Die Ausstellung "Ego Update" ist vom 19. September 2015 bis zum 16. Januar 2016 im NRW-Forum in Düsseldorf zu sehen.
Die Selfie-Zukunft der digitalen Identität

Selfies sind mehr als eine private Momentaufnahme: Wie das Selbstporträt aus der Entfernung einer Armlänge zum Welt- und Selbstentwurf geworden ist, zeigt die Ausstellung "Ego Update". Ein Mix aus Hoch- und Popkultur im NRW-Forum in Düsseldorf.
In vordigitaler Zeit zeigte das Foto, was war. Heute zeigt es, was sein könnte. Im Selfie nimmt der Porträtierte sein "Ich" in die Hand. Der Brite Robbie Cooper etwa bildet Menschen und ihr virtuelles Alter Ego ab, das sie in Computer-Spielen finden oder entwerfen. Da wird aus dem übergewichtigen Jugendlichen ein reifer Game-Lord mit silbernem Spitzbart. Und die junge, schöne Fotografin und Bloggerin Arvida Byström macht Aufnahmen von sich selber, die zu irreführenden Annahmen führen.
"Arvida Byström porträtiert sich immer selbst so, schon immer in so einer erotischen Manier, aber sie kritisiert das eigentlich. Das ist so ein bisschen so, dieser Diskurs, den auch solche Aktivistinnen wie Femen zum Beispiel haben. Das geht so in diese Richtung."
Mit Bildern am Ich arbeiten
Längst sind Selfies mehr als eine private Momentaufnahme mit Freunden, Prominenten oder vor Kulisse, sagt Ausstellungsmacher Alain Bieber. Die Welt in Armlänge ist zum Welt- und Selbstentwurf geworden. Man veröffentlicht, tauscht, postet, shared, was das Zeug hält. Bild sein und Bilder stellen, zählt zur wesentlichen Arbeit am Ich.

Alain Bieber: "Ego Update" ist seine Debüt-Ausstellung als Leiter des NRW-Forums.© picture-alliance / dpa / Roland Weihrauch
"Es gibt diesen Aspekt, dass Menschen immer mehr zu Privat-Paparazzi werden, die ihr eigenes Privatleben, das Innerste nach außen kehren - das ist ja die Definition vom Selfie so: Es ist ein Ich auf der Suche nach dem Wir. Man fotografiert, dokumentiert sich selbst, man teilt es auch immer. Man ist so ein bisschen süchtig nach der Resonanz, nach den Likes so, das ist das, was in den sozialen Medien am wichtigsten wird."
Der englische Magnum Fotograf Martin Parr hat sich weltweit von Porträtfotografen in landestypischen Settings aufnehmen lassen, mal im Judo-Anzug mit Putin, mal im Haifischmaul. In der Ausstellung steht ein sogenannter Fotobooth der Fotoagentur Magnum.
"Wir haben eine Fotoserie von Martin Parr, die hier hängt. Und der Fotoautomat, in dem man sich selbst fotografieren lassen kann, im Stil von Martin Parr. Da kann man quasi sein eigenes Passbild mitnehmen."
Einer Manege der Narzissten
Überhaupt hat man weniger das Gefühl in einer herkömmlichen Ausstellung zu sein als in einem Mitmach-Theater oder einer Manege der Narzissten. Und Alain Biber ist der Zirkusdirektor:
"Ja vielen Dank, ich sehe das als Kompliment."
Der Düsseldorfer Fotokünstler Oliver Sieber hat sich den Cosplayern, den japanischen Costume Playern, gewidmet und in Tokio und Leverkusen, Osaka und Nauheim, Menschen in ihren Fantasiekostümen fotografiert. Die Porträtierten sind regungslos, ihr Gesicht ist frei, ohne Maske. Aber ihr Körper ist bedeckt mit Fantasiekostümen, mal als Lara Croft oder Sailor Moon, mal als riesige Eule oder Gothic Lolita:
"Ich glaub, das ist so individuell wie die Leute sind, also ich glaub, jeder hat andere Ansätze, warum er das gerne macht."
Es sind stumme Skulpturen. Menschen in Rollenspielen, die ihre Identität wechseln, verändern, suchen. Mal haben sie Sehnsucht nach Superhelden, mal wechseln sie das Geschlecht. Zuweilen hat das einen infantilen Touch, wenn Bärchen, Tiere, Vögel oder bezopfte Prinzessinnen dargestellt sind. Manifeste und Parolen gibt es keine. Aber Fotos.
Oliver Sieber:"Ja, es ist aber vielleicht gewünscht. Vielleicht ist es ja gewünscht, dass man durch verschiedene Interessen, die man entwickelt, dass man eben seien Rolle ändert, indem Sinne, dass man vielleicht irgendwo ankommt, wo man hin möchte."
Es ist ein Mix aus Hoch- und Popkultur, den Alain Bieber in seiner Düsseldorfer Debüt-Ausstellung "Ego Update" präsentiert:
"Ich werde immer gefragt, Selfie Ausstellung, darf ich denn Selfies in der Ausstellung nehmen, darf ich einen Selfie-Stick mitnehmen? Natürlich! Wir werden sogar im Shop Selfie-Sticks verkaufen. Wir wollen ja, dass die Leute sich fotografieren."
La Turbo Avedon etwa ist ein weiblicher Kunst-Avatar, der seinen kreativen Output nur online realisiert und digitale Skulpturen, Videos und Fotografien entwirft. Sie existiert körperlos, nur als Bild und Ton.
Medial erzeugte Wunschidentitäten
Nun kann man das alles für hippen Zirkus in der Mode-, Kunst- und Werbestadt Düsseldorf halten, aber es ist die Wirklichkeit der medial erzeugten Traum- und Wunschidentitäten. Alain Bieber:
"Ich möchte anspruchsvolle, aktuelle, gesellschaftliche Debatten initiieren in den Projekten. Aber ich möchte natürlich auch zugänglich bleiben, ich möchte natürlich auch, dass die Leute sich unterhalten fühlen."
Besucher werden animiert ein Fuß-Selfie auf der Skateboard Rampe von Erik Kessels zu machen oder sich mit anderen Promis zu fotografieren. Die Bilder, die in der Ausstellung gemacht werden, landen dann in einem digitalen Gästebuch, das im Eingangsbereich zu finden ist und als Postkarte mit nach Hause genommen werden kann. Ein bisschen Kirmes und Trimm-Dich-Pfad ist Kunst eben auch.
Mit dieser neuen Ausstellungs-Konzeption trägt Alain Bieber Netzthemen gelungen ins Museum. Durch Selfies werden neue Formen von Individualität und Solidarität erprobt. Begriffe von Nähe, Ferne, Fremde, Körper, Sinnlichkeit, Identität, ich und du verändern sich. Wer mehr Theorietexte möchte, wird mit dem Reader gut bedient.
Die Ausstellung tut ihr Bestes: Sie zeigt material- und kunstvoll, was ist: me, myselfie and I.