Außenseiter und beliebter Schlager

Vorgestellt von Hans-Ulrich Pönack |
"Charlie Bartlett" dreht sich um einen Außenseiter, der immer wieder von der Schule fliegt. "La Paloma" folgt dem meistgespielten Lied bei der Reise um die Welt.
"Charlie Bartlett"
USA 2007, Regie: Jon Poll, Darsteller: Anton Yelchin, Robert Downey Jr., Hope Davis, Kat Dennings, 97 Minuten, ab 12 Jahren

Der Film ist von Jon Poll, einem Cutter, der hier seinen Regie-Erstlingsfilm abliefert (USA 2007). Als thematische Schublade dient der Begriff "Teeniefilm", doch da es unter diesem "Markennamen" schon so viele dumme wie platte Movies gab, darf erfreut ergänzt werden: ein doch "besonderer", sprich außergewöhnlicher amerikanischer Teeniefilm.

Er handelt von einem schlauen 17-Jährigen aus reichem Hause, den die Privatschulen ob seiner "Pfiffigkeit" zuletzt den Massenverkauf von gefälschten Führerscheinen an "begeisterte" Mitschüler) reihenweise rausgeschmissen haben. Jetzt beschließt die nett-überforderte und vorübergehend alleinerziehende Mama, ihren Charlie auf eine öffentliche Schule zu schicken.

Dort eckt er ob seines "feinen Äußeren" erst einmal an, bekommt sofort den Stempel des "Außenseiters" aufgedrückt und wird erst einmal vom hauseigenen Ober-Rüpel verdroschen. Doch Charlie lernt schnell. Erweist sich als Meister der Anpassung. Vereinnahmt den, der ihn vermöbelt hat, indem er ihn am schwunghaften Handel mit begehrten, von seinen Psychiatern gerne verschriebenen Psychopharmaka lukrativ beteiligt; außerdem heuert er den aggressiven Punk-Man sogleich auch als seinen Bodyguard an.

Als Gratis-Zugabe, man hat ja schließlich seine diversen privaten Erfahrungen bereits, gewährt er seinen gestressten Mitschülern gerne ein offenes Ohr und steigt - auf dem Schüler-Klo - zu einem "beliebten Therapeuten" auf, dessen Ratschläge mehr und mehr gefragt sind. Na klar reagiert der Direktor sauer, zumal Charlie nun auch ein Techtelmechtel mit seiner emanzipiertenTochter angefangen hat. Was sich so locker-flockig-kess anhört, zeigt sich in der filmischen Betrachtung voller Charme und angenehm-geistreich.

Dieser Charlie Bartlett ist ein sympathischer Anarchie-Nachfahre des legendären Ferris Bueller aus d e m Teenie-Film der 80er Jahre, aus "Ferris macht blau" von John Hughes, mit Matthew Broderick als gewitztem School-Boy (USA 1986). Weil die Erwachsenen mit ihren eigenen Problemen schon mehr als genug zu tun haben - Charlies Mutter ist psychisch so labil, dass der Sohn im Grunde auf sie aufpassen muss, während der autoritäre Direx selbst große Mühe hat, seine eigenen Alkoholexzesse zu verkraften - müssen die Kinder schneller begreifen, verstehen, lernen, erwachsen werden.

Dank seines unerschütterlichen Optimismus und seiner ausgebufften Cleverness vermag "Seelsorger" Charlie dennoch "stabil" zu bleiben. Aber: Ein Teeniefilm, der Drogen propagiert? In den USA war die Aufsichtsbehörde überhaupt nicht amüsiert und verpasste dieser wunderbar zotenfreien Komödie das sog. "R-Rating", nach dem Jugendliche unter 17 Jahren nur mit erwachsener Begleitung Kinoeinlass finden. Dabei demonstriert dieser fulminante Schelmenstreich das genaue Gegenteil. Lässt Charlie unaufgeregt und ohne moralischen Zeigefinger erkennen, dass (wenn auch legale) Drogen auf Dauer auch kein Allheilmittel für Business und Körper sind. Doch Debütant Jon Pol wollte für diese Erkenntnis nicht den hollywoodschen blöd-moralischen Holzhammer auspacken bzw. die sonst in diesem Genre übliche dramatische Schwarzmalerei betreiben, sondern entwickelt eine erstaunlich souveräne, köstlich schwarzhumorige und vor allem die Kids ernst nehmende Feel-Good-Komödie.

Mit vielen ironisch-sarkastischen Pointen und Spaß-Motiven. Der hierzulande bislang ziemlich unbekannte Hauptakteur Anton Yelchin als Charlie Bartlett schafft die vergnügliche Balance, einerseits ziemlich intellektuell und manchem Erwachsenen weit voraus zu sein, andererseits aber emotional (natürlich, als 17-Jähriger) unausgereift aufzutreten und viel probieren zu wollen, um Erfahrungen zu sammeln. Ein Klasse-Auftritt von Jungspunt-Persönlichkeit.

