegel, gibt es die höchst gelegenen Gipfelgenüsse weltweit:
Wirt Verwallstube: "Da haben wir vor einigen Jahren angefangen, ein großes Fischbuffet zu machen. Mit Steinbutt, mit Loup de Mer, mit Hummer, mit Jakobsmuscheln, mit Austern verschiedener Sorten. Und das wird sehr gut angenommen von den Gästen. Mir haben ja Skifahrer da, wir sind ja im Gebirge. Darum ist es auch was Besonderes, mit Skischuhen oder mit Skigewand schön zu Essen und ein schönes Flascherl Wein zu trinken. Das lieben die Leute. Sport, Skifahren, Kulinarium. Das gehört einfach alles zusammen."
Austern im Schnee. Am Arlberg sind Skifahren und Schlemmen schon lange kein Widerspruch mehr – Skigenuss UND Gaumenkitzel. Dabei hat alles recht bescheiden angefangen ...
Filmausschnitt "Weißer Rausch":
"Kommen Sie einmal her Fräulein, können Sie schon wenden mit den Dingern da?"
"Jaja ..."
"Zeigen Sie es einmal ..."
"So ... ahhhh. Au wei au wei ... die dummen Bretter sind immer viel zu lang, die bring ich immer durcheinander ..."
"Erst die Ski quer zum Hang ..."
"Warten Sie nur, Aufstehen, das hab ich schon gelernt ..."
Der Arlberg als Wiege des Skisports. Schon vor über hundert Jahren fanden die ersten Skikurse statt. Hoteliers mit Weitblick bezahlten schneidige Einheimische: Sie sollten abenteuerlustigen Flachländern beibringen, wie sie auf extrem langen Holzlatten den Hang runterkommen. Eine Riesengaudi, die sich schnell herumsprach. Bei den Ureinwohnern stachelte sie auch den Ehrgeiz an ...
Der Arlberg hat weltweit die meisten alpinen Olympiasieger und Skiweltmeister hervorgebracht. Stars wie Othmar Schneider, Egon Zimmermann, Trude Jochum-Beiser, Gertrud Gabl, Karl Schranz, Mario Matt oder Patrick Ortlieb:
Patrick Ortlieb: "Du wirst einmal Olympiasieger, das hab ich mir als kleiner Bub schon gesagt. Und okay - das hab ich mir einfach zum Ziel gemacht und hab's vielleicht mit Glück auch geschafft ..."
Othmar Schneider: "Unser Schullehrer hat dann immer gefragt: Was wollt ihr werden? Und ich bin dann aufgestanden und hab gesagt: Skiweltmeister! Also da bekam ich den Nachnamen: Othmar der Weltmeister. Dann ist es tatsächlich passiert und da kamen meine alten Schulkollegen: Also wir können uns noch gut erinnern, als du Skiweltmeister werden wolltest ..."
1952 holte der Wedelkönig Othmar Schneider aus Lech sogar den Olympiatitel. Wer im Skigebiet aufwächst, lernt gehen, um den Hang hinaufzulaufen, den er gerade mit Skiern hinuntergerauscht ist – immer wieder. Nicht anders war es bei Skilegende Karl Schranz:
"Mit zweieinhalb Jahren hat mich meine Mutter dort hinaufgebracht, auf den ersten flachen Hang. Und da hat der Skilehrer gesagt: Komm, ich fahr' einmal mit ihm. Und dann hat er gesagt, dem braucht man nicht mehr helfen, den kann man gleich fahren lassen. Und dann bin ich gefahren, mit zweieinhalb Jahren. Was gibt's im Winter? In St. Anton gibt's nichts anderes: Aus der Schule zurück, Schultasche in die Ecke – und dann Ski fahren ..."
Auch die Arlberger Jugend von heute träumt vor allem von Medaillen und Pokalen. Aber auch ein Stockerlplatz beim Lecher Dorfrennen wäre nicht schlecht:
Ski-Nachwuchs: "Ja, ich will Weltcupfahrer werden."
