Ausstellung "Blutiges Gold"

Was uns die Bronzezeit über heutige Konflikte erzählt

Der beschädigte Schädel eines Mannes wurde auf dem Schlachtfeld im Tollensetal gesichert und ist in der neuen Ausstellung "Blutiges Gold - Macht und Gewalt in der Bronzezeit" im Museumsgebäude des Archäologischen Freilichtmuseums Groß Raden (Mecklenburg-Vorpommern) in der Nähe von Sternberg zu sehen.
Die Ausstellung "Blutiges Gold - Macht und Gewalt in der Bronzezeit" eröffnet neue Forschungsergebnisse über die Konflikte der damaligen Zeit. © dpa / Jens Büttner
Kurator Detlef Jantzen im Gespräch mit Ute Welty · 06.10.2017
Bedingen sich Macht und Gewalt? Und sind Kriege so alt wie die Menschheit selbst? Diesen Fragen geht die Ausstellung "Blutiges Gold: Macht und Gewalt in der Bronzezeit" in Groß Raden nach. Ein "ungemütliches" und "unbequemes" Thema, räumt auch Kurator Detlef Jantzen ein.
Ute Welty: Was interessiert mich die Bronzezeit – diese Frage kann man stellen, schließlich ist die Bronzezeit so rund dreieinhalbtausend Jahre her. Ihren Namen bekommt die Bronzezeit, weil Gegenstände aus Metall, vorwiegend aus Bronze, gefertigt werden und in der Ausstellung, die heute im archäologischen Freilichtmuseum in Groß Raden in Mecklenburg-Vorpommern für das Publikum öffnet, wird aus Bronze das blutige Gold, denn es geht um Macht und Gewalt.
Kurator der Ausstellung ist Detlef Jantzen, Landesarchäologe und Dezernatsleiter beim Landesamt für Kultur und Denkmalpflege. Guten Morgen, Herr Jantzen!
Detlef Jantzen: Guten Morgen!
Welty: Lange Zeit hat man ja geglaubt, die Bronzezeit sei eine friedliche Zeit gewesen, bis dann entsprechende Funde vom Gegenteil erzählen, von einer brutalen Schlacht. Weiß man inzwischen, wer da gegen wen und vor allem warum gekämpft hat?

Ein Schlachtfeld von unvorstellbarer Größe

Jantzen: Wir wissen, dass viele junge Männer gegeneinander gekämpft haben, aber woher sie gekommen sind, das können wir noch nicht im Detail bestätigen. Was der Anlass dieses Konfliktes war, das liegt auch noch im Dunkeln. Wir können nur feststellen, dass es ein sehr, sehr großer Konflikt war, völlig außergewöhnlich für diese Zeit. So etwas konnten wir uns bis zur Entdeckung dieses Schlachtfeldes einfach nicht vorstellen. Das konnte sich niemand vorstellen.
Wir kannten vorher natürlich die reich ausgestatteten Gräber aus der Bronzezeit, das heißt, wir haben die Macht gesehen, die sich in diesen reich ausgestatteten Gräbern ausdrückt und in den Goldgegenständen, die dort mitbestattet worden sind, aber mit diesem Schlachtfeld sahen wir dann plötzlich auch die andere Seite, die Gewalt, und das war eine ganz neue Erkenntnis.
Welty: Es geht um die Toten aus dem Tollensetal, die eben im Kontrast stehen zu diesen reich ausgestatten Männer- und Frauengräbern, die in der Nähe von Ludwigslust und auch auf Rügen gefunden worden sind. Kann man schon beschreiben, in welchem Zusammenhang das steht?
Jantzen: Wir nehmen an, dass das eine durchaus etwas mit dem anderen zu tun hat, denn um so einen großen Konflikt mit vielleicht mehreren tausend Beteiligten anzuzetteln, braucht man natürlich eine gewisse Macht, und man muss über die Kommunikationswege verfügen, und man muss diesen Menschen ja auch Befehle erteilen können, denn freiwillig zieht sicherlich niemand in so eine Schlacht.

Grabgaben zeugen von der Macht des Herrschers

Das heißt, das Ganze setzt also eine Machtstruktur voraus, und wir glauben, dass wir in diesen Personen, die in diesen reich ausgestatteten Gräbern beigesetzt worden sind, vielleicht doch einige dieser Urheber der Konflikte auch tatsächlich kennen.
Welty: Welche Stücke der Ausstellung stehen denn für Sie für Macht und welche Stücke der Ausstellung stehen für Gewalt?
Jantzen: Für Macht steht zum Beispiel die Ausstattung des Häuptlingsgrabes, das vor wenigen Jahren bei Crivitz im Landkreis Parchim und Ludwigslust ausgegraben wurde. Da ist jemand bestattet worden, der ein Schwert besaß.
Das ist an sich in der Zeit nichts Außergewöhnliches, aber er hat auch noch mehrere goldene Ringe mit ins Grab bekommen und eine goldene Gewandspange, die völlig außergewöhnlich ist. Davon gibt es überhaupt insgesamt auf der Welt nur acht Stück, und das ist insgesamt eine Ausstattung, die sich sehr über das hinaushebt, was man so als Durchschnitt bezeichnen würde. Das heißt, wir gehen davon aus, dass wir da tatsächlich eine dieser mächtigen Persönlichkeiten der Bronzezeit vor uns haben.
Welty: Und die Gewalt?
Jantzen: Die Gewalt spiegelt sich natürlich in den Funden vom Schlachtfeld im Tollensetal wider, wo wir also ganz physisch auch die Wirkung dieser Waffen, die dort im Konflikt eingesetzt worden sind, an den Knochen wiederfinden. Wir haben Treffer von Holzkeulen, man hat sich also gegenseitig wirklich den Schädel eingeschlagen. Wir haben viele Treffer von Pfeilspitzen, die vorwiegend den Oberkörper getroffen haben, aber auch andere Körperpartien. Wir haben die Wirkung von Schwertern, die wir an den Knochen sehen.

