Ausstellung über Architektur und Bürokratie

Form folgt Vorschrift, Vorschrift folgt Gesellschaft

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Jedes Land hat eigene Vorschriften für die Gestaltung von Treppen: In Wien können Besucher verschiedene Treppen- und Stufenmodelle ausprobieren. (Lisa Rastl/Architekturzentrum Wien) © Lisa Rastl/Architekturzentrum Wien
Martina Frühwirth im Gespräch mit Shanli Anwar |
Immer neue Bauvorschriften scheinen den Spielraum von Architekten zunehmend einzuschränken. Eine Ausstellung in Wien widmet sich dem Thema "Form folgt Paragraph". Eine Frage: Was sagt das Vorschriftswesen eines Landes über dessen Gesellschaft aus?
Die Form von Gebäuden scheint heute vor allem von Paragrafen reglementiert zu sein. Über Bauvorschriften gibt es viele Klagen. Stellplatz-Pflicht, Brandschutz-Verordnung, Traufhöhe, Wärmedämmung, Treppenbreite, Stufenhöhe – können Architekten heute eigentlich noch eine eigen Handschrift entwickeln oder heißt es Form folgt Paragraph?
Das Architekturzentrum Wien beleuchtet in der Ausstellung "Form folgt Paragraph" jene Regelwerke, ohne die in der Architektur nichts mehr geht. Gesetze, Verordnungen, Richtlinien und Normen sind zu gewichtigen Mitgestaltern der gebauten Umwelt geworden. Anschaulich und konkret, kritisch und bei manchen Beispielen auch unfreiwillig komisch, enthüllt die Schau die ansonsten unsichtbaren Hintergründe von Architektur und Stadtentwicklung.

Der Geruch von frischem Brot könnte schädlich sein

Wie etwa jenes Beispiel von dem Bäcker, dem untersagt wurde, die Gerüche von Brot, Croissants und anderen Backwaren ungehindert auf die Straße der Wiener Innenstadt entweichen zu lassen – mit Verweis auf das Emissionsschutzgesetz.
Fallstudien, Begriffserklärungen, historische Beispiele und Vergleiche mit anderen Ländern zeigen, dass ähnliche Herausforderungen sehr unterschiedlich geregelt werden können. So umfassen die Bauvorschriften der Stadt Wien etwa 1000 Seiten, die der Stadt Zürich nur 40. Schreien deutsche Kinder lauter als österreichische oder sind die Beine anderswo kürzer? Eins zu Eins-Installationen machen die Unterschiede körperlich erlebbar und legen gleichzeitig die Frage nahe: Was sagt das Vorschriftswesen eines Landes über dessen Gesellschaft aus?

Vorschriften sichern im Ernstfall alle ab

Martina Frühwirth, eine der Kuratorinnen der Ausstellung sagt, die Bedeutung der gesetzlichen Vorschriften für den kreativen Freiraum von Architekten würden oft dramatischer dargestellt als sie sind. Sie machten Architektur "auf keinen Fall" langweiliger.
"Es gibt ja Möglichkeiten, wie man die geforderten Vorschriften erfüllt. Architekturschaffende haben auch die Möglichkeit, eine der Norm gleichwertige oder bessere Lösung anzubieten."
Gesetzliche Vorschriften dienten auch dazu, alle Beteiligten im Schadensfall abzusichern. Allerdings führten sie von Fall zu Fall auch zu ausufernden Regelungen, räumt Frühwirth ein: Wie etwa bei der Gestaltung von Handläufen an Treppen. Die Handschrift eines Architekten habe sich noch um die Wende zum 20. Jahrhundert auch in der Formenvielfalt solcher Geländer oder Läufe ausgedrückt. Dies sei heute nicht mehr möglich, weil es sehr strenge Normen gebe.

Es bleibt noch viel Raum für Kreativität

Dennoch gebe es immer noch viele Felder, auf denen Architekten sich mit "einer Vielfalt der Formensprache" kreativ verwirklichen könnten – etwa im sozialen Wohnungsbau: bei den Fassaden, der Raumhöhe oder den Grundrissen.
Bei der Recherche für die Ausstellung sei ihr und ihren Kolleginnen bewusst geworden, "welche Rolle wir als Gesellschaft" bei der Festlegung von Gesetzen spielen. "Wir sind tatsächlich die Nutzer, die Anrainer, die sich immer mehr aufmunitionieren – mit dem Wissen auch, wo welches Gesetz sie schützt", sei es vor Lärm- oder Lichtverschmutzung.
"Im Grunde folgt der Gesetzgeber der Gesellschaft. Es sind ja demokratisch legitimierte Vertreter, die diese Gesetze auch verabschieden."
(mkn)
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