"Skispringer!"
"Schaffst ja nie!"
"Ich werd doch Mafia-Boss."
"Ich weiß es noch nicht."
"Ich probier' jetzt, dass ich in den Weltcup komme ..."
Bei wem es auf der Piste nicht so läuft, der wird eben Wirt. Und kämpft beim Schaukochen um Hauben und Sterne. In keinem anderen Skigebiet gibt es eine solche Dichte an Spitzenköchen und Luxushotels wie am Arlberg. Hoch die Rotweingläser!, heißt es bei einer Verkostung edler Bordeauxweine im Gourmetdorf Lech. Ein Event, das sich keiner entgehen lässt, der in der Arlberger Gastronomie Rang und Namen hat:
Wirt J. Pfefferkorn: "Wir haben das Thema Figeac gewählt. Menü et Degustation. Wir haben ein altes Menü gewählt, das schon einmal zu einer Figeac-Probe gekocht wurde, und haben ein bisschen neuen Schwung hineingebracht und es leichter zubereitet, als die alte französische Küche ist. Und ich glaube schon, dass ein Acht-Gang-Menü, speziell auf einen Wein abgestimmt, eine Herausforderung für jede Küche darstellt ..."
Bordeaux-Fan Johannes Pfefferkorn hat das kulinarische Schaulaufen vor seinen anspruchsvollen Kollegen bestanden. Mit Ende zwanzig spielt der Hotelier in der Oberliga, kann aber auf lange Erfahrung bauen:
"In Lech gab es zwei Gasthäuser, eines hat mein Ururur-Großvater besessen. Der war der bessere Geschäftsmann, konnte das Zweite kaufen, ja als Herberge damals schon mit Betten, ein zweiter Weg neben der Landwirtschaft, Geld zu verdienen. Es war damals noch nicht für Skitouristen. Der Arlberg – Arlberg-Pass eigentlich – war eine Reiseroute durch Europa, um weiter zu kommen, Richtung Italien, Richtung Wien und natürlich auch Richtung Osteuropa ..."
Das Gastgewerbe hat in den Arlberg-Dörfern St. Jakob, Lech, Zug, Zürs und St. Christoph eine viel längere Tradition als das Skilaufen. Im ausklingenden Mittelalter errichtete der Schweinehirt Heinrich Findelkind in St. Christoph die erste Herberge. Zuvor musste er jedes Jahr, nach der Schneeschmelze, die Gebeine der Toten einsammeln und beerdigen, die bei der Überquerung des Passes durch Tirol und Vorarlberg ums Leben gekommen waren. Aus Erschöpfung, erfroren oder von einer Lawine erfasst.
Von seinem Hirtenlohn und Spenden baute Heinrich Findelkind ein Schutzhaus, gründete eine Bruderschaft und rettete vielen Bauern, Wanderern und Pilgern das Leben. Die Tradition, in Not geratenen Menschen zu helfen, hat sich im Nobel-Skinest St. Christoph bis heute gehalten ...
Jede Woche lassen sich Menschen aus aller Welt in der Kapelle des Hospizhotels mit einem schweren Bihänder zum Bruderschafts-Mitglied schlagen:
"Wir rufen die Novizin Stefanie Magister Mitterlehner aus Innsbruck und wir bitten dich, rauszukommen. Nach alter Brudersitte gehörst auch du mit diesem Schlag dazu ..."
Rund 18.000 Schwestern und Brüder unterstützen heute die Bruderschaft St. Christoph. Die Idee, vor allem Waisenkindern zu helfen, entstand in den 70er-Jahren, nach einer Katastrophe beim Bau des Arlberger Straßentunnels - erzählt der langjährige Hospizwirt Adi Werner:
"Während des Baus sind 18 Bergleute tödlich verunglückt. Und die haben 64 Kinder zurückgelassen als Halbwaisen. Und das war dann die Idee, dass wir gesagt haben, wir werden diese Kinder so lange unterstützen, bis sie entweder einen fertigen Beruf haben oder ein abgeschlossenes Studium. Das hat die Leute hier in der Region sehr berührt, dass sie scharenweise eingetreten sind. Und durch den großen Zuwachs ist auf einmal Geld da gewesen."
