Ausstellung über bayerische Tradition

"Mythos Bayern" als Wahlkampfschlager?

Auerberg, Bayern
Böllerschützen der SG Stötten beim Böllertreffen im Allgäu, Bayern. © imago/Action Pictures/Peter Schatz
Von Tobias Krone · 07.06.2018
Bayern pflegt das Image der heilen, idyllischen Welt – zwischen Bergen, Wald und Königsschlössern. Just zum Wahlkampf wird mit einer Landesausstellung im Kloster Ettal dieser Mythos am Leben erhalten.
Über den Mythos Bayern muss man vorweg zwei Dinge wissen: Ohne die menschliche Lust am Gestalten gäbe es ihn nicht. Und ohne einen gewissen Größenwahn schon gar nicht. Das macht ihn – im Wahlkampfjahr 2018 – politisch hochaktuell. Aber anfangen muss man natürlich mit dem Märchenkönig Ludwig II., bei dem selbst eine kulturhistorische Schau wie die Landesausstellung hörbar nicht auf Kitsch verzichten kann. Auf nackte Holzkulissen in Gebirgsformation werfen Projektoren die unzähligen Skizzen der Traumschlösser, die Ludwig in die Bergwelt stellen ließ: Herrenchiemsee, Linderhof, Neuschwanstein. Weil er es konnte.
"Das Gebiet, also sagen wir mal von Füssen bis Ettal ist sein Freizeitpark, das ist seine Spielwiese. Hier tobt er sich aus. Alle seine Schlösser waren für hier geplant. Er hat versucht, die Landschaft, die er hier vorfand, an seine Vorstellungen anzupassen."
Margot Hamm steht am Rand dieses königlichen Freizeitparks, zwischen nebelverhangenen Bergwänden im barocken Kloster Ettal. Die Historikerin hat die Ausstellung zum Mythos Bayern kuratiert. Dass Ludwig II. zum Mythenpatron schlechthin wurde, geschah in ihren Augen eher unbeabsichtigt. Nämlich als die Wittelsbacher die ruinösen Bauten ihres verstorbenen Sprosses der Öffentlichkeit zugänglich machten.
"Weil man a) Eintrittsgelder natürlich gut gebrauchen konnte. Und b) auch zeigen wollte, dass jemand, der sich solche Schlösser baut, tatsächlich auch verrückt war. Und der Schuss ging aber so ein bissl nach hinten los, weil die Menschen in diesen Schlössern waren und gesagt haben: Das ist so toll. Die waren einfach begeistert. Und von ´verrückt` hat dann eigentlich keiner mehr gesprochen."

Pech gehabt. Der Volkssehnsucht nach dem Mythos ist die Vernunft des Logos ziemlich wurscht – das ist auch aktuell im bayerischen Wahlkampf zu besichtigen – es geht um die Heimat, ohne Rücksicht auf Verluste. Auch beim CSU-Ministerpräsidenten Markus Söder. Der lässt mit seinem neuen Landesentwicklungsplan die letzte unbebaute Landschaft mit den Gewerbeschlössern des Mittelstands zubauen.
"Der ländliche Raum ist kein Museum."
Und würde in Zukunft gern auch mal von München aus zum Mond abheben.
"Im Mittelpunkt steht dabei ein neues bayerisches Raumfahrtprogramm: Bavaria One."
Es gibt die Heimat – und ihren ehemaligen - Minister Markus Söder, der gerade seinen ganz eigenen Mythos Bayern erfindet. Und daher ließe sich eine Ausstellung zu diesem Thema ja vielleicht auch als Kommentar auf den Landtagswahlkampf verstehen.
"Wenn man böse ist, vielleicht schon."
Böse will hier natürlich niemand sein. Weder die Historikerin noch der Reporter. Doch ganz im Ernst. Es lohnt sich, den Mythos Bayern in dieser unterhaltsamen Ausstellung zu studieren, um gerade ein bisschen besser die Politik zu verstehen. Denn der Mythos Bayern ist ein dialektisches Gebilde aus barocker Abgehobenheit – und gleichzeitig biederer Volksnähe. In Bayern haben die Herrscher schon im 19. Jahrhundert verstanden, sich die Untertanen zum Spezl zu machen. Ludwigs Vater Max II. hatte es bei seiner Thronbesteigung 1848 schließlich mit einem revolutionären Volk zu tun gehabt.
Das Kloster Ettal in Bayern
Das Kloster Ettal, wo die Landesausstellung "Wald, Gebirge und Königstraum – Mythos Bayern" gezeigt wird.© picture alliance/dpa/Foto: Lino Mirgeler

Als Max II. auf Wanderschaft ging

"Die Bevölkerung erhebt sich, Franken will teilweise auch weg aus Bayern, will Richtung Preußen wieder abwandern – und jetzt ist dieser Maximilian II. zur Regierung gekommen und hat ganz klar erkannt: Jetzt muss man irgendwas tun, um die Monarchie wieder fest in den Sattel zu bringen und sie wieder mit der Bevölkerung zusammenzuschmieden."
Max II. ging auf Wanderschaft – und zwar nicht durchs proletarisch-unruhige Franken, sondern durchs königstreue Voralpenland. In neuem Dresscode.
"Es gibt Zylinder- und Frackverbot, also Strohhüte und einfache Kleidung. Und wir haben hier ein Foto, das den König Maximilian II. zeigt in Jägerkleidung. In Jägerkleidung und mit kurzer Lederhose, wenn Sie sich das anschauen."
Und schon hatte die Familie Wittelsbach den Mythos erweitert. Das Image vom volksnahen König ging durch den Freistaat.
"Wir haben seit Max II. in Bayern diese Besonderheit, dass bei großen Staatsempfängen oder bei großen Einladungen immer darunter steht: ´Abendkleidung oder Tracht.` Also die Tracht ist hoffähig. Das Volk wird entdeckt. Und das Volk wird wichtig. Man muss es wichtig nehmen jetzt. Und das ist etwas ganz kennzeichnendes für diesen Maximilian II."

