Ausstellung in Görlitz

Markus Draper reflektiert Psychologie der DDR-Gesellschaft

Der Künstler Markus Draper neben Plattenbau-Modellen: In Görlitz ist bis zum 31. Januar 2016 seine Ausstellung "Inge zu Fuß zur Arbeit" zu sehen, eine Reflexion des Künstlers über Alltag in der DDR in den 1980er Jahren.
Der Künstler Markus Draper neben Plattenbau-Modellen: In Görlitz ist bis zum 31. Januar 2016 seine Ausstellung "Inge zu Fuß zur Arbeit" zu sehen, eine Reflexion des Künstlers über Alltag in der DDR in den 1980er Jahren. © picture alliance / dpa
Von Jochen Stöckmann · 05.10.2015
Der Künstler Markus Draper wurde 1969 in Görlitz geboren, sein Vater gehörte als Stadtarchitekt zum Bildungsbürgertum. Zwangsläufig musste er sich in der DDR mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen arrangieren. Der Sohn beleuchtet nun die psychologischen Folgen mit einer Installation.
Mit ohrenbetäubendem Getöse fallen Trümmersteine aus einem sogenannten "Backenbrecher". Über ein Rüttelsieb tanzen auf drei Video-Leinwänden graue Beton-Brocken, aber wie Farbtupfer aus einem Miro-Mosaik auch kleine Ziegelstückchen.

Markus Draper: "Also, sie unterscheiden zwischen Beton und Ziegel. Das Endprodukt ist halt Schüttgut in verschiedenen Körnungen für Straßenbau und so etwas."

Um zu zeigen, wie ganze Häuser, die Bausubstanz der Städte verwertet wird, hat Markus Draper, Meisterschüler des Dresdner Malers Ralf Kerbach, zur Kamera gegriffen:

"Die Stadt wird da draußen zermahlen, und das hört nie auf. Das ist ein ganz einträgliches Geschäft, völlig krisenfrei. Es gibt immer was zu zermahlen. Wahnsinniger Lärm, irrsinniger Staub. Und die mahlen tagein, tagaus."

Seelisch zermahlen wurde Drapers Vater – bis in die achtziger Jahre der Stadtarchitekt von Görlitz: Er fand sich in seinem Berufsleben zwischen zwei Mühlsteinen. Auf der einen Seite war da der Wunsch nach Erhalt einer im Zweiten Weltkrieg weitgehend unversehrt gebliebenen Altstadt. Auf der anderen Seite fehlte es dafür an Baumaterial, weil die DDR-Führung alle Ressourcen für die Errichtung von Plattenbauten vorgesehen hatte.

"Die alten historischen Gebäude, die waren eher die Wohnstätte der Bürgerlichen. Plattenbauten haben natürlich eine ganz andere Ideologie verkörpert: der Akademiker, der Bürgerliche, hat mit dem Schichtarbeiter im Haus gewohnt."
Wohnblöcke, in denen die Aussteiger der RAF untergebracht wurden

Diese kollektive "Formatierung" des DDR-Alltags reichte tief, das macht ein Tagebuch in Tabellenform deutlich. Vom 1. Januar 1980 an füllte der Stadtarchitekt Spalten aus wie "Beruf", "Gesundheit", "Familie" oder "Besuche". Neben privaten Alltags-Begebenheiten wie "Inge zu Fuß zur Arbeit" ist der eigene Herzinfarkt eingetragen, schließlich auch der Mauerfall. Beim Übertragen der Tagebuch-Tabellen in zehn großformatige Gemälde hat Draper die Schrift zu Hieroglyphen verfremdet, die monotone Auflistung der Tabelle wird dadurch umso mehr betont. Und eben dieses abstrakte Raster findet seine formale Entsprechung in elf Skulpturen, anthrazitfarbenen Zinkgüssen von – Plattenbauten. Keine beliebigen Wohnblöcke, sondern ganz konkrete Adressen: Wohnungen, in denen zu DDR-Zeiten die Aussteiger der westdeutschen Rote Armee Fraktion, der RAF mit Hilfe der Stasi untertauchten. Zeitschriftenartikel aus dem "Spiegel" verweisen darauf, allerdings musste Draper die Namen schwärzen. Doch die nunmehr anonymisierten, nicht mehr auf die Einzelperson fixierten Spiegel-Texte lasen sich dadurch ganz anders:

"Es hat für mich etwas von Propaganda, plötzlich. Es gibt so einen typischen Jargon, wo im Prinzip zwei Sachen ins Negative gedrückt werden sollen, einerseits die RAF als solche – und dann natürlich auch der Plattenbau."

Draper nutzt nun das West-Klischee – den RAF-Terroristen –, um das Ost-Klischee – die Platte – in ein anderes Licht zu setzen. Die bundesdeutsche "Rasterfahndung" etwa beruhte darauf, dass die RAF Wohnblöcke bevorzugte, mit Autobahnanschluss für eine schnelle Flucht und vor allem anonym, ohne neugierige Nachbarn. Äußerlich glichen diese Wohnmaschinen West der DDR-Platte, aber sie sollten eben keine, wenn auch staatlich verordnete Gemeinschaft stiften. Diesem sozialistischen Kollektiv stellt Draper in seinem vierteiligen Zyklus dann wiederum Uwe Tellkamps DDR-Roman "Der Turm" gegenüber, verfilmt in der heruntergekommenen Altstadt von Görlitz, weil an den Originalschauplätzen in Dresden nach der Sanierung nichts mehr dem Stadtbild vor der Wende glich.
"Dilemma des DDR-Kulturbürgertums kam mir sehr bekannt vor"

"Einerseits fühlte ich mich da mit meiner Familiengeschichte gespiegelt, wenn auch bei weitem nicht so glamourös: Wir haben nicht am Weißen Hirsch gewohnt mit Hausmusik und so. Aber dieses Dilemma des DDR-Kulturbürgertums kam mir doch sehr bekannt vor. Ich sehe also Görlitzer Straßen, ich sehe meine eigene Geschichte gespiegelt – und denke: mein Gott, das packt mich aber."

Um sich selbst über diese Emotionen klar zu werden, hat Draper das Foto-Material – tausende Aufnahmen vom Filmset – beim Malen heruntergekühlt, reduziert auf Bilder ganz ohne Personen. Stattdessen ragen Mikrofon oder Scheinwerfer in die Interieurs.

"Ich glaube, wer da auf dem Set steht, das ist die Geschichte als solche. An der wir beteiligt sind mit unseren Erinnerungen. Und wir können das dann abgleichen, oder wir nehmen das an - oder wir können es vergessen."

Diese "Produktion von Geschichte" ist Drapers Thema – das er schließlich auch mit einer Installation des "Gefühlsstau" variiert: Mehrere gebrauchte Ausgaben der 1990 erschienen Mentalitäts- und Psycho-Analyse der DDR sind auf einer Wand collagiert, mit ganz unterschiedlichen Anmerkungen, Unterstreichungen, Markierungen. Denn nicht nur Bilder, auch Bücher entstehen im Auge des Betrachters, des Lesers – der dank Drapers Kunst zum Spurensucher, zum Archäologen seiner eigenen Geschichte wird.
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