Zur Jahreswende 1901 ereignete sich in St. Christoph schier Unerhörtes: Die damaligen Honoratioren aus St. Anton saßen in Champagnerlaune zusammen und hoben die älteste alpine Talentschmiede aus der Taufe: – den Skiclub Arlberg.
Adi Werner: "Bei vorgeschrittener Stunde ist der damalige Gemeindearzt, der Doktor Adolf Ribitzka, auf die Idee gekommen und hat da in das Gästebuch hineingeschrieben: Durch die Natur entzückt, durch den Sport begeistert, durchdrungen von der Notwendigkeit, am Arlberg einen bescheidenen Sammelpunkt dieses edlen Vergnügens zu schaffen, fühlen die am ex tempore beteiligten Ausflügler sich bewogen, den Skiclub Arlberg zu gründen."
Der Aufstieg des Arlbergs zum Mythos ist eng mit dem Skiclub verbunden. Seine schneidigen Mitglieder waren fantastische Werbeträger. Aber auch die geduldigen Ski-Instrukteure hatten einen guten Ruf:
Filmausschnitt "Weißer Rausch":
"Na hat es Ihnen denn gefallen im Privatkurs?"
"Oh ja! Beim Hannes kann man ganz gut Stemm-Kristiania lernen!"
Der Bergfex Hannes Schneider war in den Pionierjahren des Skisports der große Zampano auf den Arlberghängen. Präparierte Pisten gab es damals noch nicht. Der Tempofanatiker tunte den behäbigen, nordischen Telemark-Stil auf seine dynamische Arlbergtechnik: den Stemm-Kristiania, ein Vorläufer des Parallelschwungs. Schneiders Lehrbücher und Skifilme über "Die weiße Kunst" und "Das Wunder des Schneeschuhs" machten den Arlberg auf der ganzen Welt bekannt. Sogar aus Hollywood kamen Regisseure, um mit dem Freerider halsbrecherische Szenen in nahezu unberührter Natur zu drehen. Die Extremfahrer auf ihren tollkühnen Brettern zogen in den 20er und 30er-Jahren auch Prominenz an:
Filmausschnitt "Der Weiße Rausch":
"Hab ich jetzt Hunger!"
"Na also. Und morgen Stemm-Kristiania!"
"Stemm-Kristiania!"
An der Seite der Ästhetin und Hitler-Bekannten Leni Riefenstahl agierte Hannes Schneider im weltberühmten Skifilm "Der Weiße Rausch". Die Handlung dünn, die Skiszenen atemberaubend.
Auch Schneiders Sohn Herbert hatte - als einheimischer Bub und Naturtalent - eine Statistenrolle auf Skiern.
"Leni Riefenstahl - 1930, wo sie den Film 'Der Weiße Rausch' gedreht hat, war sie auch der Star mit meinem Vater, obwohl sie zur Zeit gar nicht Skifahren konnte. Da hat man immer ein Doppel genommen. Und dann hat sie Skifahren gelernt. Aber irgendwie hat es da was geben ... ist keine große Freundschaft gewesen ..."
Herbert Schneider sitzt mit Neunzig in seinem Haus in St. Anton. Wehmütig schaut er aus dem Panoramafenster auf die verschneiten, wilden Hänge, die er in jungen Jahren hinuntersauste. Die Sache mit seinem Vater endete damals unwürdig – obwohl er für die Entwicklung des Skisports am Arlberg so viel geleistet hatte:
"Mein Vater war von Anfang an ein Anti-Nazi. Er hat sich nie um die Partei gekümmert, obwohl große Anstrengungen gemacht wurden, dass er beitritt. Aber nur die Taugenichtse waren in der Partei. Da hat mein Vater nicht mitgemacht."
