Ausstellung "Night and Fog"

Der begehbare Klangkörper von Susan Philipsz

Die Künstlerin Susan Philipsz
Die Künstlerin Susan Philipsz bringt das Kunsthaus Bregenz mit "Night and Fog" zum Vibrieren. © picture alliance / dpa / Foto: Paul Zinken
Von Astrid Mayerle · 29.01.2016
Als die schottische Künstlerin Susan Philipsz 2010 den Turner Prize bekam, sagten Kritiker: Sie arbeite "nur" mit Musik und Klang. Dass sie mit "Klang" ein ganzes Museum zum Vibrieren bringen kann, beweist sie jetzt im Kunsthaus Bregenz mit ihrer Schau "Night and Fog".
Eine fragmentierte Melodie dringt aus einer Ecke des Raums ins Zentrum, ein vereinzelter Ton mischt sich aus der Gegenrichtung darunter. Das Hallcluster erzeugt ein Klangfeld und über das offene Treppenhaus wird die gesamte Architektur mit Klängen geflutet – das Kunsthaus Bregenz als ein einziger begehbarer Resonanzkörper. Die schottische Künstlerin Susanz Philipsz hat ihn geschaffen:
"Ich zerlege die Komposition. Jeder Ton wird einzeln aufgenommen. Das verstärkt den Eindruck, dass der Klang von einem Instrument und dem Atmen der Musiker kommt. Dadurch entsteht eine sehr intime Erfahrung für den Zuhörer. Nahe an einem Lautsprecher, kann man das Atmen der Klarinettistin hören."
Hanns Eislers Filmmusik zu "Nacht und Nebel" als Vorlage
Susan Philipsz hat als Vorlage für ihre Klangskulptur Hanns Eislers Filmmusik zu "Nacht und Nebel" verwendet, – die erste Dokumentarcollage aus der Nachkriegszeit, die auf historischem Material beruht. Sie zeigt die schrecklichen Ereignisse im KZ Auschwitz-Birkenau. Im Erdgeschoß des Kunsthauses läuft der 30-minütige Film des französischen Regisseurs Alain Resnais.
"Ein Konzentrationslager, das wird gebaut wie ein Stadion oder ein großes Hotel. Dazu gehören Unternehmer, Kostenanschläge, Konkurrenz, sicher auch Bestechungsgelder. Kein vorgeschriebener Baustil: Alpenhüttenstil, Garagenstil, Pagodenstil ohne Stil."
Auch die großformatigen Digital- und Siebdrucke im Kunsthaus Bregenz beziehen sich entweder unmittelbar auf den Zweiten Weltkrieg oder auf den jüdischen Filmkomponisten Hanns Eisler. Dadurch entsteht ein dichtes Beziehungsgeflecht an Themen, die um Zerstörung, Auslöschung, Spionage und Zensur kreisen. – Themen, die auch in der Biografie Hanns Eislers eine wichtige Rolle spielten. Nach seiner Emigration in die USA wurde er vom FBI observiert. Man verdächtigte ihn so genannter "unamerikanischer Umtriebe". Susan Philipsz blendet die zum Teil geschwärzten Mitschriften des FBI über Eislers Notenblätter und Partituren. Thomas Trummer, Leiter des Kunsthauses:
"Da steht unter anderem ein Liste, mit wem er sich getroffen hat, und da steht Theodor Adorno, Fritz Lang, Arnold Schönberg und dergleichen mehr. Lauter, lauter berühmte Namen und man denkt sich: Ok, was machen diese Geheimdienstmitarbeiter mit dieser Information? Das ist quasi das Who is Who der Emigranten und natürlich der Kultur Europas oder der deutschsprachigen Kultur in der Emigration. Charlie Chaplin ist darunter und man denkt sich, was haben diese Menschen gemacht, dass sie unter staatliche Beobachtung kommen?"
Susan Philipsz findet verschiedene Bilder für staatliche Gewalt
Für die Übergriffe staatlicher Gewalt findet Susan Philipsz verschiedene Bilder: In einer Fotoserie zeigt sie Nahaufnahmen von Blasinstrumenten, die im Zweiten Weltkrieg beschädigt wurden:
"Als ich sah, wie schrecklich demoliert sie waren, stellte ich mir vor, welche Art von Klang sie vielleicht noch erzeugen könnten. Vielleicht könnten sie Geräusche von sich geben, als würde man ihnen wieder Leben einhauchen. Daraufhin fragte ich viele deutsche Museen an, ob sie solche Instrumente hätten."
Und nicht nur das: Susan Philipsz engagierte Musiker, die diesen Flügelhörnern und Trompeten ganz neue Töne entlockten. Schade, das würde man in der Ausstellung auch gerne hören. Eine kleine schmerzliche Lücke innerhalb der sehr straff konzipierten Schau. Denn Susan Philipsz macht die Figur Hanns Eislers zum Kern ihres Konzepts, das Gedankenfäden spinnt zu einer Klang und Bild gewordenen Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Wer erwartet, in Bregenz auf ein breites Spektrum von Susan Philipsz Arbeiten zu stoßen, wird vielleicht enttäuscht sein. Wer sich allerdings auf die begehbare Klangskulptur einlässt, ihren Veränderungen langsam über Stufen des steilen Treppenhauses hinweg folgt, wird sich in einem riesigen Resonanzkörper wiederinfinden und fasziniert sein von den überraschenden Klangquellen, den akustischen Closeups und den allmählich verebbenden Überlagerungen.
Mehr zum Thema