Ausnahme-Thriller mit visionärer Kraft
Was der westeuropäische Leser über Palästina und den Nahost-Konflikt weiß, hat er normalerweise aus dem Fernsehen. Auf den Spuren Omar Jussuf, dem von Matt Beynon Rees erfundenen Palästinenser-Detektiv, stellen sich die Dinge plötzlich ganz anders dar.
Politische Thriller gelten gemeinhin als eher rüdes Genre. Die Plots müssen mit der Präzision des Uhrwerks einer Bombe funktionieren, die Protagonisten sollten nicht allzu sympathisch sein, sondern vom Leben gezauste Zyniker. Siehe John le Carré, siehe Eric Ambler et tutti quanti.
Ausgerechnet der im hochkomplexen Jerusalem lebende Brite Matt Beynon Rees aber bezeichnet hier eine bemerkenswerte Ausnahme. Geboren 1967 in Wales, müsste der versierte Nahost-Kenner und ehemalige Bürochef von "Time" dabei geradezu prädestiniert sein, überall Schurken, Fanatiker und dunkle Umtriebe zu entdecken – und sich selbst als neutralen, kaltblütigen Chronisten zu inszenieren. Immerhin ist der vorliegende Roman bereits der vierte aus seiner erfolgreichen und inzwischen bereits mehrfach preisgekrönten Omar-Jussuf-Serie, in welcher ein palästinensischer Detektiv immer wieder aufs Neue grausige Mordfälle aufzuklären hat.
Nun ist dieser in die Jahre gekommene ehemalige Schullehrer Omar Jussuf aber ein ebenso kluger wie skrupulöser Beobachter der hiesigen Konflikte. Und weiß - im Unterschied zur allzeit überlegen daher plappernden Weltmeinung – dass die israelische Besatzung zwar ein gewichtiges, aber nie und nimmer das Hauptproblem einer innerlich zerrissenen Gesellschaft darstellt, in der familiärer Clan-Stolz und Korruption seit jeher mehr gilt als die Sorge ums Gemeinwohl.
Nachdem der Mann bereits in Bethlehem, Nablus und im Gaza-Streifen ermittelt hatte, schickt ihn sein Erfinder Rees diesmal zu einer UNO-Konferenz ins winterlich ferne New York. Und siehe da: Die nach dem 11. September zu beobachtenden Mentalitätsverschiebungen in Manhattan werden genauso so präzis wahrgenommen wie das Tohuwabohu im Nahen Osten. Anstatt friedlich seinen Sohn Ala besuchen zu können, findet sich Omar Jusuf plötzlich im Zentrum einer Intrige, an der "Schläfer" der Hamas ebenso Anteil haben wie korrupte Funktionäre der PLO, ganz zu schweigen von den üblich Verdächtigen der plappernden internationalen Diplomatie, die man sich am besten als mehrfach duplizierte Guido Westerwelles vorstellt.
Neben dem gekonnten Spannungsaufbau lässt sich hier also auch jener feine, trockene Humor genießen, dem die Leiden der Mitmenschen nicht etwa gleichgültig sind, der jedoch ein feines Sensorium besitzt für jegliche hohle Attitüde. Und dennoch – was für ein Kunststück – ist man als Leser tief gerührt, wenn dann etwa der integere Ex-Lehrer aus Bethlehem durch den irren Lauf der Dinge sogar zur zweifelhaften Ehre kommt, vor einer UN-Kommission sprechen zu können und diese gewichtigen, geradezu ungeheuerlich scheinenden Worte sagt: "Sie hier kennen nur die Klischees, die Stereotypen. Die Menschen bei uns aber verbringen ihre Tage nicht damit, sich nach einem unabhängigen Staat zu sehnen – sie wissen nämlich, das ihre Politiker zu korrupt und zu zerstritten sind, um das erreichen zu können. Sie sind auch nicht bereit, für diesen Kampf ihre Kinder zu opfern. Es mag Ihnen schwerfallen, das zu verstehen, aber was die normalen Palästinenser wollen, ist genau das, was den meisten Bürgern in den arabischen Ländern versagt ist: Freiheit und Wohlstand." Worauf die Delegierten des damaligen Ägypten, Libyen und Tunesien in wüste Schimpf-Kanonaden ausbrechen. Und dieser Ausnahme-Thriller, im Original bereits vor einem Jahr erschienen, erneut die visionäre Kraft beobachtungsgenauer Literatur bewiesen hat. Gerade weil er die zum Teil selbstgerechten Lesererwartungen selbsternannter Nahost-Kenner ein ums andere Mal ebenso gekonnt wie profund unterläuft.
