Ausnahmezustand als Regel
<strong> Der italienische Philosoph Giorgio Agamben gilt als Star- und Modephilosoph der globalisierten Welt nach dem 11. September. Der politische Ausnahmezustand, spitzt er zu, sei inzwischen die Regel. In der Berliner Volksbühne war er unter der Heils versprechenden Überschrift "Pfingstwunder" angekündigt worden. Gilt er doch dort schon seit längerem als heimlicher Schutzheiliger. </strong>
In merkwürdigem Kontrast stehen die Erwartungen in Giorgio Agamben zu seiner realen Erscheinung. Fast schüchtern betrat er die große Bühne. Sein zartblauer Pullover sowie die goldene Uhrkette waren so gar nicht modisch, ein altmodischer Humanist, ganz im Gegensatz zu denen, die an seinen Lippen hingen. Aber auch in seinen Büchern ist vom heute, wenn überhaupt, höchstens in ein, zwei Nebensätzen die Rede, dafür aber viel von der Antike und dem Heiligen. Römische Rechtsgelehrte treten darin in ein babylonisches Stimmengewirr mit mittelalterlichen Scholastikern sowie jüdischen und islamischen Mystikern. Thomas Aquin nennt er vertraut Tommaso und den Kirchengründer Paulus entdeckt er als politischen Denker neu. Das alles sind keine Stichwortgeber der Linken, zu der er gerechnet wird.
Theologie und Recht bearbeite er nur, weil dies die einzigen Felder seien, die ihm der französische Philosoph Michel Foucault noch übrig gelassen habe. Diese ironische und doch nicht ironische Antwort kennzeichnet Giorgio Agamben sehr gut. Er entzieht sich im Gespräch der verbindlichen Antwort. "Ich würde lieber nicht", antwortete stets der Büroschreiber in Melvilles Erzählung "Bartleby" und Agamben entwickelt daraus eine subversive Strategie: sich ständig Entziehen.
Seine philosophische Erweckung erlebte Agamben in den stürmischen Sechzigern, als in seiner Heimat Italien die Barrikaden brannten, ausgerechnet in einem Seminar bei Martin Heidegger. Das erklärt vieles. Auch seine Liebe zur Etymologie, die bei ihm oft zum philosophisch sprachlichen Klingklang wird. Zu seinem engen Umgang gehörten damals Ingeborg Bachmann, Elsa Morante und Pasolini, in dessen Matthäusevangelium er den Apostel Philippus spielte.
Das römische Recht interessiert Agamben, weil es bis in das heutige hineinreicht, wir aber dessen religiöse Ursprünge vergaßen, die darin enthalten sind. Darin entdeckt er auch zwei Modelle, die er für die Gegenwart für konstitutiv hält: den Ausnahmezustand sowie den homo sacer, den aus allem Recht und Gesellschaft verstoßenen und auf das "nackte Leben" reduzierten Menschen.
Was ist das eigentlich, das Leben? Das ist eine der Grundfragen, die uns beschäftigen, sei es in der Genpolitik oder Fragen der Sterbehilfe. Das Leben an sich sei komplett dem Staat sowie dem Recht unterworfen, der Biopolitik, wie es bei Agamben heißt. Die KZ-Häftlinge in Auschwitz ebenso wie die in Italien strandenden Flüchtlinge interpretiert er als die moderne Form des homo scaer.
Der Ausnahmezustand, spitzte er zu, sei inzwischen die Regel. Guantánomo und Abu Ghreib bestätigten seine These perfekt. Das führte zu seinem kometenhaften Aufstieg. Agamben liest in seinem kritischen Pessimismus wir alle leben im Limbus, der Zwischenhölle, die Antike ebenso wie die Gegenwart jedoch sehr selektiv, denn schon in der Antike stand dem homo sacer das Asyl und der Schutzbefohlene gegenüber.
Die Politik und Macht bleibt bei ihm anonym. Dennoch will er nichts Geringeres als den Kapitalismus als Schuldreligion überwinden, indem er das Heilige zurückholt. Das Paradoxon ist seine Regel. Im Grunde ist Agamben ein Mystiker. An das Göttliche glauben, aber nicht danach streben, es je zu erreichen, schreibt er. Das macht ihn so schillernd und anziehend. Gegenwärtig und doch nicht, kritisch und doch wieder nicht. Seine Subversion, die Technik der Profanierung, liegt für ihn im Spiel. So ist er eher spielender Dichter, denn ein politisch philosophischer Theoretiker . Eine Dostojewski-Aufführung in Berlin sowie ein Opernlibretto für Stuttgart sind daher seine kommenden Projekte.
