Ausstellung

Ein Leben im Spiegel der Zeit

In Göteborg ist Fritz Bauer beigesetzt worden.
In Göteborg ist Fritz Bauer beigesetzt worden. © dpa / picture alliance / Lehtikuva Sari Gustafsson
Von Igal Avidan · 25.04.2014
Er war Jude und Antizionist und musste während des Dritten Reiches für viele Jahre ins Exil: Der deutsche Jude Fritz Bauer. Und er hatte ein Geheimnis, das er mit ins Grab nehmen sollte.
In einem Hotel bei Baden-Baden stellt ein sechsjähriger Junge seiner Mutter eine ungewöhnliche Frage: "Was ist eigentlich Gott?" Ihre Antwort hat ihn lebenslang geprägt:
"'Das kann ich dir nicht sagen, vielleicht kann ich es dir nie sagen. Aber es gibt einen Satz, und den merke dir, der gibt dir die Antwort für's ganze Leben'. Und ich habe den Satz eigentlich auch nie vergessen, er lautete: 'Was du nicht willst, dass man Dir tu, das füge auch keinem anderen zu.' Wenn ich also rückblicke, dann muss ich sagen, dieses Erlebnis, dieses Wort hat sich so tief in mir eingeprägt, dass es zur Richtschnur meines Lebens geworden ist, (später meine berufliche Tätigkeit beeinflusst hat, sicherlich auch das, was ich heute denke und zu tun versuche)."
Dieser Junge heißt Fritz Bauer, ein mutiger Kämpfer für die bundesdeutsche Demokratie. Bekannt wurde er vor allem durch die Auschwitz-Prozesse, die er initiierte. Viele tausende junge Deutsche, die diese Prozesse besuchten, hörten dort zum ersten Mal das Wort "Auschwitz". Wie jüdisch war der Atheist Fritz Bauer? Monika Boll, Kuratorin der Ausstellung "Fritz Bauer - Staatsanwalt":
"Also zunächst einmal ist er geboren in einer assimilierten jüdischen Familie in Stuttgart... Der Großvater war Vorsitzender der jüdischen Gemeinde... das war in Tübingen... Er hat das Judentum eigentlich vor allem über die Familienbindungen kennengelernt. Das heißt, die jüdischen Feste wurden gefeiert, solange die Großeltern noch lebten und im Haus waren... Für Bauer, wenn er rückblickend darüber spricht, er hat das als eine familiäre Bindung gesehen, aber für ihn das Judentum zumindest hinter seinem Selbstverständnis als linken Sozialisten stand."
Sozialismus als Lösung der Judenfrage
In der Weimarer Republik bewegte sich Fritz Bauer in jüdischen Kreisen. Er war Mitglied einer jüdischen, wenn auch anti-zionistischen Studentenverbindung, denn die Lösung der Judenfrage sah er im Sozialismus. Bauer hielt Reden in jüdischen Bildungsvereinen und zitierte gern die Propheten, wenn er vom Sozialismus sprach. Antisemitismus kannte er seit seinem sechsten Lebensjahr, als er von deutschen Kindern zusammengeschlagen wurde, weil seine Familie angeblich Jesus umgebracht habe. Daher wollte er Jurist werden, um gegen Unrecht zu kämpfen. Auch als Amtsrichter war Fritz Bauer 1931 Opfer einer antisemitischen Hetzkampagne des Chefredakteurs des Stuttgarter Lokalblatts NS-Kurier, Adolf Gerlach. Doch Bauer wehrte sich:
"Der NS-Kurier 1931 im Juni hat einen Artikel im Kurier veröffentlicht, der lautet: ‚Der jüdische Amtsrichter Fritz Bauer begeht Amtsmissbrauch'. Und hier war der Antisemitismus aber nur sozusagen die grobe Begleitmusik zu einem für einen Richter eigentlich viel schwerwiegenderen Vorwurf. Denn Gerlach wirft Bauer hier vor, er hätte aus laufenden Prozessen heraus, also laufende Prozesse gegen Nationalsozialisten, hätte er Material an Redakteure der Schwäbischen Tagwacht, also dieser sozialdemokratischen Zeitung gegeben."
Fritz Bauer machte deutlich, dass er wegen der Verwendung des Wortes "Jude" allein keinen Strafantrag gestellt hätte – denn dies sei für ihn keine Beleidigung. Er selbst registrierte sich in der Justiz als "israelitisch".
Im März 1933 wird Bauer festgenommen und für acht Monate im KZ Heuberg auf der Schwäbischen Alb inhaftiert. Er wird erst dann entlassen, nachdem er unter der Überschrift "Treuebekenntnis einstiger Sozialdemokraten" eine öffentliche Unterwerfungserklärung unterschreibt. 1936 geht Bauer ins Exil nach Dänemark, wo seine Schwester lebt.
"Bauer musste sich regelmäßig bei der Ausländerbehörde melden... Und dort wurde er eben einmal gefragt, warum er einen Antrag auf Bleiberecht und Arbeitserlaub in Dänemark stellt und warum er nicht nach Palästina geht, da er Jude sei. Und da hat er gesagt, er würde nicht nach Palästina gehen, weil er Antizionist sei".
Als die Nazis 1943 in Dänemark die Deportation aller Juden planen, wird Bauer mit seinen Eltern und seine Schwester ins neutrale Schweden gebracht. Erst 1949 kehrt er nach Deutschland zurück – die Amerikaner verhinderten eine frühere Rückkehr, da sie den besiegten Deutschen keinen jüdischen Staatsanwalt zumuten wollten.
Sein letzter Weg führte nach Schweden
1956 wird Bauer hessischer Generalstaatsanwalt. Jetzt fühlt er sich politisch stark genug, um Verfahren gegen 68 hessische Richter wegen Nazi-Verbrechen einzuleiten, die leider zu Freisprüchen führten. Er leitete sogar ein Ermittlungsverfahren gegen Hans Globke, Adenauers Staatssekretär, wegen seiner Teilnahme an Nazi-Verbrechen in Griechenland. Fritz Bauer verhilft Israel zur Festnahme Adolf Eichmanns:
"Er hat im Fall Eichmann mit den israelischen Behörden zusammengearbeitet, weil er die Informationen, die er über den Aufenthaltsort von Eichmann in Argentinien bekommen hatte eben an die deutschen Behörden nicht weitergeben wollte, weil er wusste, dass im deutschen Justizapparat sehr viele ehemalige Nationalsozialisten saßen, die auch Mittel und Wege gehabt hätten, Eichmann zu warnen".
Die Israelis hüteten Fritz Bauers Geheimnis, um seine Stelle als Oberstaatsanwalt nicht zu gefährden. Und er nahm dieses Geheimnis 1968 mit ins Grab. In seinem Testament setzte er fest, seine Leiche zu verbrennen und die Asche nicht beizusetzen:
"Das wurde nicht respektiert, weil seine Familie dann die Urne mit nach Schweden genommen hat und dort ist er dann auf dem Friedhof von Göteborg bei seinen Eltern beigesetzt."