Ausstellung "Invisible Inventories" in Köln

Ein Bewusstsein für Kenias verlorene Kulturgüter schaffen

05:47 Minuten
Eingangshalle der Ausstellung "Invisible Inventories" in Köln
Schäden des Kolonialismus: In der Ausstellung "Invisible Inventories" in Köln werden auch diese gezeigt. © Rautenstrauch-Joest-Museum
Von Vladimir Balzer · 26.05.2021
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In der Kolonialzeit wurden Tausende kenianischer Kunstgegenstände außer Landes gebracht und an Museen und Privatsammler verkauft. Die Ausstellung "Invisible Inventories" zeigt, wie sich die Abwesenheit der Objekte in Kenia auswirkt.
Eine Konstellation von Künstlerkollektiven und Museen aus Kenia, Frankreich und Deutschland versucht gemeinsam, afrikanische Perspektiven auf Restitution zu verbreiten, die im internationalen Diskurs selten vertreten sind. So ist eine Zusammenarbeit des kenianischen Nationalmuseums in Nairobi, des Weltkulturen Museums in Frankfurt am Main sowie der Künstlerkollektive "The Nest" und "SHIFT" und dem Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln entstanden, wo ab Freitag die Ausstellung "Invisible Inventories" eröffnet.
Vitrinen mit Artefakten aus Kenia inder Ausstellung "Invisible Inventories" in Köln
Vitrinen mit Artefakten aus Kenia inder Ausstellung "Invisible Inventories" in Köln© Rautenstrauch-Joest-Museum
"Invisible Inventories" versammelt die Ergebnisse der gemeinsamen, zweijährigen wissenschaftlich-künstlerischen Forschung zur Abwesenheit und dem Vermissen historischer kultureller kenianischer Objekte, die sich außerhalb Kenias befinden. Als wichtigstes Werkzeug ist aus der Zusammenarbeit eine Datenbank entstanden, die mehr als 32.000 historische kulturelle kenianische Objekte aus dreißig Institutionen weltweit beinhaltet.

Kunstobjekte stiften Identität

Für westliche Besucher ist es vielleicht nur eine Trommel. Für das Volk der Pokomo aus dem Südwesten Kenias ist es ein gesetzgebendes Instrument.

Die Ngadji wurde geschlagen, wenn neue Regeln erlassen wurden. Vor 120 Jahren wurde diese identitätsstiftende Trommel von den britischen Kolonialherren geraubt und verschwand seitdem im Depot des British Museum. Sie wurde nie wieder geschlagen, es gibt auch keine Tonaufnahmen von ihr. Es heißt, sie sei lauter gewesen als ein brüllender Löwe und man habe sie über mehrere Dörfer hinweghören können.

Eine Trommel als Stimme Gottes

Jim Chuchu vom kenianischen Künstlerkollektiv The Nest erinnert an diese Trommel, auch wenn sie im Moment niemand sehen kann. Er hat sie in die jetzt öffentliche Datenbank mit 32.000 kenianischen Kulturgütern aufgenommen. Die Trommel war die Stimme Gottes, erzählt der Künstler: "Stellen sie sich also vor, was es bedeutet, wenn sie weggenommen wird. Nun gut, dann sagen viele: 'Baut doch eine neue Trommel.' Über die Mona Lisa sagt das niemand: 'Mal doch noch eine'."
Jim Chuchu sitzt in Nairobi vor seinem Zoom-Bildschirm, hält kurz inne. Wenn Menschen fragen, wie wirkte der Kolonialismus, dann erwähnt er diese Trommel. "Wenn du einem Volk das Recht und die Gesetze nimmst, dann fällt es auseinander."
Die Jüngeren der heutigen Pokomo fragen, wo denn der Gott ihres Volkes war, als die Kolonialisten die Trommel raubten. Warum hat er sein Volk nicht beschützt? Die Ältesten der Pokomo hoffen auf eine Rückgabe der Trommel durch die Briten, aber der kenianische Staat lässt sie im Stich, sagt Jim Chuchu.

Sind in Kenia Kulturgüter unwichtig?

Keine der wichtigen internationalen Vereinbarungen zum Kulturgutschutz hat das Land unterzeichnet. Für seine Kulturgüter scheint es also wenig zu tun zu geben. Doch auch die britische Seite zeigt wenig Interesse an Rückgaben. Und so beobachtet Jim Chuchu, wie sich Deutschland beeindruckend schnell seiner Kolonialgeschichte stellt, während er für Großbritannien wenig Hoffnung hat: Gerade nach dem Brexit hat Jim Chuchu einen neuen Isolationismus ausgemacht.

Beiträge zur Aufarbeitung kommen von der Künstlerin J.C. Niala, die zur Zeit Kuratorin am Londoner Horniman Museum ist, das auf einen Teehändler zurückgeht und tausende kenianische Artefakte beherbergt.

Kunstschätze online entdecken

Viele aus den kenianischen Communities wissen gar nicht, was westliche Museen haben. Daher hat JC Niala sofort bei dieser neuen Datenbank mitgemacht, die jetzt freigeschaltet wurde. Entscheidend ist für sie dabei die Zugänglichkeit.
"Ohne die Betroffenen kann es keine Digitalisierung geben, der Vorgang muss raus aus den Museen, es muss eine Zusammenarbeit mit den Communities vor Ort geben."

Digitale Datenbanken ohne Museen

JC Niala fordert die Vertreter der Herkunftgsesellschaften auf, aktiv auf die westlichen Ausstellungshäuser zuzugehen, nach Objekten zu fragen, den Dialog zu forcieren. Dazu müsse man nicht reisen. WhatsApp geht auch, mit kleinen Videos kann man mobile Datenbanken aufbauen, dazu braucht es kein Museum, sagt sie.
Dabei könnten die westlichen Kuratoren nur lernen. Etwa Objekte genauer zu beschreiben. Das Labeling habe sich seit der Kolonialzeit nur wenig geändert, das wird auch Thema der Kölner Ausstellung sein, die an veraltete Hinweisschilder erinnert, die von einem herablassenden und exotisierenden Blick erzählen, etwa mit Begriffen wie "Häuptling".

Bewusstsein für die eigene Geschichte schaffen

Mzee Tiberious Otieno gehört dem Volk der Luo an. Auch er sitzt vor seinem Zoom-Bildschirm im Westen Kenias und setzt Hoffnungen auf diesen neuen Blick. Die Vorfahren sind immer bei ihm, sagt er. Sie wären verärgert, wenn sie erfahren müssten, dass er sich nicht darum sorge, dass sie die Objekte ihres Volkes sehen können. Es ist ein Zurückholen der eigenen Geschichte. Es ist ein Anfang.
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