Auch in der letzten faktischen Volkspartei CSU nimmt man das Volk wichtig. Wenngleich Ministerpräsident Markus Söder so gut wie nie in der Lederhose auftritt. Das mag daran liegen, dass Söder aus Franken kommt. Und dort trägt man traditionellerweise nicht die Tracht, die Touristen für gesamtbayerisch halten. Die Historikerin Margot Hamm sieht hier…
"...eine Verengung der Tracht, die auch schon in der Bavaria, in dieser Landes- und Volkskunde von Max II. beklagt wird. Eine Verengung der Tracht hin auf die Miesbacher Tracht, auf die Oberländler Tracht. Und im 19. Jahrhundert schon gibt es den Begriff ´Miesbachisch gehen`. Es wird beklagt, dass dieses Miesbachische alles andere überdeckt."
Denkmal von Maximilian II. Joseph, König von Bayern, Bayreuth
Denkmal von Maximilian II. Joseph, König von Bayern, vor dem Alten Schloss, Bayreuth.© imago/imagebroker

Söder im Wirtshaus

Übrigens haben sich auch schon im 19. Jahrhundert englische Touristen mit der miesbachischen Lederhose ausgerüstet, um etwa bei den Passionsspielen in Oberammergau bayerisches Brauchtum zu zelebrieren – die heutige Mietlederhose für Oktoberfestgäste hat also auch schon ihre Vorgänger gehabt. Der Franke Söder verzichtet lieber auf diesen Karneval, schon allein, um sich von den echten Oberländlern nicht das Schimpfwort des "Lederhosenpreißn" einzufangen. Auf ein anderes wichtiges Utensil des volkstümlichen Mythos Bayern verzichtet Söder dagegen nicht: den Auftritt im Wirtshaus. Wohlgemerkt eine Institution, die es so erst seit dem 19. Jahrhundert gibt.
"Das ist das Sinnbild von bayerischer Gemütlichkeit. Das Sinnbild auch von einer Aufhebung der Standesschranken. Also hier sitzen der Adlige und der Bauer zusammen, so ist der Plan. Und so ist es auch großenteils. Und trinkt Bier, gemeinsam. Und diese Architektur und diese Innenarchitektur wird wiederum weltweit transportiert."
Tatsächlich gab es im Paris und London des 19. Jahrhunderts Hunderte bayerischer Bierkneipen, konzipiert von den großen Münchner Brauereien.
"Es gibt im Englischen keine Übersetzung für Gemütlichkeit. Das ist Gemütlichkeit."
Gemütlich – so soll man sich Heimat vorstellen, ebenfalls nur im Deutschen vorhanden – der Exportschlager der wahlkämpfenden CSU. Nur auch die hat ihre Abstufungen: Bei Markus Söder ist diese Heimat überall angesiedelt, nur nicht in München. Die Landeshauptstadt steht im Söderschen Diskurs für gesichtslosen Bürokratismus – etwa hier, bei der Kritik an seiner neuen Zersiedlungspolitik – letztes Jahr, noch als Heimatminister.
"Das kann doch nicht sein, dass am Ende zwei, drei Beamte in München darüber entscheiden, ob in einer kleinen Gemeinde in Oberfranken oder in der Oberpfalz mal ein Handwerksbetrieb angesiedelt werden wird. Das ist ja geradezu absurd, ja?"
Bei der Verteilung von Geldern bleibt er auch als Ministerpräsident ganz Freund der kleinen Gemeinden.
"Invest in Bavaria muss am Ende mehr sein als nur Invest in Munich."

"Am Ende siegt das Gute"

Als Verfechter der Provinz gegen die liberale Metropole lässt sich Söder ganz in der Tradition eines Ludwig Ganghofer verorten. Der baute seine höchst erfolgreichen Heimatromane Anfang des 20. Jahrhunderts stets nach demselben Handlungsschema auf.
"Die gute, kräftige Landbevölkerung. Dann kommt immer ein Element aus der Stadt dazu, das ist entweder krank oder schlecht oder hintertrieben oder irgendwie sowas. Und dann treffen diese beiden Kulturen aufeinander. Und es gibt einen Kampf, eine Auseinandersetzung, und am Ende siegt das Gute, das Land dann."
Das irgendwie gute Land, gegen das irgendwie schlechte, weltfremde München. Auch das trägt Spuren des altbewährten Mythos Bayern, der politisch funktioniert – sowohl auf nationaler als auch auf Landesebene. Denn den Mythos konsumieren ja nicht nur die glücklichen Touristen aus dem Ruhrpott, sondern auch die Bevölkerung selbst. Mit ihrer kulturellen Eigenständigkeit gehen die Bayern dem Rest der Republik schwer auf die Nerven. Das muss auch die Münchner Historikerin Margot Hamm einräumen.
"Es heißt vielleicht auch gar nicht: Ich bin was Besseres, sondern ich bin einfach vielleicht anders. Das wäre so die milde Form dieses Besserseins. Aber auf jeden Fall ist es immer so, diese Betonung auch: Ich bin aus Bayern. Oder. Wir Bayern. Und das ist für manche andere sicherlich anstrengend."

Die Ausstellung "Wald, Gebirg und Königstraum" ist noch bis zum 4. November zu sehen.

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