Ausnahme-Feuilletonist

"Er inspirierte mit einer Sprachgewalt, der niemand gewachsen war"

Der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frank Schirrmacher, spricht am 31.05.2014 bei der Verleihung des Medienpreises für Sprachkultur der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) im Kurhaus in Wiesbaden (Hessen). Der Mitherausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Frank Schirrmacher, ist tot.
Frank Schirrmacher am 31. Mai 2014 bei der Verleihung des Medienpreises für Sprachkultur. © picture alliance / dpa / Fredrik von Erichsen
Von Burkhard Müller-Ullrich  · 14.06.2014
Die Nachrufe füllten am Samstag das gesamte zehnseitige Feuilleton der FAZ. Stefan Aust würdigt im SPIEGEL das Kind in ihm, Kai Diekmann dankt ihm als Ratgeber in der BILD - und sein einstiger Weggefährte Thomas Steinfeld (SZ) schweigt.
Die Woche wurde überschattet und erschüttert von einem tragischen Trauerfall, der die deutschen Feuilletons in besonderer, um nicht zu sagen: einzigartiger Weise betraf, da der Gestorbene nicht nur der bekannteste und sicherlich auch mächtigste deutsche Feuilletonist dieser Zeit war, sondern den gesamten Feuilletonbetrieb außerhalb seiner eigenen, der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG derart geprägt hat, dass die Nachrufe auf ihn, Frank Schirrmacher, in Art und Umfang völlig aus dem gewohnten Rahmen fielen und dadurch auch dieser Presseschau eine etwas ungewohnte Beschaffenheit geben.
Sie wird nämlich von nichts anderem handeln als von Frank Schirrmacher, dessen Artikel fast immer zu den wichtigsten und besten im Quervergleich der Zeitungen zählten, und der durch sein jahrzehntelanges Wirken das sogenannte Debattenfeuilleton in Deutschland überhaupt dahin gebracht hat, dass eine Institution wie diese Feuilletonpresseschau interessant und sinnvoll ist, weil sie von geistigen Prozessen und gesellschaftlichen Phänomenen handelt und sich nicht etwa in Benotungen des Kunstveranstaltungskalenders erschöpft.
Insofern ist Schirrmachers Tod auch Anlass zu einer Selbstreflexion über den Kulturjournalismus als solchen – und auch dies klingt in den Nachrufen an, die am Samstag das gesamte zehnseitige Feuilleton der FAZ füllten.
"Schirrmacher war allergisch gegen Langeweile. Dabei hatte er sich an einen solchen Level von Nachrichten, Botschaften und Sensationen gewöhnt, dass man als sein Mitarbeiter im Alltag dieser Redaktion nicht anders konnte, als ihn dann und wann zu langweilen. Er schaute dann, dabei dennoch um Freundlichkeit bemüht, ganz traurig, als hätte man ihm zum Geburtstag eines seiner eigenen Werke geschenkt",
schrieb der jetzige Feuilletonchef der FAZ, Nils Minkmar. Und sein Vorgänger Patrick Bahners ergänzte:
"Sein Gespür für Künftiges, sein Vermögen der Divination, wie man im Altertum diese intellektuelle Begabung eines bestimmten Typs von Priestern genannt hat, war (aber) die Kehrseite seines obsessiven Interesses an der Vergangenheit. Er kannte nicht nur entlegene Spezialliteratur zur Schreckenszeit des zwanzigsten Jahrhunderts, sondern suchte auch die persönliche Verbindung über Dokumente und Zeugen, wie der von ihm bewunderte Walter Kempowski."
