Ausstellung "Freiheit der Malerei" in Hamburg

Bilder als Dokumente des Aufbruchs

05:44 Minuten
Malerei von Jean-Honoré Fragonard. "Der Philosoph", um 1764. Ein weißhaariger Mann vor einem Buch.
Ein Gemälde von Jean-Honoré Fragonards namens "Der Philosoph", es ist um 1764 entstanden. © Hamburger Kunsthalle / bpk / Elke Walford
Von Anette Schneider · 13.12.2019
Audio herunterladen
Goya, Fragonard, Tiepolo - die Hamburger Kunsthalle zeigt, wie gegensätzlich drei große Meister das Zeitalter der Aufklärung in ihren Bildern zum Ausdruck brachten. Und sie verdeutlicht, wie sehr Goya die Missstände seiner Zeit kritisierte.
Seit den 1740er-Jahren ließen die Philosophen der Aufklärung keinen Stein auf dem anderen: Die jahrhundertealte, feudalistische Ordnung sollte von Gott gemacht und gewollt sein? - Lächerlich!
Kirche und Adel hätten das Recht, auf Kosten der Gesellschaft zu prassen, die Menschen auszubeuten und zu unterdrücken, und als Auftraggeber für Kunst die Künstler am Gängelband zu führen? - Blödsinn!

Die alte Ordnung in Frage gestellt

Kuratorin Sandra Pisot: "Das heißt: die Wissenschaften wurden wichtig. Es gab ein sehr viel rationaleres Denken. Und man hat angefangen, alles in Frage zu stellen!"

Anschaulich zeigt die Ausstellung, wie Goya, Fragonard und Tiepolo auf diese gesellschaftliche Aufbruchsstimmung reagierten.
"Man sieht hier so wunderbar diesen Pinselstrich, diesen lockeren, von Fragonard, wie auch diesen skizzenhaften Stil, der fast schon impressionistisch erscheint."

Kuratorin Sandra Pisot steht vor dem Brustbild eines Mannes, der völlig selbstvergessen ein Buch liest. Seine innere Anspannung übertrug Jean-Honoré Fragonard 1765 in einen bewegten Pinselstrich, der bis in die Haarspitzen des Lesenden reicht.

Empörung durch erotische Szenen und Alltagsgeschichten

Diese Malweise empörte Fragonards Zeitgenossen ebenso wie seine Bilder mit erotischen Tändeleien im Grünen, die ein Stückchen weiter hängen. Schließlich hatte man Historienbilder zu malen oder mythologische Szenen. Doch Fragonard verfolgte seine eigenen Interessen, wie Sandra Pisot erklärt:
"Fragonard, der sich von den Konventionen löst, der sich von der Akademie abkehrt und befreit, nur noch im Salon ausstellt und nur noch für das reiche Bürgertum arbeitet. Also eine neue Gesellschaftsschicht, die sich in Paris Mitte des 18. Jahrhunderts schon entwickelt, was ihm sehr viel Kritik eingebracht hat."

Gleichartige Maltechnik mit unterschiedlichen Anliegen

Und schon der alte Tiepolo verwendete, so Sandra Pisot "einen kühnen Pinselstrich - den natürlich Fragonard auch hat und auch Goya - dieses schnell dahin Geworfene. Die skizzenhafte Malerei, die ein ganz wichtiges Thema in der Ausstellung ist - aber auch die Studie, die Ölskizze, die ein eigenständiges Medium wird."

Während der "befreite Strich" die drei einte, zeigen gelungene inhaltliche Gegenüberstellungen, dass ihre malerischen Anliegen unterschiedlicher kaum sein konnten:
Da treffen wohlhabende Sonntags-Ausflügler von Domenico Tiepolo auf Feldarbeiter von Goya, die sich aus Müdigkeit nur noch betrinken können. Oder Fragonard offeriert seine erotischen Neckereien und zuckersüße Familienidyllen, während Goya junge Frauen zeigt, die sich aus Not prostituieren müssen, oder ein dunkles Klassenzimmer mit prügelndem Lehrer.
Während die einen die Probleme ihrer Zeit ignorierten, nutzte Goya die Kunst, um - trotz Inquisition und Zensur - mit immer neuen Bildfindungen die herrschenden Missstände zu kritisieren.

Frühe Forderung nach freier Kunst

Allein 40 seiner Grafiken zeigt die Ausstellung, die meisten aus den "Desastres de la Guerra", die erst 30 Jahre nach seinem Tod erscheinen konnten.
"Er hat ja wirklich alles kritisiert: Er hat die Kirche kritisiert, er hat die Inquisition kritisiert, Kritik an den Schrecken des Krieges, an der Besatzung der Franzosen in Spanien, gesellschaftliche Missstände, dass es uns heute noch Gänsehaut bereitet, wenn wir uns diese Blätter anschauen. Deswegen auch Goyas Ausspruch: 'Die Kunst und der Künstler müssen immer frei sein!'."

Goya riskierte dafür sein Leben. Ein wunderbares, kleines Selbstbildnis aus dem Prado zeigt ihn selbstbewusst vor einer Staffelei stehend. Hinter ihm fällt gleißend helles Licht durch ein großes Fenster: Das Licht der Aufklärung und der Revolution, das ihm den Mut verlieh, die Wahrheit zu schildern. Immer wieder bekam Goya es deshalb mit der Zensur zu tun. Sogar vor das Inquisitionsgericht wurde der Hofmaler befohlen, das einige seiner Freunde zum Tode verurteilt hatte. 1824, vier Jahre vor seinem Tod, floh er ins Exil nach Frankreich.

"Deswegen muss man Goyas Leistung und seinen Mut - unglaublich bis heute, finde ich - bewundern. Dass er sich mit seiner Kunst eben zur Wehr gesetzt hat und die Dinge schonungslos aufgezeigt hat."

Eine große Ausstellungsidee ist der Kuratorin mit diesem vergleichenden Projekt gelungen. Denn die Frage nach dem, was "Freiheit der Malerei" eigentlich unter konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen meint, stellt sich ja bis heute. Und so ist es ein Jammer, dass der vorherige Hausherr dieser Idee und den Werken der Künstler keine angemessenen Säle gönnte, sondern nur das Hubertus Wald Forum, dessen überschaubare Fläche nicht nur für Alte Meister kaum geeignet, sondern für die große Ausstellungsidee auch einfach zu klein ist.

Ausstellung "Freiheit der Malerei" in der Hamburger Kunsthalle bis zum 13. April 2020

Mehr zum Thema