Hannes Schneider wollte vor allem keine Nazipropaganda in seiner Skischule, die er 1921 gegründet hatte. Im März 1938, gleich nach dem sogenannten "Anschluss" Österreichs an Hitler-Deutschland, wurde er verhaftet. 1939 konnte sich die Familie in die USA retten. In Cranmore lehrte der berühmte Skilehrer vom Arlberg wohlhabende Amerikaner das Fahren auf zwei Brettern.
Herbert Schneider: "Für mich persönlich war es ein Vorteil. Ich habe dort angefangen, Skiunterricht zu geben. Wie mein Vater gestorben ist, hab ich die Skischule übernommen. Und ich hab gesehen, wie der amerikanische Skisport wächst. Wo wir hinübergekommen sind, waren dort vielleicht zehn Skiplätze in ganz Amerika. Heute ist es fast eine der beliebtesten Sportarten."
Herbert Schneider hat für sich einen Schlussstrich gezogen. Seit den fünfziger Jahren kam er immer wieder nach St. Anton, wo sein Vater heute als Pionier des Skisports verehrt wird. Nicht nur von der grauen Skiclub-Eminenz oder Heimatpflegern ...
"Wenn man sich denkt, wie der Hannes Schneider früher Ski gefahren ist, der ist ähnlich gefahren wie wir, oft ist er Schuss gefahren, oft ist er über Felsen gesprungen ... Die Jungs da früher waren eigentlich die ersten Freerider. Dann sind die Wedler gekommen, die wollten alles sauber machen und Zopferl fahren. Jetzt geht es wieder zurück zu den Wurzeln. Jetzt gibt es die breiten Ski. Jetzt geht man eigentlich wieder so Ski fahren, wie es uns der Hannes Schneider vorgemacht hat ... Nur dass wir mit dem Material viel mehr machen können. Wir können höher springen, schneller fahren, extremere Linien fahren ..."
Stefan Häusl sucht beim Skifahren den absoluten Kitzel – und findet ihn abseits der Piste:
"Was man da sieht ist der Albona-Kopf und auf den Berg hab ich seit fünf Jahren draufgeschaut. Das ist eine Linie, die plant man dann und will sie fahren, wenn die Verhältnisse perfekt sind. Da muss halt dann alles zusammenpassen, das Wetter, die Schneeverhältnisse. Und dann kann man so ein Projekt realisieren."
Was daraus wurde, ist auf einem Poster zu sehen: Ein Fotograf hat in einzelnen Sequenzen festgehalten, wie Stefan Häusl sich vom Albona-Kopf einen zerklüfteten Steilhang hinabstürzt. Fünf Jahre Arbeit – in 40 Sekunden ist die halsbrecherische Fahrt vorbei.
"Am Anfang haben immer alle geglaubt, wir haben einen kompletten Vogel. Mittlerweile ist es ein Sport geworden ..."
Es geht darum, eine Linie möglichst spektakulär ins Tal zu fahren. Und wie bei jeder Sportart muss trainiert werden – erklärt der Weltmeister in der Freeride-Disziplin "Big Mountain":
"St. Anton ist von den Pisten her sehr, sehr interessant, aber auch vom Off-Pisten-Bereich. Und von daher ist es ideal für mich, hier zu leben. Ich vergleiche es immer mit einem Surfer, der nach Hawai zieht. So bin ich ein Skifahrer, der nach St. Anton zieht ..."
Aber auch ins Gourmetdorf Lech kommen 90 Prozent der Gäste nicht zum Schlemmen und Ausruhen, sondern immer noch und vor allem zum Skifahren.
