Ausstellung

Besucher als Sockelobjekt

Der Künstler und Bildhauer Tobias Rehberger, aufgenommen in den Räumen seiner Ausstellung "home and away and outside" in der Schirn in Frankfurt am Main (Hessen) am 14.02.2014.
Der Künstler und Bildhauer Tobias Rehberger in den Räumen seiner Ausstellung "Home and Away and Outside" in der Schirn in Frankfurt. © picture alliance / dpa / Boris Roessler
Von Rudolf Schmitz · 20.02.2014
In seiner Werkschau überflutet Tobias Rehberger die Sinne der Besucher mit flimmernden Mustern und stellt Fragen zur Selbst- und Fremdwahrnehmung. So bat er Kollegen, ihm ihre Lieblingsblumen zu schicken.
Flimmernde Op-Art-Muster überall: auf dem Boden, auf den Wänden, auf den Sitzbänken. Tobias Rehbergers Schau beginnt mit einer großen Desorientierung. Die in solchem Ambiente präsentierten Skulpturen verlieren ihre Kontur, verschwimmen in Tarnmalerei. Wem das zuviel ist, der findet im anschließenden Galerieraum der Schirn Beruhigung fürs Auge: eine weiße Ausstellungsarchitektur aus Sockeln und Rampen. Übersichtlich, klar, aber nicht weniger herausfordernd.
Tobias Rehberger: "Auf der einen Seite hat es natürlich ein bisschen Wohnlandschaft, auf der anderen Seite ist es auch sozusagen eine Sockellandschaft, also der ganze Raum ist eigentlich ein Sockel, es ist alles in dem gleichen Weiß gestrichen, und egal ob man auf etwas läuft oder neben etwas steht, es ist alles sozusagen Sockel. Was auch wiederum heißt: Derjenige, der sich dadurch bewegt, wird sozusagen selbst ein bisschen zum Objekt, auch weil die einzigen Dinge, die eben farbig sein werden, die Objekte sind, die drin stehen und die Leute die durch gehen“.
Ein Teil der Kunst werden, sich einbringen, neue Sehweisen erproben, Orientierung suchen – das ist die Übung, die der Frankfurter Künstler Tobias Rehberger den Besuchern verordnet hat. Vieles wirkt rätselhaft: Was bedeuten diese seltsamen Vasenobjekte aus Glas, Keramik oder farbigem Spritzschaum, in denen zumeist völlig unpassende Blumensträuße stehen? Tobias Rehberger hatte befreundete Künstler gebeten, ihm ihre Lieblingsblumen zu schicken, während er bereits die Vasen entwarf. Er versteht das Ganze als Porträtserie: Der Künstler als Vase, Porträt als gegenseitige Projektion.
Untersuchung kultureller Erinnerungen
"In diesem Behältnis, in dieser Vase steckt die Sichtweise von mir auf eine Person, und dadurch, dass jemand sich durch eine bestimmte Ästhetik von Blumen auf eine ganz banale Weise, aber eben auch definiert, ergibt das so zusammen die zwei Sichtweisen auf diese eine Person. Einmal die Selbstsicht oder die Selbstdefinition und einmal die Definition von mir.“
Ob er die Ausstellungsmöbel der Documenta 1-3 im Kindermaßstab produziert oder Handwerker aus Kamerun dazu anhält, nach vagen Beschreibungen Designmöbel-Klassiker des 20. Jahrhunderts nachzubauen – Tobias Rehberger untersucht unsere kulturellen Erinnerungen und Identifikationswünsche. Und schüttelt sie ordentlich durch, mischt sie auf in spektakulärem Ausstellungsdesign.
Eine Soundglocke mit einer Musikcollage des befreundeten DJs Koze beschallt einen Teil der Ausstellung. Muzak wie im Kaufhaus, nur eben viel interessanter. Ironisiert Tobias Rehberger hier sein Allover-Unterhaltungsprogramm? Die Schirn Kunsthalle Frankfurt jedenfalls ist der richtige Ort für solche Abenteuer. Die Schau mit Werken aus 20 Jahren ist auf jeden Fall erklärungsbedürftig. Ein Faltblatt hilft den Besuchern auf die Sprünge. Tobias Rehberger sieht in diesem Informationsbedarf kein Problem.
Michael Jackson im Viertelstundentakt
"Wenn man zum Fußball geht und gar keine Ahnung hat, dann sieht man einfach 22 junge Männer in kurzen Hosen rum rennen. Und so ist es auch mit der Kunst: in der Regel macht es mehr Spaß, wenn man sich mit den Dingen beschäftigt. Wenn man ein bisschen weiß, wie Fußball geht, wenn man weiß, wie Wein schmeckt oder schmecken kann. So ist es bei der Kunst eben auch, es bleibt jedem selbst überlassen, wie weit er sich da rein begeben will.“
Im Innenhof der Schirn Kunsthalle schwebt das neueste Objekt der Künstlers. Es sieht aus wie das Requisit eines nostalgischen Science-Fiction-Films, bestückt mit Glühbirnen und Leuchtkörpern, mit Anspielungen auf die amerikanische Fahne.
"Wie ein Satellit, der in Las Vegas mal gestartet ist und irgendwo zu Weltraumschrott geworden ist, so ein komisches Gestänge, wo man so bestimmte Anmutungen von Leuchtreklame sehen kann, was aber auch zerzaust aussieht, so würde ich es mal sagen.“
Bestrahlt von einem starken Scheinwerfer projiziert des Objekt einen Wortschatten auf einen weißen Sitzsockel: Regret, heißt es da. Bedauern, Reue. Ist das alles überinstrumentiert, überfrachtete Bedeutung, zuviel forcierte Geste? Könnte man natürlich sagen. Aber zugleich wirkt das wie ein Kommentar zum verrückt gewordenen Kunstbetrieb und ist schon deshalb sehr lustig. Wie die Lautsprecherbox, die jede Viertelstunde ihre Bass-Membran ausfährt und sich mit einem Schrei von Michael Jackson als Kuckucksuhr geriert.

Tobias Rehberger: "HOME AND AWAY AND OUTSIDE"
bis zum 11. Mai 2014 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main

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