Ausstellung zu jüdischen Mathematikern in Deutschland

Akademiker, die nicht konvertierten

Ruti Ungar, Projektleiterin der Ausstellung "Transcending Tradition", steht in der Schau im Diaspora-Museum in Tel Aviv.
Ruti Ungar, Projektleiterin der Ausstellung "Transcending Tradition", steht in der Schau im Diaspora-Museum in Tel Aviv. © picture alliance / dpa / Sara Lemel
Von Philipp Eins · 29.07.2016
Die Wanderausstellung "Trancending Tradition" richtet den Blick auf jüdische Mathematiker in der deutschen Wissenschaft. Seit 2006 zieht die Schau durch die Welt und ist nun im Jüdischen Museum Berlin angekommen - ihre bislang letzte Station.
In der Wanderausstellung "Trancending Tradition" spüren der Wissenschaftshistoriker Moritz Epple und sein Team den Lebenswegen jüdischer Mathematiker in Deutschland nach. Auf verschiebbaren Wänden aus hellem Birkenholz sind Fotos, Briefwechsel und andere Schriftstücke von Forschern ausgestellt, die ihren akademischen Weg gegangen sind – trotz Diskriminierung.
Denn wer als Jude Anfang des 19. Jahrhunderts eine wissenschaftliche Karriere in Deutschland anstrebte, hatte kaum eine Chance. Auch an den Universitäten war Antisemitismus weit verbreitet. Jüdische Studenten gab es kaum. Im Laufe des Jahrhunderts wurden in Preußen und anderen deutschen Staaten die Juden zwar rechtlich gleichgestellt.
"Die Praxis ist allerdings so gewesen, dass für viele in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Konversion noch eine notwendige Karrierebedingung gewesen ist."
Moritz Epple, Wissenschaftshistoriker von der Universität Frankfurt.
"Der erste Wissenschaftler an einer deutschen Universität, der also eine volle Professur erhalten hat ohne zu konvertieren ist ein Mathematiker gewesen, und er hat diese Professur erhalten im Jahr 1859 an der Universität Göttingen, das war Moritz Abraham Stern."
Bis Anfang des 20. Jahrhunderts steigt die Zahl jüdischer Wissenschaftler in ganz Deutschland. Unter ihnen sind Mediziner und Biochemiker, Physiker und Juristen – ganz besonders häufig auch Mathematiker. Während der Weimarer Republik waren knapp ein Drittel der mathematischen Lehrstühle mit jüdischen Wissenschaftlern besetzt. Wie kam es zur Entscheidung für dieses Fach?
"Zugunsten der Mathematik ist sie immer wieder gefallen wahrscheinlich auch aus der Überzeugung heraus, dass die Mathematik eine Wissenschaft ist, in der Nationalität, in der Religion sozusagen in der Wissenschaft selbst keine Rolle spielt - was in anderen Wissenschaftsgebieten wie etwa der Geschichte oder auch der Literatur natürlich ganz anders ist."

Die bedeutendste Mathematikerin des letzten Jahrhunderts

Dennoch hatten es jüdische Mathematiker auch später nicht leicht. So wie Emmy Noether. Sie hat grundlegende Beiträge zur Algebra geleistet und gilt heute als bedeutendste Mathematikerin des 20. Jahrhunderts. Aber:
"Sie ist ein typischer Fall einer doppelten Diskriminierung: Sie war Jüdin, sie war Frau. Beide Aspekte haben sicher in dieser schwierigen Karriere eine Rolle gespielt am Anfang ihrer Tätigkeit in Deutschland."
Emmy Noether wurde 1882 in eine bürgerliche jüdische Familie in Erlangen geboren. Ihr Vater Max Noether, ebenfalls Mathematiker, hat es dort zu einer Professur geschafft. Seine Tochter Emmy blieb dieser Weg jedoch nach Studium und Promotion verwehrt – trotz ihrer außergewöhnlichen Begabung.
"Sie hat nie eine Professur in Deutschland erhalten. Schon zu unterrichten an der Universität Göttingen ist für sie schwierig gewesen. Es hat Widerstände gegeben gegen ihre Habilitation an der Universität Göttingen."
In der Weimarer Republik besserte sich die Stellung der Frauen, Emmy Noether erhielt 1919 als erste Frau Deutschlands im Fach Mathematik eine Lehrberechtigung. Nach Machtergreifung der Nazis 1933 flüchtete sie in die USA, wo sie zwei Jahre später nach einer unglücklich verlaufenen Tumoroperation verstarb. Nicht weniger beeindruckend ist die Biografie des 1868 in Breslau geborenen Felix Hausdorff, der zur Mengenlehre forschte. Er machte sich nicht nur als Mathematiker einen Namen. Unter dem Pseudonym Paul Mongré veröffentlichte er literarische Bücher, Gedichte und ein Theaterstück, verkehrte im Kreis von Friedrich Nietzsche.

Ungezählte Doktoranden und Studenten wurden ermordet

"Bei den jungen jüdischen Wissenschaftlern kommt noch ein weiteres Phänomen hinzu: dass häufig ja die Karriere auch im späten 19. Jahrhundert, im frühen 20. Jahrhundert nicht glatt und vor allem nicht schnell verläuft. Es ist ganz typisch, dass man eine lange Zeit als Privatdozent ohne Professur verbringt. Und in diesem langsamen Karrierebeginn in der Wissenschaft, für die man sich vielleicht am meisten interessiert, haben viele versucht, in anderen Gebieten der Kultur auch ihre Spur zu hinterlassen."
Als Literat war Hausdorff kurz vor dem Durchbruch. Gelungen ist er ihm aber letztlich in der Mathematik. Im Jahr 1901 wurde Hausdorff zum außerplanmäßigen Extraordinarius an der Universität Leipzig ernannt. Im Gegensatz zu Emmy Noether misslang die Emigration ins Ausland. Einen Tag vor seiner Deportation 1942 nahmen er, seine Frau Charlotte und seine Schwägerin sich das Leben.
Den meisten der rund 20 jüdischen Mathematikern, die im Jahr 1933 eine Professur in Deutschland unterhielten, ist die Flucht gelungen. Ungezählt sind all die jüdischen Doktoranden und Studenten, die von den Nazis verfolgt und umgebracht wurden. Auch an ihr Schicksal soll die Ausstellung "Trancending Traditions" erinnern.
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