Für Schneesicherheit, auch in wärmeren Wintern und für beheizte Sessellifte, wenn es richtig kalt ist, ist Michel Manhart zuständig. Der Ingenieur aus Lech weiß alles über Skilifte und Schneekanonen. Schließlich hat er selbst einige erfunden. Bei Damenrennen sorgt Herr Holle aus Lech für bretterharte Pisten, für Skigäste zaubert er weichen Pulverschnee.
Manhart: "Und alles aus derselben Schneekanone. Mann muss nur damit umgehen können. Wir haben eine ausgefuchste Beschneiungsmannschaft, einen sehr guten Schneichef. Aber ich hab die Technik natürlich immer noch im Kopf. Wenn es dann heißt, jetzt kommt die Konkurrenz wieder etwas näher, dann mach ich mit unseren Kanonen wieder einen Entwicklungsschub – und dann blas ich sie wieder alle weg ..."
600.000 Kubikmeter Schnee, eine Lkw-Reihe von Lech bis Wien, pustet der Ort jeden Skiwinter aus den Kanonen. Kunstschnee für rund 4,2 Mio Euro. Auf Umweltschützer, die ihn wegen der Schneekanonen nerven, reagiert der Ingenieur fast allergisch:
Manhart: "Was sind denn das für Stoffe? Da wird immer behauptet, es gäbe irgendwelche Stoffe in diesem Schnee, sein tut es ordinäres Wasser, Bachwasser in unserem Fall. Dasselbe, das wir zum Blumengießen verwenden. Aber es wird unentwegt behauptet, dass man da Chemie hineintät in das Wasser ..."
Die Erhaltung der Natur und Landschaft ist bei dem ganzen Skizirkus eine echte Herausforderung. Auf ihre Bauern können die Arlberger bei der Pflege der Wiesen und Weiden bald nicht mehr bauen.
Emil Strolz aus St. Jakob hat in seinem Stall noch einige Milchkühe, Rinder und Kälber stehen. Die Milch verkauft er an Hoteliers, größtenteils an Molkereien. Eine Existenz allein auf der Basis von Landwirtschaft sei fast nicht möglich – meint Bauer Strolz:
"Ich könnt schon leben davon, wenn ich auf alles andere verzichte. Aber wir brauchen einen Nebenjob. Und das lässt sich sehr gut ergänzen mit Skilehrer, nur der Skilehrer ist auch nicht so lukrativ, wie man glaubt. Du musst ja die Gäste anschließend noch betreuen, gehst mit ihnen Essen, sechs Stunden musst du mindestens rechnen."
Ob einer seiner beiden Söhne den Hof weiterführt, ist unsicher. Wenn keiner will, wird ein weiterer Familienbetrieb schließen. Viele sind es nicht mehr. Die Bauern werden dem Ort fehlen.
"Wenn die ganze Landschaft im Sommer braun ist, muss halt irgendjemand das mähen, mähen lassen. Das ist wahrscheinlich auf lange Sicht nicht finanzierbar. Und da nächste ist ja: Die Tiere müssen das fressen, sonst musst du es ja teuer entsorgen. Und da müsste man schon ein bisschen vorbeugend wirken, die jungen Leute, die das weiter machen wollen, unterstützen. Und nicht einfach sagen: Die Bauern, die brauchen wir zwar, aber was sie produzieren, ist nichts wert."
Trotzdem ist der Arlberg eines der wenigen Skigebiete in den Alpen, in dem das traditionelle Dorfleben noch weitgehend intakt ist – mit Blaskapellen, Feuerwehr und natürlich Skiclubs. Auch die alte Siedlungsstruktur wurde bewahrt. Das Bild des Arlbergs prägen keine in die Bergwelt ausgesetzten Plattenbauten oder anonyme Hotelkomplexe. Noch immer überwiegt der traditionelle Baustil mit alten Bauernhäusern und urigen Hütten. Allerdings wurden viele Betriebe in den 70er und 80er-Jahren modernisiert und mit folkloristischen Versatzstücken erweitert.