Ausstellung in Hamburg

Der Siegeszug der Jogginghose

Eine Frau in Jogginghose steht auf einer Rolltreppe.
Eine Frau in Jogginghose steht auf einer Rolltreppe. © picture alliance / dpa / Ole Spata
Von Annette Schneider · 06.09.2016
Lange Zeit war die Jogginghose ausschließlich dem Sport vorbehalten. Doch seit Schauspieler sie auch in Restaurants und auf dem roten Teppich tragen ist für sie kein Ort mehr tabu. Und sie hat subversives Potenzial.
Ich liebe sie! Auch wenn Frauen bereits vor hundert Jahren das Korsett verbrannten und damit ihren Körper von allen Einschnürungen befreiten - erst sie ist das Kleidungsstück, das diese Befreiung aufs Schönste spiegelt, und dass sich jetzt endlich vollends durchsetzt!
Angelika Riley vom Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg:
"Auf Dauer sind solche Kleidungsstücke natürlich einfach bequem. Das muss man ja auch sagen. Diese Kleidung aus diesen elastischen, dehnbaren, weichen, nachgiebigen Materialien ist unendlich bequem."
Die Modeexpertin trifft ins Schwarze: Wo eine Jeans kneift und drückt schmiegt sie sich auch nach einem ausgiebigen Abendessen noch immer weich an den Körper, lässt Bauch und Oberschenkeln ausreichend Platz. Mehr noch: Je länger man sie trägt, desto mehr Platz verschafft sie einem. Dank modernster Materialien ist die Jogginghose ein wahres Wunderwerk!
Man mag sich das gar nicht vorstellen: Als die Jogginghose in den 1920er-Jahren erfunden wurde, war sie ausschließlich Sportlern für den Sport vorbehalten! Jane Fonda gelang es Anfang der 80er-Jahre immerhin, sie mithilfe ihrer TV-Fitness-Programme in die heimischen Wohnzimmer zu katapultieren. Doch erst gut 30 Jahre später - seitdem Schauspieler und Möchtegern-Sternchen sie sogar in Restaurants und auf dem roten Teppich tragen -, ist für sie kein Ort mehr tabu.

Subversives Potenzial

"Eine These ist natürlich, dass der moderne Mensch - je weniger körperliche Bewegung er wirklich ausführen muss, desto geneigter ist, sich den Sport sozusagen anzuziehen."
Da die legere Form der Hose ein für allemal festgelegt ist, verpassen ihr Modeketten- und Haute-Couture-Designer immer neue Farben und Muster: Für Chanel kreierte Karl Lagerfeld sie in Pink und mit Löchern. Es gibt sie lila-getigert, gelb-grün-gestreift, neutral schwarz - alles ist möglich.
Doch ob man für ein Modell von Ryan Roche 1490 Euro hinlegt oder für das von Stella McCartney 1101 Euro - weder im Schnitt noch in den Materialien unterscheiden sie sich wesentlich von denen für 20 Euro aus der Sportecke von H&M! Genau hier offenbart sich das subversive Potential der Jogginghose: Sie steht für Freiheit und Gleichheit! Und sie ist bei immer mehr Menschen beliebt, weil die, so Angelika Riley:
"Die Sportlichkeit - die ja assoziiert ist mit Jugend, mit Fitness, mit Schönheit - damit demonstrieren wollen. Ob das nun zutrifft oder nicht. Und das kann ja auch ganz schnell umschlagen. Der Jogginganzug braucht ja, um dann wirklich gut auszusehen, eine gute Figur."

"Windelhintern" befreit für Jahre vom Shoppen

Lange galt es als Affront gegen den "guten Geschmack", sie in der Öffentlichkeit zu tragen - weshalb Subkulturen wie die Hip-Hopper damit gezielt provozierten: Aus Solidarität mit schwarzen Gefängnisinsassen trug die junge schwarze Band "Run DMC" bei ihren Konzerten Jogginghosen und Sportschuhe ohne Schnürsenkel. Die Fans waren begeistert. Und es geschah, was mit Jugendbewegungen so oft geschieht:
"Dass das zunächst erst von der Jugend nachgemacht wird, und dann auch relativ schnell von den Modeherstellern aufgegriffen wird - bis es dann heute tatsächlich in der Designer-Mode und der Haute-Couture angekommen ist."
Während einige engstirnige Zeitgenossen die Jogginghose weiterhin als schlabberig und prollig missverstehen, spiegelt ihr Siegeszug noch auf andere Weise ihr subversives Potential: Wo eine milliardenschwere Modeindustrie uns einhämmert, wir müssten jährlich mindestens vier mal neue Hosen kaufen, um dazu zu gehören, reicht eine Jogginghose völlig, da sie ja mittlerweile zu allen Gelegenheiten passt.
Vor allem aber: Sie passt unter allen Umständen! Sie wächst beim Tragen nicht nur mit einem mit - sondern uns auch voraus. Einige bezeichnen das abschätzig als "Windelhintern" und übersehen dabei völlig, dass uns der Besitz dieses einen Teils über Jahre hinweg vom Shoppen befreit! Wenn das alle begreifen würden, hätte sich die Modeindustrie mit der Jogginghose ihr eigenes Grab genäht!

Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg zeigt die Ausstellung "Sports / No Sports" noch bis 20. August 2017.

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