Ausnahmemusiker Joshua Bell

Der U-Bahn-Geiger

Der Violinist Joshua Bell
Der Violinist Joshua Bell © AFP
Von Claus Fischer · 20.10.2015
Der Geiger Joshua Bell lässt sich gern auf Experimente sein. Er hat schon mit Baseballkappe auf dem Kopf und seiner Stradivari-Violine in der Hand in einer U-Bahn-Station in Washington musiziert. Vor kurzem spielte er mit dem Deutschen Sinfonieorchester Berlin.
Er spielt nicht auf der Geige, sondern er singt auf ihr. So oder ähnlich beschreiben Musikkritiker den unverwechselbaren Stil von Joshua Bell. Wie entsteht diese "Kantabilität"?
"Die Stille ist wichtig, die Stille um die Musik herum. Musik kommt aus der Stille. Sie braucht ein entsprechendes Umfeld, ähnlich wie ein Gemälde hinter sich eine weiße Wand braucht, um richtig zur Geltung zu kommen."
Selten erregte ein Debüt in der New Yorker Carnegie Hall derart große Aufmerksamkeit wie das von Joshua Bell im Jahr 1985. Der Sohn eines Psychologen aus der amerikanischen Provinz, geboren und aufgewachsen in Bloomington im Bundesstaat Indiana, war damals gerade 18, hatte aber schon etliche Jahre auf der Bühne hinter sich...
"Also ich würde sagen. Jeder Geiger, der es zu was gebracht hat, war eine Art "Wunderkind". Man muss möglichst früh anfangen. Wenn man zehn oder zwölf ist, ist es zu spät, um wirklich so gut zu sein, dass man Erfolg hat. Natürlich gibt es da aber auch Ausnahmen. Ich würde mich aber doch wieder nicht so richtig als "Wunderkind" sehen, denn ich habe mit elf Jahren noch nicht hundert Konzerte pro Jahr gespielt. Also Yehudi Menuhin und Jascha Heifetz, das waren Wunderkinder. Ja, O.K., manchmal haben die Leute mich ein Wunderkind genannt, aber ich hab das immer gehasst!"
Keine Allüren
Joshua Bell plaudert locker, freundlich und offen über seinen Werdegang, Star-Allüren sind ihm fremd, obwohl er als Geiger Weltruhm genießt.
"Berühmt sein? Naja, das ist etwas sehr Flüchtiges. Ich genieße es schon, relativ bekannt zu sein, in den USA ist es so, dass die Konzertsäle immer voll sind, wenn mein Name auf dem Plakat steht. Das ist schon ein schönes Gefühl, so gefragt zu sein. Aber wenn ich meine Bekanntheit mit der von anderen Leuten auf der Welt vergleiche, dann sehe ich mich nicht als ein Star oder sowas."
Im Jahr 2007 wagte ein Journalist der Washington Post ein ungewöhnliches Experiment. Er wollte herausfinden, ob Joshua Bell auch dann erkannt wird, wenn er inkognito auftritt. In Straßenkleidung, mit einer Baseballkappe auf dem Kopf und seiner Stradivari in der Hand stellte sich der Geiger in eine U-Bahn-Station in Washington, D.C. und spielte eine dreiviertel Stunde lang Musik von Bach, Schubert und anderen Komponisten.
Das Experiment wurde mit einer versteckten Kamera aufgezeichnet und ergab folgendes Resultat: Von rund 1000 Personen, die vorbeigingen, sind nur sieben stehengeblieben, um ihm zuzuhören, und nur eine hat ihn erkannt. Seitdem wird Joshua Bell regelmäßig als der U-Bahn-Geiger bezeichnet, was ihn nicht gerade begeistert.
"Also vor diesem Auftritt hatte ich schon unzählige Konzertauftritte hinter mir und habe 40 CDs gemacht. Und heute bin ich trotzdem der 'U-Bahn-Geiger', na ja ... Aber es hat immerhin ein Gutes, nämlich dass ich dadurch vielleicht ein paar Leute zur klassischen Musik gebracht habe, die sich ohne diese Geschichte nie dafür interessiert hätten. Ein Mann kam z.B. mal an einem Abend zu mir und sagte: 'Ich war noch nie in einem klassische Konzert, aber dann habe ich einen Bericht über ihren Auftritt in der U-Bahn gesehen. Und da hab ich mir gesagt: den hörste dir mal an!'"
