Ausstellung "Der Luthereffekt" in Berlin

Die bunte Welt des Protestantismus

"Der Luthereffekt" steht am 10.04.2017 in Berlin auf dem Werbebanner am Eingang zum Martin-Gropius-Bau. Die Ausstellung "Der Luthereffekt - 500 Jahre Protestantismus in der Welt" wird am 11. April eröffnet.
Kuratorin Anne-Katrin Ziesak: "Einer Konfession, die "immer wieder ein neues Gesicht annimmt." © picture alliance / dpa / Paul Zinken
Anne-Katrin Ziesak im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 11.04.2017
Wie haben sich die Lehren Luthers zum Beispiel in den entstehenden USA ausgewirkt? Mit der Wirkung der Reformation befasst sich die Ausstellung "Der Luthereffekt" im Berliner Martin-Gropius-Bau. Man zeige eine "bunte, sehr vielfältige Welt" des Protestantismus, sagt Kuratorin Anne-Katrin Ziesak.
"Der Luthereffekt. 500 Jahre Protestantismus in der Welt" heißt eine Ausstellung, die jetzt im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen ist.
Man wolle damit den Protestantismus in seinen vielfältigen Ausprägungen zeigen, sagt Kuratorin Anne-Katrin Ziesak im Deutschlandradio Kultur.
"Wir gehen gleich von Beginn an von der Reformation als einem europäischen Ereignis aus und verlassen dann den europäischen Rahmen des 16. Jahrhunderts, um in die Welt hinauszugehen und den Luthereffekt, das heißt die Wirkungsgeschichte des Protestantismus und seinen Einfluss auf andere Kulturen und wiederum seine eigenen Veränderungen, dann anhand von vier Beispielen darzustellen. Das ist bei uns das Schwedische Reich der Frühen Neuzeit, die entstehenden Vereinigten Staaten sowie Korea und Tansania des 20. und 21. Jahrhunderts."

Wandelbare Konfession

Letztlich zeichne die Ausstellung so das Bild einer Konfession, die "immer wieder ein neues Gesicht annimmt, reagiert, sich verändert, sich weiterentwickelt, durchaus auch zu immer neuen weiteren Gruppen, Kirchen oder Konfessionen innerhalb des Protestantismus führt", so Ziesak. "Es ist eine sehr bunte, sehr vielfältige Welt, die nicht allein mit dem, was wir im mitteldeutschen Raum, den Kernlanden der lutherischen Reformation kennen, zu beschreiben ist."

"Keine fromme Ausstellung": Carsten Probst berichtete in "Fazit" über seinen Besuch bei "Der Luthereffekt" im Berliner Martin-Gropius-Bau.
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Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Der Reformator begegnet einem in diesen Tagen und Wochen nahezu allerorten: Im thüringischen Apolda grüßt er die im Zug Vorbeireisenden überlebensgroß von der Kirche, es gibt Luther als Lego-Männchen, und um ihm zu begegnen auf den Bildern von Lucas Cranach, muss man nur nach Weimar fahren zum Beispiel, in die Kirche St. Peter und Paul. Oder man geht in den Berliner Gropius-Bau: Dort wird heute eine Ausstellung eröffnet und die trägt den Titel "Der Luthereffekt. 500 Jahre Protestantismus in der Welt". Anne-Katrin Ziesak hat sie kuratiert und ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Anne-Katrin Ziesak: Guten Morgen!
von Billerbeck: "Der Luthereffekt. 500 Jahre Protestantismus in der Welt" – Protestantismus, nicht Reformation. Warum?
Ziesak: Wir sprechen vom Protestantismus, da wir ihn in all seinen Ausprägungen, all seiner Vielfalt zeigen wollen. Denn auch wenn Luther momentan an allen Ecken und Enden zu finden und zu sehen ist, aber die lutherische Reformation ist nicht die einzige.
Wir gehen gleich von Beginn an von der Reformation als einem europäischen Ereignis aus und verlassen dann den europäischen Rahmen des 16. Jahrhunderts, um in die Welt hinauszugehen und den Luther-Effekt, das heißt die Wirkungsgeschichte des Protestantismus und seinen Einfluss auf andere Kulturen und wiederum seine eigenen Veränderungen, dann anhand von vier Beispielen darzustellen.
Das ist bei uns das Schwedische Reich der Frühen Neuzeit, die entstehenden Vereinigten Staaten sowie Korea und Tansania des 20. und 21. Jahrhunderts. Also gar nicht so viel Luther im Luther-Effekt.

