Ausstellung

Blut, Wein und Kaffeesatz als Farben

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Blick auf das Museum für Jüdische Kultur und Geschichte in Frankfurt am Main © picture-alliance/ dpa
Von Thomas Senne · 03.02.2014
Leopold Mayer war Meisterschüler bei Max Beckmann, doch viel hat sich von seinem Werk nicht erhalten. Die Nazis zerstörten die meisten seiner Bilder. Mit ausgewählten Arbeiten erinnert die Ausstellung "Entre Chien et Loup" an den weitgehend vergessenen Künstler, der seinen deutschen Namen ablegte und sich später nur noch Leo Maillet nannte.
Ein Gesicht vor schwarzem Hintergrund, das den Betrachter mit Augen in unterschiedlicher Höhe aus einem zerbrochenen Rundspiegel anschaut. Entlang der Bruchlinie des Spiegels ist auf dieser Radierung auch die Kinnpartie etwas verschoben. Wüsste man nicht, dass Leo Maillet mit diesem Selbstporträt auf seine Flucht aus dem von Nazis besetzten Frankreich in die rettende Schweiz anspielt – das rätselhafte Blatt ließe sich nur schwer entschlüsseln. So aber kann das Bruchstückhafte als Ausdruck einer bedrohten Künstlerexistenz gedeutet werden.
Auf den ersten Blick haben die jetzt gezeigten Blätter dieses Grafikers aber nichts Spektakuläres oder gar Meisterliches an sich. Sie bewegen sich zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Doch die Geschichten, die sich hinter diesen Bildern verbergen, sind außergewöhnlich, atemberaubend, ergreifend. Notate eines Verfolgten. Mit Linien, Schraffuren oder expressiven Figuren hat der jüdische Künstler auf der Radierplatte symbolisch festgehalten, was ihm während des Dritten Reichs widerfahren ist. Zunächst jedoch, sagt Eva Atlan, Kuratorin am Jüdischen Museum Frankfurt, hatte die Karriere Maillets durchaus vielversprechend begonnen.
"Leo Maillet war Anfang der 30er-Jahre an der Städel-Schule und wurde dann aufgenommen in die Meisterklasse von Max Beckmann und hat in dieser Klasse bis 33 studieren können. Leo Maillet ist ein dem Expressionismus stark verhafteter Künstler, der sich sehr auch an Beckmann angelehnt hat, jedoch für sich eigentlich auch eine ganz eigene Sprache gefunden hat."
Als die Nationalsozialisten an die Macht kommen, beginnt für den Maler eine Odyssee durch Europa, die ihn schließlich nach Paris führt. Während rund 50 Gemälde und etwa 100 Grafiken von ihm in Deutschland als "entartet" beschlagnahmt und schließlich zerstört werden, baut sich Maillet zusammen mit seiner späteren Frau an der Seine eine neue Existenz auf.
Über 200 Ölgemälde und Radierplatten fallen der Gestapo in die Hände
In Paris ist er auch als Fotograf tätig und kann sich sogar ein kleines Atelier mit Garten leisten. In der Werkstatt von Lacourière, wo Picasso und Miró ein und ausgehen, arbeitet er als Drucker und Radierer. Es entstehen etliche Grafiken. Beispielsweise "Sauvage". Das mit sparsamen Umrisslinien radierte Porträt einer Katze, das jetzt in der Frankfurter Schau zu sehen ist, hat als einzige Druckplatte die Wirren dieser Zeit überlebt. Über 200 Ölgemälde und Radierplatten aus seiner Pariser Wohnung fallen später der Gestapo in die Hände und werden vernichtet. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und der Besetzung Frankreichs durch deutsche Truppen sind dort lebende Deutsche wie Maillet französischen Behörden ein Dorn im Auge.
"Er wird verhaftet und kommt in ein Internierungslager. Von dort gelingt ihm aber die Flucht und er lässt sich erst mal in Südfrankreich nieder. 1942 wird er von der Gestapo verhaftet und in das Konzentrationslager von Les Milles bei Aix en Provence gebracht."
Die Situation dort hat Maillet auf einer Skizze festgehalten. Die später danach gefertigte Radierung wird jetzt präsentiert. Ein düsteres Blatt, das den Titel "Vor der Deportation" trägt und verzweifelt herumirrende Menschen auf dem KZ-Gelände zeigt. Wenig später wird der Künstler selber deportiert. In letzter Minute kann er aber vom fahrenden Zug springen, der ihn in ein Vernichtungslager bringen sollte. Durch den Sturz auf die Gleise verliert er ein Auge und schlägt sich fast die ganze obere Zahnreihe aus. Seine Flucht führt den Künstler in die Cevennen, wo er als Hirte in der Verborgenheit lebt. Mit Erde, Wein und Blut zeichnet er auf seinen Exkursionen Berge oder Schäfer, aber auch alptraumartige Sequenzen, die seine Verfolgung widerspiegeln. Über den Verbleib der rund 30 Originale ist nichts bekannt. Einige ihrer Motive wählt Maillet für Radierungen aus, die er 1971 in einem Mappenwerk veröffentlicht, das jetzt im Mittelpunk der gelungenen Frankfurter Schau steht: "Entre Chien et loup" – "Dämmerung". Der Titel ist doppeldeutig und spielt auf die Erlebnisse des Flüchtlings an. Denn im Zwielicht kann man nicht immer erkennen, wer es gut oder böse mit einem meint.
1944 kann Maillet in die Schweiz fliehen. Nach dem Krieg erstreitet er sich als NS-Opfer in langwierigen Prozessen Ausgleichszahlungen vom deutschen und französischen Staat, von denen er sich eine neue Existenz in der Schweiz aufbauen kann. 1990 stirbt Leo Maillet, der bis zuletzt kreativ tätig ist. Das bewegte Leben und Werk dieses Künstlers jetzt der Vergessenheit entrissen zu haben, ist zweifellos das Verdienst der Frankfurter Ausstellung.