Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin

Gehorsam vor Gott

Der Filmemacher und Künstler Peter Greenaway besucht seine eigene Ausstellung im Jüdischen Museum in Berlin.
Der Filmemacher und Künstler Peter Greenaway besucht seine eigene Ausstellung im Jüdischen Museum in Berlin. © picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini
Von Gerd Brendel · 24.05.2015
Ein herausfordernder Text trifft auf ein herausforderndes Künstlerpaar: Peter Greenaway und Saskia Boddeke befassen sich in der Installation namens "Gehorsam" mit der Geschichte vom Urvater Abraham, der bereit ist, auf Gottes Befehl seinen Sohn zu opfern.
Geheimnisvoll wie Schatzkammern schimmern die Ausstellungsräume. Die Musik aus den Lautsprechern klingt wie der Soundtrack zu einem besonders melancholischen Greenaway-Film. Aber kaum will man sich dem hypnotischen Klangteppich überlassen, wird man mit der Alltagswirklichkeit konfrontiert:
"Ich bin Isaak. Ich bin Ismael."
- sprechen Kinder und Jugendliche in Überlebensgröße auf die Wand projiziert. Im Vorfeld hatte das Künstlerpaar Berliner Teenager um einen "Selfie-Flimclip" gebeten...
"...in dem sie sich als Isaak oder Ismael vorstellen. Kinder, die es verdienen, in Sicherheit und ohne Kriege aufzuwachsen."
Abraham als sympathischer Typ
Für Saskia Boddeke und Peter Greenaway sind Isaak und sein Halbbruder Ismael die wichtigsten Figuren der Geschichte. Die wird in allen Räumen auf Bildschirmen als Tanzstück erzählt.
"Wir haben Abraham nicht als brutalen Kerl, sondern als sympathischen Typen dargestellt."
Ein junger Hipster mit Bart, der einem überall in Berlin über den Weg laufen könnte, genauso wie seine junge Familie. Der Engel, der im Text die Opferung im letzten Moment verhindert, wird von einer jungen Frau in weiß getanzt. Ganz in weiß strahlt auch der Raum, der dem Engel und seinem göttlichen Auftraggeber gewidmet ist. Ein Flügelpaar schwebt von der Decke. Fotos von gefalteten Händen hängen an den Wänden. Sie sind tätowiert und faltig. Wie hier stößt überall perfekte Inszenierung auf Realität und schafft Bilder, die einen nicht loslassen.
Jeweils ein Raum widmet sich der Rezeption in den drei großen monotheistischen Religionen. Akedat Yitzhak "Bindung Isaaks" – so lautet der jüdische Titel. Die Ausstellung zeigt Grabinschriften und Chroniken, die die Opfer antijüdischer Pogrome seit dem Mittelalter als Märtyrer in der Nachfolge Isaaks interpretieren. Der Gehorsam des Sohns gegenüber dem Vater betont der Koran. Hier ist es Ismael, der geopfert werden soll und anders als in der biblischen Vorlage weiß er genau, was mit ihm geschehen soll. "O Vater tu, was Dir befohlen ist", antwortet der Sohn dem Vater, als der ihm vom göttlichen Befehl erzählt.
Im Islam-Raum wird die Hadsch, die Pilgerfahrt nach Mekka erklärt. Rasierapparate und Pinsel erinnern an die rituelle Rasur der Pilger. Daneben liegen in Plastik eingeschweißte Reisesets mit Einmalrasierer, Sandalen und weißen Pilgergewändern. Die Pilger schlüpfen quasi in die Rolle Abrahams, um am Ende wie er einen Widder zu schlachten. Auch dem tierischen Ersatzopfer widmen Greenaway und Bodecke einen eigenen Raum: In einer Vitrine schwebt ein Schafsbock mit goldenen Hörner in Formalin - eine Leihgabe von Damien Hearst. Aber viel berührender ist die Projektion eines lebensgroßen Widders, der die Betrachter vor einer weißen Kachelwand anblickt und unruhig mit den Hufen scharrt. Weiß er, was gleich mit ihm geschehen wird?
"Wenn Sie diesen Raum gesehen haben, können Sie der ganzen Geschichte doch wirklich nichts Positives mehr abgewinnen!"
Gibt es heute mehr Böses in der Welt?
Dabei schüttelt Saskia Bodekke fast die Schulter ihres Gegenübers. Nein, alle Versuche von Theologen und Rabbiner, die Ungeheuerlichkeit des göttlichen Mordbefehls vom glücklichen Ende her zu interpretieren und Abraham als Vorbild für Zuversicht und Gottvertrauen, überzeugen sie und Greenaway nicht. Erst recht nicht die christliche Tradition, die eine gerade Linie von Isaak zum Opfertod Christi zieht. Sein Tod als letztes Opfer, als Lamm Gottes? Von wegen. Gerade liefen die Besucher an einem Andachtsbild vorbei über einen Teppich aus frisch geschorener Wolle, da stehen sie im nächsten Raum unter Fesselwerkzeugen, die von der Decke hängen: Stricke, Halseisen, Handschellen. Die Verheißung Gottes an Abraham, in Gold an die Wand gepinselt, sie wird so als zynische Ermächtigung zum Weiteropfern in Gottes Namen interpretiert.
"Gottes Verbot der Opferung in letzter Minute war kein wirkliches Verbot, denn Kinder werden immer noch auf der ganzen Welt geopfert."
"Francis Bacon hat einmal auf die Frage eines Journalisten, ob es heute mehr Böses in der Welt gebe, geantwortet: Nein, heute wird nur besser darüber berichtet."
... ergänzt Peter Greenaway. Am Ende holt die Besucher die Gegenwart wieder ein. Neben den letzten Tanzszenen, laufen Nachrichtenclips, Kinder und Jugendliche auf der Flucht erzählen von ihren Erlebnissen. Der letzte Raum ist mit Zeitungsauschnitten. Kinderstimmen flüstern immer wieder ein und dieselbe Frage: Opfer oder Täter? Isaak ... oder −
"Oder bist du ein Abraham?"
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