Ausstellung in Berlin

Was kann gezeichneter Journalismus?

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Coverbild von Sarah Gliddens Reportageband "Im Schatten des Krieges" (2016)
In Comics kann man den Rechercheprozess und die Rolle des Journalisten transparent machen, wie Sarah Glidden (r.) es im Reportageband "Im Schatten des Krieges" tut © Sarah Glidden
Von Jule Hoffmann · 24.05.2019
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Journalismus geht nicht nur geschrieben oder gesendet, sondern auch gezeichnet. Immer mehr Autoren machen sich die Stärken des Comic-Erzählens journalistisch nutzbar. Eine Ausstellung in Berlin zeigt jüngste Beispiele.
Wer den Ausstellungsraum betritt, dem fällt als erstes ein großformatiges Werk der russischen Zeichnerin Victoria Lomasko ins Auge. Darauf zu sehen sind im Profil und wie aus nächster Nähe Demonstrierende mit Skimasken; sie tragen Regenbogenflaggen und Plakate, auf denen Slogans stehen wie "Freiheit für Pussy Riot".
Als Betrachterin ist man mittendrin, die Perspektive erinnert an die eines Fotografen, der für die Berichterstattung bei einer Demo mitläuft. Tatsächlich hat Lomasko die Zeichnungen direkt vor Ort angefertigt, sagt Kuratorin Lilian Pithan.
"Und das ist ihr auch wichtig, dass das irgendwie im Eifer des Gefechts alles entstanden ist, weil sie als Chronistin der Gegenwart nicht noch mal so einen Filter dazwischen legen möchte, da ist sie sehr besonders auch in ihrem Ansatz."

Was man nicht filmen kann, kann man zeichnen

Victoria Lomasko wurde mit ihren grafischen Gerichtsreportagen bekannt, unter anderem vom Prozess gegen die Punkrockband Pussy Riot 2012. Im selben Jahr begleitete sie die Proteste nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen und interviewte und zeichnete die Leute auf der Straße.
"Und sie hat auch wirklich eine starke Überzeugung als Journalistin. Wir haben auch ein Zitat hier oben hängen, sie sagt so, ein großes Interesse und eine Neugier für die Welt sind unabdinglich, ebenso wie eine klare gesellschaftspolitische Haltung und die Bereitschaft, die volle Verantwortung für seine Aussagen zu übernehmen."
Bild aus Eleri Harris' Comicreportage "Reported Missing" (2018)
In "Reported Missing" rekonstruiert Eleri Harris einen Mordprozess aus der Sicht der Tochter der Angeklagten, einer Schulfreundin© Eleri Harris
Schräg gegenüber hängen Skizzen des Berliner Illustrators Bo Soremsky, der 2015 für Arte nach Madagaskar reiste, um für eine Videoreportage über die Arbeitsumstände in den dortigen Saphirminen Zeichnungen anzufertigen.
"Zum Beispiel Szenen, die man nicht filmen konnte, weil es zu gefährlich war, oder weil es Erinnerungen waren oder historische Szenen, wo es einfach kein Material gab. Und das sind die Skizzen, die er da vor Ort gemacht hat und aus denen er später dann die animierten Sequenzen für diese Reportage generiert hat."

Gezeichnetes gilt als weniger echt. Warum eigentlich?

Die beiden Kuratorinnen Lilian Pithan und Nathalie Frank haben journalistische Comics der letzten fünf Jahre zusammengetragen, aus Frankreich und den USA, Indien, Libanon, Syrien, Australien. Wichtigstes Kriterium bei der Auswahl der Werke war, dass die Fakten stimmen, sagt Nathalie Frank. Genau das wird dem Comicjournalismus aber oft abgesprochen. Nathalie Frank:
"Ich finde es interessant in der Rezeption, dass die Fernsehbeiträge, die man macht, immer als Realität wahrgenommen werden, obwohl ich selber weiß, wie sehr ich schneide und wie sehr ich auswähle, was ich da zeige. Natürlich mit dem Versuch der Objektivität oder mit dem Versuch, gerechtfertigt das Thema anzugehen. Aber es ist immer noch meine Idee von dem Thema."
Die Auswahl der Bilder, die Perspektive, das Weglassen – Zeichner und Fotografen müssen sehr ähnliche Entscheidungen treffen.
"Einer der Aspekte, was Zeichnung oder was Comic kann, ist die Perspektive des Journalisten, des Beobachters sehr klar zu machen. Und dadurch, dass sie sich selber zeichnen, als der Journalist, die Journalistin vor Ort, zeigen sie auch, dass keine Perspektive neutral ist."

Gezeichneter Journalismus ist Slow Journalism

Comic-Journalisten wie Joe Sacco und Guy Delisle etwa thematisieren die eigene Perspektive, indem sie sich selbst in den Comic hineinzeichnen und so den Arbeitsprozess miterzählen und reflektieren. Gezeichneter Journalismus bietet Vorteile: Grafische Elemente können schnell und eindrücklich komplexe Zusammenhänge klar machen. Außerdem sind Zeichner von Comicreportagen nicht wie Fotografen auf den entscheidenden Moment angewiesen.
Bild aus Oliver Kuglers Comicreportage "Calais"
Bild aus Oliver Kuglers Reportage über den "Dschungel" von Calais© Oliver Kugler
Die Ausstellung stellt keine kritischen Fragen wie der nach einer möglicherweise problematischen Ästhetisierung bestimmter Inhalte oder der Manipulation der Leser durch Emotionalisierung. Das ist schade, weil diese Fragen ins Schwarze der Debatte treffen würden, und eine Auseinandersetzung mit ihnen unverzichtbar scheint für eine breitere Akzeptanz von Comicjournalismus. Aber die Popularität von Comicreportagen steigt, auch im Anschluss an den sogenannten Slow Journalism, glaubt Nathalie Frank:
"Aus Frankreich gibt es genug Beispiele, die genau diese langsamere durchrecherchiertere Form des Journalismus fördern, und die arbeiten auch viel mit Illustration und mit Comic, also das kann man auch als eine Chance sehen in Zeiten, wo sehr schnell Informationen verfasst werden und im Internet gepostet - dass eine andere Art des Journalismus weiterhin ermöglicht."

Die Ausstellung "Zeich(n)en der Zeit. Comic-Journalismus weltweit" ist bis 25. August 2019 im Museum für Kommunikation Berlin zu sehen.

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