Dem gesamten Betrieb in Freund- oder Feindschaft verbunden
Zum Wesen Schirrmachers gehörte die schlichte Tatsache, dass der gesamte deutsche Feuilletonbetrieb mit ihm irgendwie verbunden war: in Freund- oder Feindschaft, in Bewunderung oder Hass, vor allem aber biografisch – weil das Feuilleton der FAZ die Pflanzschule der Kulturpublizistik schlechthin ist. So schrieb in der Person Mathias Döpfners, des Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer AG, ein ehemaliger Musikredakteur der FAZ über Schirrmacher, den er als 24-Jährigen von Dolf Sternberger empfohlenen Hospitanten kennenlernte:
"Jeder erkannte die intellektuelle Ausnahmebegabung sofort. Er hatte alles gelesen, wusste stets mehr als die Kollegen und assoziierte, phantasierte und inspirierte mit einer Sprachgewalt, der niemand gewachsen war."
Und etwas weiter erklärte Döpfner:
"Begeisterungsfähigkeit als Treibstoff – das hat Frank Schirrmachers gesamtes dreißigjähriges publizistisches Wirken geprägt. Und seine Feinde und Neider fast um den Verstand gebracht. Sie konnten nicht verstehen, dass es keine Taktik war, sondern brennendes Interesse, mit dem dieses große Kind auf die Welt schaut. Frank Schirrmacher ist immer und bis ganz zuletzt ein großes Kind von schlitzohrigstem Ausmaß geblieben. Das war seine Stärke. Alle Großen bleiben Kinder. Ich kenne keinen einzigen wirklich Großen, der erwachsen ist."
Stefan Aust, langjähriger Chefredakteur des SPIEGEL, der jetzt als Herausgeber der WELT für Döpfner arbeitet, erinnerte an einen Pakt, den die drei – Aust, Döpfner und Schirrmacher, beziehungsweise SPIEGEL, WELT und FAZ – einst gegen die Rechtschreibreform schlossen. Er währte nicht lange, der Pakt, aber er führte doch dazu, dass die Reform reformiert wurde.
"Ohne Frank Schirrmachers Sturheit, seinen Widerwillen gegen die Verhunzung der deutschen Schriftsprache, würde der Duden heute anders aussehen",
zeigte sich Aust überzeugt. Dirk Schümer von der FAZ, der mit Döpfner und Schirrmacher zuletzt noch in Rom gewesen war, beschrieb indessen seinen Chef als einen nicht nur kulturpolitisch agilen, sondern auch künstlerisch kontemplativen Menschen.
Ergriffenheit hinter einer coolen Maske
"Die Ergriffenheit vom Erhabenen, die Verletzlichkeit durch das Schöne, versteckte dieser komplett außergewöhnliche Mann gerne hinter einer coolen Maske oder seinem sarkastischen, bisweilen auch provokanten Humor. Er tat das keineswegs aus Unsicherheit, denn unsicher war er im Umgang mit niemandem. Wohl eher, weil er sein Kostbarstes – den Röntgenblick, der die eigenen Schwächen und Gefühle ins Bild nahm – nicht beliebig verschwenden konnte."
Die schiere Anzahl der Hommagen war überwältigend, aber bezeichnend auch das Arrangement, die Machart und die Kreise der Autoren. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG brachte eine echter Freundestrauer abgerungene Erinnerung an Schirrmachers private Neigung zu Witzen und Streichen von Alexander Gorkow sowie einige zusammentelefonierte Mini-Würdigungen von Elfriede Jelinek, Jürgen Habermas und Michael Krüger. Letzterer lobte die ihm, Krüger, sympathische Neigung Schirrmachers zum Katastrophismus und Alarmismus. Aber auffallend war doch das völlige Schweigen des bis vor kurzem als Literaturchef der SZ agierenden Thomas Steinfeld, der im Streit mit Schirrmacher von der FAZ geschieden war und sich unterdessen als Romanautor in wilden Tötungsphantasien gegenüber Schirrmacher ergangen hatte.
Unter sämtlichen Nachrufen war vielleicht für Schirrmachers Wirkungsbreite derjenige des Chefredakteurs der BILD-Zeitung am bezeichnendsten. Kai Diekmann schrieb:
"Oft durfte ich ihn um Rat fragen. Manchmal fragte er mich um Rat. Wir führten einen Dialog, wie er noch vor 20 Jahren zwischen FAZ und BILD kaum vorstellbar gewesen wäre."
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