Das Violinkonzert Nr. 1 von Max Bruch, das Joshua Bell mit dem Deutschen Sinfonieorchester Berlin letzte Woche aufgeführt hat, gehört seit 38 Jahren zu seinem Repertoire.
"Wissen Sie, dieses Konzert spiele ich seit meinem zwölften Lebensjahr, also gefühlt hab ich es tausendmal gespielt! Über die Jahre hab ich es mir zu eigen gemacht, es ist, ja, ein Teil von mir geworden, es gehört zu mir. Aber wenn ich die Art und Weise, mit der ich es heute spiele mit damals vergleiche, z.B. als ich neunzehn war, dann mache ich es heute völlig anders."
"Inwiefern?"
"Ich kann das schwer in Worte fassen, aber ich habe einen tieferen Sinn in der Musik gefunden, gerade im langsamen Satz. Das ist eine der schönsten langsamen Sätze überhaupt. Da liegt eine unglaubliche Poesie drin. Und die hab ich, glaub ich, als ich jünger war, nicht so richtig gesehen. Und dann ist es ja so: je öfter man ein Stück spielt, desto genauere Vorstellungen hat man, wie es klingen soll. Man weiß genau, was man vom Orchester erwartet z.B. Als ich das Bruch-Konzert zum ersten Mal gespielt habe, da hab ich die Musiker machen lassen, was sie wollten, weil ich mich ganz auf meinen Part konzentrieren musste. Heute bin ich ja auch selber Dirigent, und da habe ich Einblick in die Arbeit eines Orchesters und weiß genau, was ich hören möchte."
Das Beste aus beiden Welten
Bereits zum zweiten Mal war Joshua Bell zu Gast beim Deutschen Sinfonieorchester Berlin. Und auch in Zukunft sind Einladungen geplant.
"Dieses Orchester ist wirklich großartig. Schon bei den Proben habe ich gespürt, daß die ganz konzentriert bei der Sache sind, immer vorne auf der Stuhlkante und mit enormer Energie. Und das braucht das Bruch-Konzert ja absolut. Es gibt nichts Schlimmeres, als ein Orchester, das nur seinen Job macht, nach dem Motto, ah ja, Bruch-Konzert, haben wir schon hundertmal gespielt. Bei diesem Orchester ist das überhaupt nicht so und das ist ein schönes Arbeiten!"
Seit vier Jahren steht Joshua Bell als Dirigent am Pult der Londoner Academy of St. Martin-in-the-fields. Unter Leitung des Gründers Sir Neville Marriner erlangte dieses Kammerorchester vor allem in den 1970er Jahren Weltruhm. Der hat inzwischen etwas nachgelassen, was wohl auch daran liegt, dass die Musiker auf modernen Instrumenten spielen und die Entwicklungen auf dem Gebiet der historisch-informierten Aufführungspraxis, etwa der Musik Bachs noch nicht richtig aufgenommen haben. Joshua Bell sucht nun den Anschluss, aber behutsam.
"Worauf es mir ankommt ist, das Beste aus beiden Welten zusammenzubringen. Ich bin kein Fundamentalist, aber ich bin sehr dankbar für die Kollegen, die uns bewusst gemacht haben, dass in früheren Jahrhunderten anders gespielt wurde, z.B. mit weniger Vibrato bei den Streichern. Mir ist in jedem Fall wichtig, dass die Musik "authentisch" rüberkommt! Aber nicht nur auf die Zeit ihrer Entstehung bezogen, sondern auf die Persönlichkeit des Musikers. Ich möchte jedenfalls glaubwürdig sein, so wie ichs mache."
Bei seinen Solo-Auftritten spielt Joshua Bell eine Stradivari. Das Instrument war bis 1936 im Besitz des Stargeigers Bronislaw Huberman. Ein Dieb hat es aus dessen Garderobe in der New Yorker Carnegie Hall entwendet. Erst kurz vor seinem Tod im Jahr 1985 hat er die Tat gestanden. Allein aufgrund dieser Vorgeschichte liebt Joshua Bell seine Stradivari.
"Sie ist eine Art Ehefrau, aber auch meine beste Freundin. Auf jeden Fall führen wir die dauerhafteste Beziehung in meinem Leben. Ich habe sie seit vierzehn Jahren jetzt als Partnerin. Ich würde niemals sagen, dass ich ihr Besitzer bin, es ist wirklich ein ganz spezielles Verhältins."
Mehr zum Thema