Hochentwickelte Kriegsführung schon zur Bronzezeit

Das ist also wirklich ein blutiger Konflikt, ein Gewaltkonflikt gewesen, dem viele Menschen zum Opfer gefallen sind. Wir haben bis jetzt erst einen ganz kleinen Teil dieses großen Schlachtfeldes untersucht, und da finden wir schon fast 140 Tote, und man kann dann hochrechnen und kommt sehr schnell auf Opferzahlen, die bei mehreren Hundert liegen.
Welty: Das klingt jetzt nicht so gerade danach, als ob die Ausstellung für Kinder unter 14 Jahren geeignet ist.
Jantzen: Doch, da haben wir keine Bedenken!
Welty: Ich wusste, dass Sie das jetzt sagen!
Jantzen: Das Thema ist natürlich etwas ungemütlich und ist auch unbequem. Das ist auch richtig, und das ist auch so gewollt, weil wir natürlich auch die Frage aufwerfen, seit wann begleitet eigentlich Gewalt das menschliche Dasein, und in welcher Form begleitet es das menschliche Dasein, und wir sehen im Tollensetal im Grunde einen Krieg, und zwar einen Krieg, der schon ziemlich entwickelt ist.
Das ist auch eine ganz neue Erkenntnis, dass wir solche Kriege hier bei uns in der Region in dieser Zeit haben, dass sie stattgefunden haben. Das wollen wir nicht verheimlichen. Das ist auch gar nicht Sinn der Sache, aber wir präsentieren das so, dass das durchaus auch von Kindern und Jugendlichen ohne Bedenken besucht werden kann.
Wir sprechen sie sogar gezielt an. Wir wollen sie auch zum Nachdenken anregen über diese Themen Macht und Gewalt, und wir bieten ihnen auch die Möglichkeit, selbst ein bisschen einzutauchen in die Bronzezeit und sich auch zu fotografieren als Mensch in der Bronzezeit.
Welty: Aber dann mit heilem Schädel, bitte!
Jantzen: Ja, völlig unverletzt, aber mit teilweise auch diesen Schmuckgegenständen und mit diesen Trachtgegenständen. Man kann sich also ein bisschen auch hineinversetzen in diese Zeit.
Welty: Würden Sie soweit gehen und sagen, nach den Funden im Tollensetal muss die Geschichte der Bronzezeit neu geschrieben werden?

Ein vollkommen unbekanntes Kapitel der Bronzezeit

Jantzen: Ja und nein. Wir haben im Grunde mit den Funden im Tollensetal ein bis dahin völlig unbekanntes Kapitel der bronzezeitlichen Geschichte freigelegt und fangen gerade an, das zu schreiben, denn diesen Aspekt der großen Gewaltkonflikte oder Kriege, wenn man so will, den gab es vorher einfach nicht in der Bronzezeitforschung.
Man hat zwar gesehen, es sind unheimlich viele Schwerter im Umlauf gewesen, aber man hat immer angenommen, diese Schwerter seien mehr Würde- und Machtsymbole, und man hat sie eigentlich nicht als praktisch anwendbare Waffen gesehen. Dieses Bild hat sich inzwischen auch völlig geändert, weil man durch Gebrauchsspurenanalyse festgestellt hat, dass sehr viele dieser Schwerter tatsächlich auch im Kampf benutzt worden sind.
Welty: Welche Forschungsfragen sind es, die Sie jetzt umtreiben? Was möchten Sie unbedingt in der nächsten Zeit noch geklärt wissen?
Jantzen: Wir haben uns ja jetzt die letzten Jahre … Wir haben sechs Jahre Förderung von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bekommen für dieses Projekt, das wir, also Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern, gemeinsam mit dem niedersächsischen Landesamt betreiben mit meinem Kollegen Professor Thomas Terberger. Die großen Fragen, die uns noch auf der Seele liegen, sind erstens, wie sieht das Umfeld dieses Schlachtfeldes aus, haben wir dort Siedlungen in diesem Umfeld – es gibt einiges, was darauf hindeutet. Wir haben in den Pollenprofilen Hinweise auf Offenflächen, also Weideland, auch auf Ackerland in der Umgebung. Die zweite große Frage, die uns umtreibt, wo kommen diese Leute her, was haben sie vorher gemacht in ihrem Leben, was hat sie geprägt, welche Tätigkeiten haben sie geprägt.
Welty: Die Bronzezeit wird lebendig in Groß Raden in Mecklenburg-Vorpommern, denn heute eröffnet die Ausstellung "Blutiges Gold: Macht und Gewalt in der Bronzezeit". Die Ausstellung ist zu sehen bis zum 10. September 2018, also fast das ganze kommende Jahr, und ich habe gesprochen mit dem Kurator und Landesarchäologen Detlef Jantzen. Herzlichen Dank!
Jantzen: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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