Service:
Giorgio Agamben, der zurzeit am Wissenschaftskolleg in Berlin seine Forschungen zur Genealogie der westlichen Politik fortsetzt, stellte am Pfingstmontag, dem 16. Mai, sein soeben erschienenes Buch "Profanierungen" im Großen Haus der Berliner Volksbühne vor.
Link:
Volksbühne Berlin
Theologie und Recht bearbeite er nur, weil dies die einzigen Felder seien, die ihm der französische Philosoph Michel Foucault noch übrig gelassen habe. Diese ironische und doch nicht ironische Antwort kennzeichnet Giorgio Agamben sehr gut. Er entzieht sich im Gespräch der verbindlichen Antwort. "Ich würde lieber nicht", antwortete stets der Büroschreiber in Melvilles Erzählung "Bartleby" und Agamben entwickelt daraus eine subversive Strategie: sich ständig Entziehen.
Seine philosophische Erweckung erlebte Agamben in den stürmischen Sechzigern, als in seiner Heimat Italien die Barrikaden brannten, ausgerechnet in einem Seminar bei Martin Heidegger. Das erklärt vieles. Auch seine Liebe zur Etymologie, die bei ihm oft zum philosophisch sprachlichen Klingklang wird. Zu seinem engen Umgang gehörten damals Ingeborg Bachmann, Elsa Morante und Pasolini, in dessen Matthäusevangelium er den Apostel Philippus spielte.
Das römische Recht interessiert Agamben, weil es bis in das heutige hineinreicht, wir aber dessen religiöse Ursprünge vergaßen, die darin enthalten sind. Darin entdeckt er auch zwei Modelle, die er für die Gegenwart für konstitutiv hält: den Ausnahmezustand sowie den homo sacer, den aus allem Recht und Gesellschaft verstoßenen und auf das "nackte Leben" reduzierten Menschen.
Was ist das eigentlich, das Leben? Das ist eine der Grundfragen, die uns beschäftigen, sei es in der Genpolitik oder Fragen der Sterbehilfe. Das Leben an sich sei komplett dem Staat sowie dem Recht unterworfen, der Biopolitik, wie es bei Agamben heißt. Die KZ-Häftlinge in Auschwitz ebenso wie die in Italien strandenden Flüchtlinge interpretiert er als die moderne Form des homo scaer.
Der Ausnahmezustand, spitzte er zu, sei inzwischen die Regel. Guantánomo und Abu Ghreib bestätigten seine These perfekt. Das führte zu seinem kometenhaften Aufstieg. Agamben liest in seinem kritischen Pessimismus wir alle leben im Limbus, der Zwischenhölle, die Antike ebenso wie die Gegenwart jedoch sehr selektiv, denn schon in der Antike stand dem homo sacer das Asyl und der Schutzbefohlene gegenüber.
Die Politik und Macht bleibt bei ihm anonym. Dennoch will er nichts Geringeres als den Kapitalismus als Schuldreligion überwinden, indem er das Heilige zurückholt. Das Paradoxon ist seine Regel. Im Grunde ist Agamben ein Mystiker. An das Göttliche glauben, aber nicht danach streben, es je zu erreichen, schreibt er. Das macht ihn so schillernd und anziehend. Gegenwärtig und doch nicht, kritisch und doch wieder nicht. Seine Subversion, die Technik der Profanierung, liegt für ihn im Spiel. So ist er eher spielender Dichter, denn ein politisch philosophischer Theoretiker . Eine Dostojewski-Aufführung in Berlin sowie ein Opernlibretto für Stuttgart sind daher seine kommenden Projekte.
Service:
Giorgio Agamben, der zurzeit am Wissenschaftskolleg in Berlin seine Forschungen zur Genealogie der westlichen Politik fortsetzt, stellte am Pfingstmontag, dem 16. Mai, sein soeben erschienenes Buch "Profanierungen" im Großen Haus der Berliner Volksbühne vor.
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Volksbühne Berlin