Ausstellung im Londoner V&A

Autofetisch und Apokalypse

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Dieses Foto von Nathanael Turner zeigt einen Lowrider, also ein Auto, das sich dank extra eingebauter Hydrauliksysteme hüpfend fortbewegen kann.
Dieses Foto von Nathanael Turner zeigt einen Lowrider, also ein Auto, das sich dank extra eingebauter Hydrauliksysteme hüpfend fortbewegen kann. © Victoria & Albert Museum / Nathanael Turner
Von Robert Rotifer · 24.11.2019
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Das Auto als Beschleuniger der modernen Welt, aber auch als Zerstörer von Lebensräumen und als Teil der Kulturgeschichte: Das Londoner Victoria & Albert Museum widmet dem Automobil eine Ausstellung, die den Bogen von Design bis zum Klimawandel spannt.
Ein Pressetermin im geräumigen Kellergeschoss des V&A, Schauplatz der Großausstellung zur kommenden Weihnachtssaison, wie Museumsdirektor Tristram Hunt nicht zu erwähnen vergisst: "I think this is the superb Christmas show for families to come to. Do you want me to say this again?"
Selten wurde hier offener um Besucher gebuhlt, die ansonsten kaum ihren Weg in Museen finden. 15 ausgesucht rare Vehikel stehen über diese themengerecht lärmige Ausstellung verteilt, vom Patent-Motorwagen Nummer 3 von Karl Benz bis zu einem Prototyp des fliegenden Elektroautos der Zukunft.
Dazwischen finden sich aber auch Störfaktoren wie Landkarten zur Veränderung der Machtverhältnisse auf der Welt durch den Wirtschaftsfaktor Auto, große Panoramen von der Ölgewinnung verwüsteter Landschaften, aber auch der Lithiumfelder von Chile, wo der Rohstoff für die Batterien der Elektroautos abgebaut wird.
Ein Foto des Patent-Motorwagen Nummer 3 von Karl Benz. Es ist ein überdimensioniertes Dreirad.
Der Patent-Motorwagen Nummer 3 von Karl Benz ist das älteste komplett erhaltene Automobil der Welt und das erste von Benz, das zum Verkauf angeboten wurde.© Image courtesy of Daimler
Der Glamour, das Freiheitsversprechen und die beginnende Klimakatastrophe, alles ist hier repräsentiert. Esme Hawes, eine wesentliche Mitarbeiterin der Ausstellung, erklärt die didaktische Absicht dahinter:
"Wir wollen die Leute erreichen, die immer noch eine Liebesaffäre zum Auto und dieses Funkeln in den Augen haben, aber auch ein wesentlich breiteres Publikum, das sich für seinen Einfluss auf die Industrie, die Geschwindigkeit unserer Welt, Rohstoffverbrauch, territoriale Ansprüche und Infrastruktur interessiert. Wir versuchen, das Narrativ zu öffnen: von der erotisierten Welt des Auto-Designs hin zu den Auswirkungen des Autos auf das 20. und 21. Jahrhundert."

Ästhetik des vom Auto verkörperten Freiheitsbegriffs

Wie von einer Ausstellung im V&A zu erwarten, geht es dabei nicht nur um Technik und Ökologie, sondern zumindest gleichrangig um Kulturgeschichte, insbesondere die Ästhetik des vom Auto verkörperten Freiheitsbegriffs.
Auch der in den Sechzigern von Brigitte Bardot besungene Ford Mustang ist hier ausgestellt als archetypisch maskulines "muscle car". Birgt nicht jede Ausstellung über Autos zwangsläufig die Gefahr, in toxischer Männlichkeit zu schwelgen?
"Ich habe versucht, das persönlich zu verhindern. Natürlich ist die Autoindustrie immer noch sehr männerdominiert und voller Geschlechterstereotype. Aber wir haben Geschichten von Frauen im Auto-Design und Auto-Subkulturen untergebracht. Es ist nicht so, dass es sie nicht gäbe, sie sind bloß oft nicht gut repräsentiert", sagt Esme Hawes.
Eine durchsichtige Kühlerfigur aus Glas, hier: ein nach vorne gestreckter Kopf mit einem Windschweif, der die Haare symbolisieren soll.
Eine von René Lalique entworfene Kühlerfigur anlässlich des zehnten Jahrestages des Waffenstillstands von Compiègne, mit dem der Erste Weltkrieg beendet wurde.© Victoria and Albert Museum, London
Das Problem an diesen positiven Aspekten der Ausstellung ist freilich die über allem hängende Drohung der menschengemachten Apokalypse, eine letztlich unausgesprochene Tragik, der sich Kurator Brendan Cormier zumindest bewusst ist:
"Manche Leute könnten hier wohl voll des Grauens hinausgehen angesichts der in den nächsten Jahren anstehenden Herausforderungen. Aber was man aus dieser Ausstellung lernen kann, ist, dass das Auto zur Zeit seiner Erfindung nicht unbedingt das hätte werden müssen, was es heute ist. Das lag an Industriellen, die das Geheimnis der Massenproduktion entschlüsselten, an Konsumenten, die sich in den Traum der Mobilität einkauften, und an Politikern, die in Infrastruktur investierten, die das Auto zu einem brauchbaren Fortbewegungsmittel machte.
Wir alle haben diese Erfindung durchgesetzt, und wenn wir an die Zukunft der Mobilität denken, müssen wir einfach wieder kollektiv zusammenkommen, eine starke Vorstellung davon entwickeln und sie durch unseren Willen zum Existieren bringen."

Öko-Teenager versus PS-Eltern

Allerdings wünscht sich wohl nicht jeder von der Zukunft jenes fliegende Elektroauto, das die Besucher aus der Ausstellung verabschiedet. Diese optimistische Note löst auch noch längst nicht das grundsätzliche moralische Dilemma, das Auto im Jahre 2019 zu zelebrieren.
Doch vielleicht wird diese Familienausstellung ja auch ganz anders aufgenommen, als der Museumsdirektor sich das vorstellt, und der mit Autokult bestückte Geschenke-Shop des V&A wird am Ende zum Schauplatz heißer Debatten zwischen vom Klima-Aktivismus aufgewühlten Teenagern und ihren immer noch vom Mythos Auto verzauberten Eltern.

Cars: Accelerating the Modern World
Victoria & Albert Museum, London
Noch bis zum 19. April 2020

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