Ausstellung

Reine Verführung

Gilt als etwas spröde: Gerhard Richter, hier im Januar 2014 in Winterthur.
Gilt als etwas spröde: Gerhard Richter, hier im Januar 2014 in Winterthur. © picture alliance / dpa
Von Carsten Probst |
Es ist schwer, noch einen neuen Dreh zu schaffen für ein Werk, das bereits so ausgeleuchtet ist wie das von Gerhard Richter. Der Fondation Beyerler in Basel gelingt das aber außerordentlich gut.
Von einem Hochamt erwartet man keine Neuigkeiten, von einem Hochamt erwartet man Verkündigung, Bekräftigung, Erhöhung des Altvertrauten. In diesem Sinn ist die Baseler Gerhard Richter-Schau ein Hochamt der Kunst, wie es sie sonst wohl nicht mehr oft zu feiern gibt mit lebenden Künstlern.
Das Hochamtliche seiner Ausstellungen schien freilich schon nach Richters Retrospektiven zum 80. Geburtstag in Berlin, London und Paris kaum noch zu steigern. Doch durch Beteiligung von Hans Ulrich Obrist, der bei dieser Gelegenheit größter Kurator der Schweiz seit Harald Szeemann gleich mit Heiliggesprochen wird, wird die Wucht der hagiografischen Inszenierung tatsächlich noch einmal gesteigert.
Diese Ausstellung beruhte nämlich nicht auf Pflichtterminen, die Gerhard Richter in Zukunft nicht mehr wahrnehmen will, sondern, wie er sagte, auf reiner Verführung, steht Obrist doch für eine Generation der Vierzigjährigen, die Richters Werk vielleicht nicht mehr mit der selben Faszination gegenüber steht wie die der konservativ gewordenen Alt-68er.
"Wir haben lange diskutiert und auch mit Gerhard Richter gesprochen, was denn nach einer Retrospektive, die ja stattfand in Paris, London und auch in Berlin als nächste Ausstellung Sinn machen könnte, und aus diesem Dialog ist dann die Idee entstanden, auch die Serien, die Zyklen und auch die Räume zu fokussieren."
...sagt Hans Ulrich Obrist, wohl wissend, dass es auch für ihn, der Richter bereits als 18-jähriger Gymnasiast im Atelier besuchte und seither den Kontakt mit ihm gehalten hat, schwer werden würde, noch wirklich Neues an diesem in allen Facetten bereits öffentlich ausgeleuchteten Werk zutage zu fördern.
Ungeliebten Teil des Frühwerkes elegant eingebaut
Eine Sensation wäre es gewesen, Richters Wandmalereien der fünfziger Jahre aus dem Dresdner Hygienemuseum freizulegen und zu zeigen, aber das ist mit dem Künstler bekanntlich nicht zu machen. Allerdings baut Obrist diesen ungeliebten Teil des Richterschen Frühwerks doch einigermaßen elegant und zumindest indirekt in seine Ausstellungskonzeption ein, indem er darauf verweist, dass Richter immer wieder schon Werke für bestimmte Räume und Orte geschaffen habe, angefangen bei eben jenen Dresdner Wandmalereien im Stil des Sozialistischen Realismus.
"Das ist ein Thema, das seit den sechziger Jahren eine Rolle spielt, wo nebst dem Einzelwerk bei Richter stets auch Serien und Sequenzen entstehen, das gilt für die frühesten, fotorealistischen Gemälde ebenso wie für die abstrakten Bilder, die Arbeiten mit Spiegeln und Glas, wie auch die jüngst entstandenen digitalen Arbeiten, die hier zu sehen sind. Richter hat sich von Anfang an auch für die Präsentation der Kunst im Verhältnis zur Architektur interessiert und mehrfach Werke für bestimmte Orte geschaffen."
Richter nimmt diesen zarten Hinweis auf sein künstlerischen Vorleben gelassen auf, vielleicht, wie Obrist anmerkt, weil man hier ein paar Meter jenseits der deutschen Grenze ist, vielleicht auch, weil Obrist es überzeugend in ein zeitgenössisches Kunstinteresse an raumbezogener Malerei einbindet, das auch Richters Frühwerk gleichsam als genau solche betrachten ließe.
Die Ausstellung selbst freilich führt natürlich mit Richters westdeutscher Produktion an dieses Thema heran, gruppiert Bilderserien zu Räumen, die durchaus geschlossene Gesamtkonzeptionen abgeben könnten und damit auch ein Raumdenken bei Richter, das sich in seiner Kohärenz von der Unschärfe und Schründigkeit seiner Malflächen deutlich abhebt, um nicht zu sagen: Im deutlich entgegengesetzt ist, den Betrachter umfängt, einhaust, gefangen nimmt.
"So beruhen manche Gruppen, die hier in der Ausstellung sind, die 'Acht Lernschwestern' aus dem Jahre '66, oder der '88 entstandene Zyklus „Oktober 77" auf einer inhaltlichen Zusammengehörigkeit des Sujets, andere Zyklen hingegen wie die 'Verkündigung nach Tizian' aus 1973 oder 'S. mit Kind' aus 95 haben mehr mit verschiedenen Fassungen von einem Motiv zu tun, vielleicht das Verhältnis von Thema und Variation. Dann gibt es die Ensembles der abstrakten Bilder, die wiederum einen erweiterten Bildraum schaffen, in dem sich das einzelne Gemälde und der Gesamteindruck stets wechselseitig aufeinander beziehen."
Eine Ausstellung, die zu Interpretationen anregt
Allseits wird die großartige Zusammenarbeit der beiden gelobt, auch Richter, in seiner spröden Art, lobt den Kurator, der mehr von Kunst verstehe als die schnöden Kunstprofis. Dennoch scheint es bei Richter durchaus eine gewisse Beunruhigung gegeben zu haben angesichts der Radikalität, die unter Obrists Hängung plötzlich nicht mehr Museumssäle und individuelle Malereien, sondern Orte mit Gesamtkompositionen entstehen ließ mit einer ganz eigenen programmatischen Dynamik. Da muss Richter sich gefordert gefühlt haben, einzugreifen:
"Die Idee war wirklich, die Räume hier alle zu zeigen wie Ausstellungen in der Ausstellung. Und auf einmal sagte Gerhard Richter, es wäre wichtig, dass wir das aufbrechen, singuläre Einzelwerke in die Ausstellung reinsetzen. Seine Einzelwerke, die oft ikonischen Status erlangt haben: 'Eisberg im Nebel', 'Betty', die 'Kleine Badende', 'Die Lesende', oder auch 'Ella' - alle diese Bilder werden sie hier finden als Teil dieser Räume kontrapunktisch eingesetzt."
So wohnen den Gesamtkonzepten und Serien, nun noch einige Einzelbilder-Highlights bei, farblich fein abgestimmt, in der Regel figürlich, so als wolle Richter das individuelle Einzelbild vor dem Kolletivismus der Serie retten und den Anklängen an das summarische Ganze unterbinden, das in irgendeiner Weise auch auf sein Frühwerk bezogen werden könnte.
Das sind natürlich Interpretationen. Aber diese Ausstellung regt zu Interpretationen an und ist dadurch die interessanteste Richter-Schau seit langem geworden.