Um ihn herum aber sind aber auch die Ensemble-Kids wie auch die Erwachsenen überzeugend besetzt: Hope Davis als Mama Marilyn Bartlett, die immer auf Vergnügungswolke neun schwebt, wirkt nie überzogen, sondern augenzwinkernd-liebenswert "verzückt"; während Robert Downey Jr. als Schulleiter Gardner sich überhaupt nicht scheut, seine einstigen privaten Alkohol-Eskapaden süffisant-nachdenklich einzubringen bzw. zu karikieren. Ein erstaunlicher, ein toller, ein sehr unterhaltsamer, zu den besten seines Genres zählender Teenie-Film.

La Paloma

Deutschland / Frankreich 2007, Regie: Sigrid Faltin, Musik: Hans Albers, Freddy Quinn, Perikles Fotopulos, Jean Thomé, 93 Minuten

Ein Film von Sigrid Faltin: "Ein Wind weht von Süd und zieht mich hinaus auf die See; mein Kind, sei nicht traurig, tut auch der Abschied weh. Mein Herz geht an Bord und fort muss die Reise geh’n. Dein Schmerz wird vergehen und schön wird das Wiedersehen. Es ist das meistgespielte, meistgehörte, meistaufgenommene und meistverfielfältigte Musikstück überhaupt. Die Rede ist von rund 5000 verschiedenen Aufnahmen weltweit. Der in deutsch-französischer Co-Produktion hergestellte 86-minütige Dokumentarfilm "La Paloma" begibt sich auf die Entstehungs-, Verbreitungs- und vor allem auf die Wirkungsgeschichte dieses populären Schlagers, der in verschiedensten Sprachvarianten zum Welthit geworden ist. Zudem: "La Paloma" ist eng mit der Geschichte der Tonträger verbunden. Es gibt Aufnahmen aus aller Welt, die älteste dürfte um 1900 entstanden sein. Interpreten waren Stars wie Hans Albers, Freddy, Elvis Presley, Julio Iglesias, Mireille Mathieu.

Und: Entgegen landläufiger Meinung ist "La Paloma" kein Volkslied oder Traditional im herkömmlichen Sinn, sondern wurde vom Basken Sebastián de Iradier vermutlich um 1863 in Kuba - für eine mexikanische Freundin - komponiert. Danach trat das Lied seinen Siegeszug um die Welt an. Davon handelt, davon erzählt dieser abwechslungsreiche, stimmungsvolle Dokumentarfilm. Denn die Regisseurin begab sich mit ihrem Team auf eine ebenso aufwändige wie kulturell schöne Recherche, mit erstaunlichen wie sehr unterhaltsamen, informativen Ergebnissen: Egal, wer immer sich wo auf diesem Planeten dieses Lieds annahm, jeder drückte "La Paloma" einen ganz eigenen Stempel, eine ganz eigene Interpretation auf. Zwar blieben die Melodie und der Sinngehalt von Fernweh, Heimweh, Sehnsucht und Hoffnung in allen Versionen erhalten, doch der jeweilige neue (Länder-)Text weist auch eine jeweilige andere Emotionalität auf: In Kuba selbst wird "La Paloma" als "kubanischer Volkssong" verstanden, wie der Musiker und Musikforscher Helio Orovio erklärt und vorspielt. Der Musiklehrer und Gitarrist Harry Koizumi weiß, wie "La Paloma" zusammen mit der Gitarre nach Hawai kam. Wo Elvis dann, in den Siebzigern, den Song unter dem Titel "No More" herausbrachte. Makame Faki ist auf Sansibar ein bekannter Sänger beim "Culture Musical Club" und besitzt einen kleinen Plattenladen.

An Wochenenden singt er bei Hochzeiten "La Paloma", denn es soll dem Brautpaar und seinen Gästen Frieden und Glück bringen. Währenddessen wird im rumänischen Banat das Lied bei Beerdigungen gespielt, und in Mexiko gibt die einheimische Star-Sängerin und engagierte Linke Eugenia León dem Lied eine große politische Dynamik: Ihre kraftvolle Paloma-Version beschwört eine Welt ohne Krieg, ohne Einmischung fremder Staaten und ist eine Mahnung, die (amerikanische) Friedens-Taube, die sich an der Landes-Grenze platziert hat, genau im Auge zu behalten.

Doch die Regisseurin Sigrid Faltin liefert nicht nur eine musikhistorisch packende Stoffsammlung, sondern fügt auch auch tragische wie kuriose Anekdoten zusammen: Coco Schumann, der berühmte 82-jährige Berliner Jazzer und einst Mitglied der "Ghettoswingers" erläutert, wie die Musik ihn in Auschwitz rettete, indem er am Lagertor "La Paloma" spielen musste, als die Kinder ins Gas marschierten. "Was kann das Lied dafür, daß es mißbraucht wurde?" / Um volksnah zu sein, baute der französische Opernkomponist George Bizet (1838 - 1875) Teile von "La Paloma" als musikalische Brücke in die Hauptarie seiner Oper "Carmen" mit ein.

Interessante Gesprächspartner, spannende Kulturorte, unterhaltsame Anekdoten, amüsante Film-Ausschnitte, die vielen musikalischen Interpreten bzw. Interpretationen, faszinierende historische wie gesellschaftliche wie politische Kultur-Zusammenhänge: Dies hier ist eine kompakte, informative, sehr unterhaltsame Spurensuche-Fleißarbeit in Sachen Unser aller "La Paloma".