Besprochen von Marko Martin
Matt Beynon Rees: Der Attentäter von Brooklyn. Omar Jussufs vierter Fall
Aus dem Englischen von Klaus Modick.
C. H. Beck Verlag, München 2011
288 Seiten, 18, 95 Euro
Ausgerechnet der im hochkomplexen Jerusalem lebende Brite Matt Beynon Rees aber bezeichnet hier eine bemerkenswerte Ausnahme. Geboren 1967 in Wales, müsste der versierte Nahost-Kenner und ehemalige Bürochef von "Time" dabei geradezu prädestiniert sein, überall Schurken, Fanatiker und dunkle Umtriebe zu entdecken – und sich selbst als neutralen, kaltblütigen Chronisten zu inszenieren. Immerhin ist der vorliegende Roman bereits der vierte aus seiner erfolgreichen und inzwischen bereits mehrfach preisgekrönten Omar-Jussuf-Serie, in welcher ein palästinensischer Detektiv immer wieder aufs Neue grausige Mordfälle aufzuklären hat.
Nun ist dieser in die Jahre gekommene ehemalige Schullehrer Omar Jussuf aber ein ebenso kluger wie skrupulöser Beobachter der hiesigen Konflikte. Und weiß - im Unterschied zur allzeit überlegen daher plappernden Weltmeinung – dass die israelische Besatzung zwar ein gewichtiges, aber nie und nimmer das Hauptproblem einer innerlich zerrissenen Gesellschaft darstellt, in der familiärer Clan-Stolz und Korruption seit jeher mehr gilt als die Sorge ums Gemeinwohl.
Nachdem der Mann bereits in Bethlehem, Nablus und im Gaza-Streifen ermittelt hatte, schickt ihn sein Erfinder Rees diesmal zu einer UNO-Konferenz ins winterlich ferne New York. Und siehe da: Die nach dem 11. September zu beobachtenden Mentalitätsverschiebungen in Manhattan werden genauso so präzis wahrgenommen wie das Tohuwabohu im Nahen Osten. Anstatt friedlich seinen Sohn Ala besuchen zu können, findet sich Omar Jusuf plötzlich im Zentrum einer Intrige, an der "Schläfer" der Hamas ebenso Anteil haben wie korrupte Funktionäre der PLO, ganz zu schweigen von den üblich Verdächtigen der plappernden internationalen Diplomatie, die man sich am besten als mehrfach duplizierte Guido Westerwelles vorstellt.
Neben dem gekonnten Spannungsaufbau lässt sich hier also auch jener feine, trockene Humor genießen, dem die Leiden der Mitmenschen nicht etwa gleichgültig sind, der jedoch ein feines Sensorium besitzt für jegliche hohle Attitüde. Und dennoch – was für ein Kunststück – ist man als Leser tief gerührt, wenn dann etwa der integere Ex-Lehrer aus Bethlehem durch den irren Lauf der Dinge sogar zur zweifelhaften Ehre kommt, vor einer UN-Kommission sprechen zu können und diese gewichtigen, geradezu ungeheuerlich scheinenden Worte sagt: "Sie hier kennen nur die Klischees, die Stereotypen. Die Menschen bei uns aber verbringen ihre Tage nicht damit, sich nach einem unabhängigen Staat zu sehnen – sie wissen nämlich, das ihre Politiker zu korrupt und zu zerstritten sind, um das erreichen zu können. Sie sind auch nicht bereit, für diesen Kampf ihre Kinder zu opfern. Es mag Ihnen schwerfallen, das zu verstehen, aber was die normalen Palästinenser wollen, ist genau das, was den meisten Bürgern in den arabischen Ländern versagt ist: Freiheit und Wohlstand." Worauf die Delegierten des damaligen Ägypten, Libyen und Tunesien in wüste Schimpf-Kanonaden ausbrechen. Und dieser Ausnahme-Thriller, im Original bereits vor einem Jahr erschienen, erneut die visionäre Kraft beobachtungsgenauer Literatur bewiesen hat. Gerade weil er die zum Teil selbstgerechten Lesererwartungen selbsternannter Nahost-Kenner ein ums andere Mal ebenso gekonnt wie profund unterläuft.
Besprochen von Marko Martin
Matt Beynon Rees: Der Attentäter von Brooklyn. Omar Jussufs vierter Fall
Aus dem Englischen von Klaus Modick.
C. H. Beck Verlag, München 2011
288 Seiten, 18, 95 Euro