"Wir sind Teil einer Ausstellungskampagne"

von Billerbeck: Trotzdem zielt die Ausstellung schon im Namen ja auf die Popularität Luthers im Reformationsjahr. Das kommt einem manchmal ja schon wie eine Heiligenverehrung vor, ich musste sehr lachen, als ich gelesen, dass die Lego-Lutherfigur ein Bestseller ist quasi. Bei Ihnen geht es zwar ohne Reformation, sage ich jetzt mal so trocken, aber eben auch nicht ohne Luther!
Ziesak: Vielleicht eher umgekehrt: Es geht nicht ganz ohne Luther, aber mit Reformation. Und wir sind ein Teil einer Ausstellungskampagne, also von drei sogenannten nationalen Sonderausstellungen, die jetzt eine nach der anderen eröffnen und die sich auch thematisch durchaus ergänzen. Die anderen beiden nationalen Sonderausstellungen finden in Lutherstadt Wittenberg sowie auf der Wartburg statt, dort, an den authentischen Luther-Orten, wird stärker der Reformator im Mittelpunkt stehen, und hier, in Berlin, einer Stadt, die mit Martin Luther nichts zu tun hat, wo er niemals gewesen ist, hier ist der internationale Ansatz im Vordergrund und eben der Protestantismus. Und Protestantismus ist nicht allein das Luthertum. Im internationalen Vergleich gesehen waren da andere Reformatoren sehr viel wirkmächtiger als Luther.

USA - für Protestanten das gelobte Land?

von Billerbeck: Sie haben schon einige Länder erwähnt, auch in der Geschichte, die in Ihrer Ausstellung eine Rolle spielen. Auch die USA sind dort Thema, "Welcome! It’s God’s Country!", bekommt man ja bis heute zu hören, wenn man einreist in die USA. Das Erbe der Puritaner ist also noch gut präsent. Wie macht sich denn dieser Luther-Effekt in der Geschichte bemerkbar?
Ziesak: Das Ausstellungskapitel heißt bei uns fast so ähnlich, wie Sie es eben zitiert haben: "Die Vereinigten Staaten von Amerika – das gelobte Land?" Wir schauen hier auf die Entwicklungen in den frühen USA, also in den 13 britischen Kolonien, die ja durchaus unterschiedlich strukturiert waren. Da gab es Kolonien, die von Puritanern oder Anglikanern dominiert wurden und die gerne das Modell Staatskirche verfolgt hätten.
Und es gab genau auch andere wie zum Beispiel Pennsylvania, das bei uns eine besondere Rolle spielt, wo man hingegen die religiöse Toleranz favorisierte. Und Pennsylvania ist auch berühmt dafür, dass dort wunderbare Objekte in den Museen und privaten Sammlungen zu finden sind, und eine Ausstellung lebt natürlich von Objekten, denn die Besucher kommen auch, um zu schauen, nicht nur um zu lesen und sich in der Theorie zu bewegen. Und auch das war dann übrigens ein Grund, um uns mit dem heiligen Experiment William Penns zu beschäftigen.

Protestantismus ist nichts Statisches

von Billerbeck: Wenn Sie Pennsylvania als positives Beispiel erwähnen, dann fällt mir natürlich ein … Ich habe mich lange mit Sekten und Psychokulten beschäftigt. Wenn man sich die Fundamentalisten der Gegenwart anschaut, dann sind die am stärksten wachsende Gruppe, glaube ich, die Evangelikalen. Also, auf der einen Seite haben wir religiöse Freiheit, Trennung von Staat und Kirche, auf der anderen Seite eben die Evangelikalen, die Fundamentalisten. Ist das auch ein Luther-Effekt?
Ziesak: Man … Wie ist das mit den Effekten … Effekte sind etwas, was man nicht beherrschen kann und was nicht absichtlich passiert. Und von daher können wir …
von Billerbeck: Sind das nicht Affekte?
Ziesak: Von daher können wir Martin Luther auch nicht alles in die Schuhe ziehen. Aber der Effekt ist sicherlich, dass Protestantismus nichts Statisches ist, sondern immer wieder ein neues Gesicht annimmt, reagiert, sich verändert, sich weiterentwickelt, durchaus auch zu immer neuen weiteren Gruppen, Kirchen oder Konfessionen innerhalb des Protestantismus führt. Und dazu gehören auch die Evangelikalen, ja.

"Der Protestantismus wächst"

von Billerbeck: 500 Jahre Protestantismus ist eine lange Geschichte. Wie stark reicht die in die Gegenwart?
Ziesak: In der Ausstellung haben wir zwei Kapitel, die vor allem in der Gegenwart verankert sind, nämlich Tansania und Korea. Aber ansonsten muss man schlicht und ergreifend sagen, dass Protestantismus heute, sagen wir … Gut 800 Millionen Menschen weltweit sehen sich als Protestanten, also, führen dann ihren historischen Bezug auf die Reformation des 16. Jahrhunderts zurück. Und der Protestantismus wächst. Auch wenn es bei uns tatsächlich nicht gezeigt wird, aber in China zum Beispiel liest man, dass der Protestantismus erhebliche Zuwachszahlen verzeichnet, auch in Südamerika, südlich der Sahara in Afrika ist dies der Fall, also, es ist eine sehr bunte, sehr vielfältige Welt, die nicht allein mit dem, was wir im mitteldeutschen Raum, den Kernlanden der lutherischen Reformation kennen, zu beschreiben ist.
von Billerbeck: Anne-Katrin Ziesak war das, die Kuratorin der Ausstellung "Der Luthereffekt. 500 Jahre Protestantismus in der Welt", im Berliner Gropius-Bau wird sie eröffnet und läuft dann bis zum 5. November 2017. Frau Ziesak, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Ziesak: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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